[wos] (Fwd) [edri-ip] Nice Berlin Declaration coverage

Felix Stalder felix at openflows.org
Wed Jun 30 17:44:41 CEST 2004


Der Nutzen der Erklaerung ist, meines Erachtens, weniger, dass sie einen 
ausformulierten Loesungsvorschlag praesentiert, dass sie die Tuer aufmacht 
fuer das Argument, dass es einen Gesaltungsraum jenseits von DRM vs Piraterie 
gibt. Ich glaube, es ist den meisten klar, dass die Situation, wie sie heute 
besteht -- massenhaftes p2p filesharing jenseits der Legalitaet -- in 5 
Jahren nicht mehr geben wird. Meines Erachtens auch unwahrscheinlich, ist die 
von Florian Cramer erhoffte klare Trennung von Copyright und Copyleft als 
zwei Kommunikationsuniversen, die parallel zueinander verlaufen. 

Ich persoenlich bin relativ optimistisch, dass sich DRM nicht durchsetzen 
laesst. Aber solange DRM praesentiert werden kann, das die beste der bestehen 
Moeglichkeiten (die einzig andere, laut Industrie, ist die Enteigngung der 
Ueheber durch Piraterie) sind die Chancen fuer ein Gelingen sehr viel 
groesser. Alles ist politisch durchsetzbar, wenn es sich als besser als die 
Alternativen darstellen kann.

Die Frage scheint mir nun, wie am eine solche Alternative am besten 
formuliert: durch politisches Lobbying oder durch eine radikale Praxis. 

Leider ist gerade auf dem Gebiet der alternativen Wertschoepfung die radikale 
Praxis, wie man am letzten Oekonux-Treffen feststellen konnte, wieder auf dem 
Weg zurueck in die 70er Jahre (auf dem Panel "Open Source Economics" wurde 
doch tatsaechlich der Aufbau von landwirtschaftlichen Kommunen vorgeschlagen, 
wo am Vormittag das Feld bestellt und am Nachmittag gecodet werden soll und 
das ganze haette dann 'open source farming' sein sollen.) 

In diesem Sinne ist die Berlin Declaration ein Versuch, dem Argument 'es gibt 
keine Alternative zu DRM' einen halbwegs konkreten Vorschlag entegenzusetzen. 
Es ist leider der einzig halbwegs konkrete Vorschlag, den ich in den letzen 
zwei Jahren gehoert habe und auch gar nicht so schlecht, denn er trennt 
wenigstens Kompensation von Kontrolle und erwartet nicht von kulturellen 
ProduzentInnen einen moralischen Altrusimus.

