[wos] (Fwd) [edri-ip] Nice Berlin Declaration coverage

Erik Moeller moeller at scireview.de
Wed Jun 30 03:51:57 CEST 2004


Am Mo, den 28.06.2004 schrieb Stefan Merten um 8:48:

> Mit Entsetzen sehe ich, dass meine dort äußerten Vermutungen noch
> getoppt werden :-( :-( . Bleibt zu hoffen - und zu erwarten -, dass
> dieser Vorschlag an der DRM-Lobby zerschellt.

Ich finde den Vorschlag an sich begrüßenswert, befürchte aber, dass sich
die Industrie schon so sehr auf DRM eingefahren hat, dass sie keine
pragmatischen Lösungen akzeptieren wird - und ohne deren Kooperation
geht es aufgrund des massiven Lobby-Einflusses kaum. Wenn die
Gesetzgebung von rationalen Erwägungen bestimmt wäre, würde die
Monopoldauer nicht immer noch Lebenszeit + 70 Jahre betragen.

Falls die Flatrate erfolgreich ist, stellt sie den Beginn der
Überführung des bestehenden Systems in ein neues dar, und das ist zu
begrüßen. Wohlgemerkt, den *Beginn*. Eine Flatrate kann man wesentlich
leichter skalieren als das Urheberrecht selbst. 

Insofern verdient dieses Projekt unsere Anerkennung, auch wenn es
zweifellos nicht die Idealversion einer modernen
Informationsgesellschaft darstellt, wie wir sie uns vorstellen (und
wahrscheinlich auch einige Unterzeichner). Wir sollten uns vielmehr
selbst an die Nase fassen: Weil Leute wie ich und Du in den letzten
Jahren noch keine funktionierenden alternativen Kompensationssysteme
entwickelt haben und Dieter Bohlen noch immer den Musikgeschmack der
Massen definiert, ist ein solcher gradueller Übergang überhaupt
erforderlich. 

Wir haben eben noch nicht hinreichend unter Beweis gestellt, dass
niemand diese Parasiten braucht. Dabei ist es nicht so schwer -- iRATE +
P2P + PayPal = Music Economy. Ja, PayPal - irgendwo muss das Brot auf
dem Frühstückstisch herkommen, wenn die Uni vorbei ist und das richtige
Leben beginnt. Die Killer-Applikation, die wie einst Napster
zweistellige Millionenzahlen von Usern erreicht, gibt es ebensowenig wie
den Ein-Klick-Linux-Installer, der unter Windoof läuft.

In den letzten Jahren ist es uns noch nicht einmal gelungen, eine aktive
Community zu schaffen, die an dem Problem arbeitet (geschweige denn "das
Problem" exakt zu definieren). Statt dessen gibt es Dutzende von
Mailing-Listen und Dachorganisationen, die parallel an den gleichen
Fragen sitzen und deren Teilnehmer teilweise überhaupt nichts
voneinander wissen. WOS und Oekonux haben sicherlich hier zum Networking
beigetragen, aber von einer kohärenten Community kann noch keine Rede
sein.

Natürlich haben wir unsere Erfolgsstories. Wikipedia. Open Source
Software. Slashdot, Indymedia, Kuro5hin. Alle haben ihre Mängel, alle
haben andererseits revolutionäre Ideen demonstriert. Insbesondere die
Linux-Community, so gespalten sie auch ist, hat eine "real existierende"
Alternative zum klassischen Entwicklungs- und Distributionsmodell
geschaffen. Niemand würde noch eine Flatrate für Software-Entwickler
fordern. 

Was fehlt, ist also die integrative Vision und - noch wichtiger - ihre
konkrete Umsetzung in Form von Killer-Applikationen für die Massen. 

Reden wir hier über eine Entwicklung, die ohnehin unvermeidlich ist, so
dass wir uns auch zurücklehnen und gar nichts tun können? Mag sein. Aber
selbst das Unvermeidliche lässt sich über Jahrzehnte oder sogar
Jahrhunderte hinauszögern.

Erst wenn es uns gelingt, eine autarke *und* populäre Alternative zur
Content-Industrie zu schaffen, können wir über die Flatrate-Idee lästern
und sie als reaktionär verteufeln. Autark, das heißt unter anderem, dass
auch das Marketing nicht abhängt von den Plattenbossen, sondern im Netz
selbst geschieht. Populär, das heißt, dass Deine Freundin oder Deine
Mutter sich über das entsprechende System ihre Mucke zieht, legal,
versteht sich.

Ohne eine solche Alternative wird man uns - zu einem gewissen Grad zu
Recht - als Radikalinskis bezeichnen, die nur bestehende
Wertschöpfungsketten zerstören wollen. Und ohne eine solche Alternative
ist die Flatrate in der Tat die einzige plausible Lösung. Wenn das
Projekt Flatrate auf absehbare Zeit scheitert, was ich glaube, dann
bleiben uns noch ein oder zwei Jahre, unter Beweis zu stellen, dass es
nicht erforderlich ist.

Ich hoffe, dass es auf der WOS4 noch ein paar neue Erfolgsstories zu
erzählen gibt.

Viele Grüße

Erik



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