Felix



On Wednesday 30 June 2004 03:51, Erik Moeller wrote:
> Am Mo, den 28.06.2004 schrieb Stefan Merten um 8:48:
> > Mit Entsetzen sehe ich, dass meine dort äußerten Vermutungen noch
> > getoppt werden :-( :-( . Bleibt zu hoffen - und zu erwarten -, dass
> > dieser Vorschlag an der DRM-Lobby zerschellt.
>
> Ich finde den Vorschlag an sich begrüßenswert, befürchte aber, dass sich
> die Industrie schon so sehr auf DRM eingefahren hat, dass sie keine
> pragmatischen Lösungen akzeptieren wird - und ohne deren Kooperation
> geht es aufgrund des massiven Lobby-Einflusses kaum. Wenn die
> Gesetzgebung von rationalen Erwägungen bestimmt wäre, würde die
> Monopoldauer nicht immer noch Lebenszeit + 70 Jahre betragen.
>
> Falls die Flatrate erfolgreich ist, stellt sie den Beginn der
> Überführung des bestehenden Systems in ein neues dar, und das ist zu
> begrüßen. Wohlgemerkt, den *Beginn*. Eine Flatrate kann man wesentlich
> leichter skalieren als das Urheberrecht selbst.
>
> Insofern verdient dieses Projekt unsere Anerkennung, auch wenn es
> zweifellos nicht die Idealversion einer modernen
> Informationsgesellschaft darstellt, wie wir sie uns vorstellen (und
> wahrscheinlich auch einige Unterzeichner). Wir sollten uns vielmehr
> selbst an die Nase fassen: Weil Leute wie ich und Du in den letzten
> Jahren noch keine funktionierenden alternativen Kompensationssysteme
> entwickelt haben und Dieter Bohlen noch immer den Musikgeschmack der
> Massen definiert, ist ein solcher gradueller Übergang überhaupt
> erforderlich.
>
> Wir haben eben noch nicht hinreichend unter Beweis gestellt, dass
> niemand diese Parasiten braucht. Dabei ist es nicht so schwer -- iRATE +
> P2P + PayPal = Music Economy. Ja, PayPal - irgendwo muss das Brot auf
> dem Frühstückstisch herkommen, wenn die Uni vorbei ist und das richtige
> Leben beginnt. Die Killer-Applikation, die wie einst Napster
> zweistellige Millionenzahlen von Usern erreicht, gibt es ebensowenig wie
> den Ein-Klick-Linux-Installer, der unter Windoof läuft.
>
> In den letzten Jahren ist es uns noch nicht einmal gelungen, eine aktive
> Community zu schaffen, die an dem Problem arbeitet (geschweige denn "das
> Problem" exakt zu definieren). Statt dessen gibt es Dutzende von
> Mailing-Listen und Dachorganisationen, die parallel an den gleichen
> Fragen sitzen und deren Teilnehmer teilweise überhaupt nichts
> voneinander wissen. WOS und Oekonux haben sicherlich hier zum Networking
> beigetragen, aber von einer kohärenten Community kann noch keine Rede
> sein.
>
> Natürlich haben wir unsere Erfolgsstories. Wikipedia. Open Source
> Software. Slashdot, Indymedia, Kuro5hin. Alle haben ihre Mängel, alle
> haben andererseits revolutionäre Ideen demonstriert. Insbesondere die
> Linux-Community, so gespalten sie auch ist, hat eine "real existierende"
> Alternative zum klassischen Entwicklungs- und Distributionsmodell
> geschaffen. Niemand würde noch eine Flatrate für Software-Entwickler
> fordern.
>
> Was fehlt, ist also die integrative Vision und - noch wichtiger - ihre
> konkrete Umsetzung in Form von Killer-Applikationen für die Massen.
>
> Reden wir hier über eine Entwicklung, die ohnehin unvermeidlich ist, so
> dass wir uns auch zurücklehnen und gar nichts tun können? Mag sein. Aber
> selbst das Unvermeidliche lässt sich über Jahrzehnte oder sogar
> Jahrhunderte hinauszögern.
>
> Erst wenn es uns gelingt, eine autarke *und* populäre Alternative zur
> Content-Industrie zu schaffen, können wir über die Flatrate-Idee lästern
> und sie als reaktionär verteufeln. Autark, das heißt unter anderem, dass
> auch das Marketing nicht abhängt von den Plattenbossen, sondern im Netz
> selbst geschieht. Populär, das heißt, dass Deine Freundin oder Deine
> Mutter sich über das entsprechende System ihre Mucke zieht, legal,
> versteht sich.
>
> Ohne eine solche Alternative wird man uns - zu einem gewissen Grad zu
> Recht - als Radikalinskis bezeichnen, die nur bestehende
> Wertschöpfungsketten zerstören wollen. Und ohne eine solche Alternative
> ist die Flatrate in der Tat die einzige plausible Lösung. Wenn das
> Projekt Flatrate auf absehbare Zeit scheitert, was ich glaube, dann
> bleiben uns noch ein oder zwei Jahre, unter Beweis zu stellen, dass es
> nicht erforderlich ist.
>
> Ich hoffe, dass es auf der WOS4 noch ein paar neue Erfolgsstories zu
> erzählen gibt.
>
> Viele Grüße
>
> Erik

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