[wos] (Fwd) [edri-ip] Nice Berlin Declaration coverage
Volker Grassmuck
vgrass at rz.hu-berlin.de
Sat Jun 26 16:18:53 CEST 2004
On 26 Jun 2004 at 2:23, Florian Cramer wrote:
> Am Dienstag, 22. Juni 2004 um 10:50:36 Uhr (+0200) schrieb Volker
> Grassmuck:
>
> > A group of over 40 copyright scholars and activists Mon. urged the
> > European Commission (EC) to consider a flat-rate compensation scheme
> > for ensuring "compensation of rightsholders without control over
> > users."
>
> Vermutlich ist meine Wortmeldung deplaziert, weil sie einem langen
> Diskussionsprozeß hinterhinkt, zu spät kommt etc.,
nein, gar nicht. Mit den Stellungnahmen ist der Prozess ja nicht
beendet, sondern geht erst los. Da sind noch eine Menge Details zu
klären.
> doch: Will man das wirklich?
das dagegen ist eine relativ dumme Frage, unstellt sie doch, das
"man" da etwas getan hat, ohne zu wissen, was "man" wirklich will.
Dass die Leute, die die Erklärung unterschrieben haben, das nicht
willenlos getan haben, kannst Du, besonders nach einem längeren
Diskussions- und Überarbeitungsprozess, schon unterstellen.
> Ist das die Schlußfolgerung aus fünf Jahren Wizards of OS?
eine maßlose Übertreibung. Die Berliner Erklärung ist nie als
Kulminationspunkt von 5 Jahren WOS gedacht gewesen. Die EC-
Konsultation war ein aktueller Anlaß für eine Intervention in einen
Regulierungprozess, der Wissensfreiheiten und damit Kernthemen der
WOS berührt. Das ist zum einen das Gema-Problem der CC-Lizenzen und
zum anderen DRM und Alternativen dazu.
>Ich
> habe da meine Zweifel, und zwar sowohl aus progressivem, als auch aus
> konservativem Blickwinkel.
>
> Der konservative Blickwinkel: Welche digitalisierten Informationen soll
> solche eine Filesharing-Flatrate einschließen und welche nicht? Was ist
> z.B. mit unfrei lizenzierter Software? Soll die Flatrate auch über das
damit sind wir mitten in der Debatte. In der Tat ist es bislang so
diskutiert worden, dass Software nicht eingeschlossen werden soll. 1.
aufgrund der von Content verschiedenen Produktions-, Distributions-
und Nutzungbedignungen. 2. weil Software auch im Urhheberrecht eine
Sonderrolle hat, z.B. keine Privatkopieschranke, so dass es
rechtstechnisch hier noch schwieriger würde als bei Content. Führt
zwar im Prinzip zu einer Zweiteilung in Werkkategorien die frei und
vergütet zirkulieren dürfen und andere nicht. Andererseits ändert
sich gegenüber dem status quo für die Softwareindustrie nichts. Sie
schreit auch jetzt nicht nach DRM und neuen Gesetzen. Ist also
vielleicht nicht wirklich ein Problem.
> Netz getauschte Microsoft-, Adobe- oder gar 10.000 Euro teure
> Oracle-Software abdecken? (Dann würde die Flatrate aber verdammt teuer
> werden.) Vielleicht auch Tageszeitungen, wenn jemand z.B. die
> Öffentlichkeit an seiner digital abonnierten FAZ per P2P teilhaben
> lassen will?
Text und Bild sehen die meisten als einzuschließen.
> Wer wird dann alles an den Ausschüttungen beteiligt werden
> wollen?
Die Mitglieder der Online-VG. Wer Mitglied werden kann, bestimmt das
Kollektiv.
> Oder will man einfach die "Flatrate" auf Musik- und
> Film-Downloads beschränken und somit von digitalen Datenströme in den
> Kategorien des verflossenen Jahrhunderts denken - womit übrigens auch
> der Beweis erbracht wäre, daß Lessig zwar die Couch-Potatoes und die
> Kulturindustrie attackiert, aber genau in ihren Kategorien denkt
> (nämlich von Popsongs und Hollywoodfilmen, die remixt bzw. neumontiert
> werden)?
Der Fokus ergibt sich praktisch daraus, dass die Musik- und die
Filmindustrie am lautesten schreien und das DRM-Projekt am massivsten
vorantreiben. Was natürlich nicht heißt, dass nicht andere kulturelle
Formen wie die Volksmusik (s. Stellungnahme Ross Anderson) mit
bedacht werden müssen.
> Der progressive Blickwinkel: Auch die technischen Kategorien, die dem
> Konzept des "Filesharings" und der "Content-Flatrate" zugrundeliegen,
> sind überholt. Die Unterscheidung eines lokalen Abspielens (d.h. einer
> Übertragung eines Datenstroms von der Festplatte über IDE-Controller,
> PCI-Bus, RAM und CPU zurück zum PCI-Bus, Soundchip und Stereoanlage) und
> eines entfernten Kopierens (d.h. der Übertragung eines Datenstroms über
> Netzwerkkabel und -switches) ist schon heute mit an WLAN-Stereoanlagen
> obsolet; die Operations des Abspielens, Kopierens und im Netzwerk
> verteilens sind im Computer prinzipiell synonym und konventionell nur
> durch Bussysteme und Kabellänge bzw. Übertragungsdistanzen
> unterscheidbar. Bedeutet das im Umkehrschluß, daß man künftig fürs
> drahtlose Abspielen seiner Musik und Filme (um bei diesen
> konventionellen Kategorien zu bleiben) eine "Flatrate" abonnieren muß?
Aus Sicht des Urheberrecht ist das irrelevant. Da geht es drum, wer
außer dem rechtmäßigen Besitzer eines Werkstücks (= einer Lizenz)
noch Zugang hat. Nach Privatkopieschranke ist das Weitergeben an
Verwandte und Freunde zulässig, der Medien-Server im heimischen
Intranet, auf den Familien- oder WG-Mitglieder zugreifen, ist somit
kein Problem. Eine Version der Online-Vergütung würde eine
vergleichbare Schranke für das neue exklusive Recht der
Vergügbarmachung etablieren, das die Verfügbarmachung an unbekannte
Dritte zulässig macht. Es geht also nicht um Kabellängen sondern um
Personen. Schrankennutzungen im Intranet würden weiterhin über Geräte-
und Leermedienabgaben vergütet. Die neue Zahlung käme zur ISP-
Rechnung dazu. Das einzige Problem, das ich sehe, sind offene Wlans
ohne Internet-Verbindung. Wenn darin urheberrechtlich geschützte
Dinge angeboten werden, ist zu befürchten, dass die Rechteinhaber
hier auch die Internet-Vergütung fordern. Andererseits werden die
meisten von uns die Pauschale eh mit unserer ISP-Rechnung bezahlt
haben. Hängt vom Ausmaß solcher Inseln ab. Muß kein ernsthaftes
Problem werden.
> Und wer glaubt ernsthaft an zweifelhafte Bürokratien wie die GEMA als
> Zukunftsmodell?
Wie verhindert werden kann, dass kollektive Organisationen (VGs,
Gewerkschaften etc.) Führungsaristokratien etc. ausbilden, ist eine
schwierige Frage. Da die Online-VG in einer programmierbaren Umgebung
operiert, die meisten Vorgänge automatisierbar sind, sie keine
Fußtruppen unterhalten muß, besteht die Hoffnung, dass sie sehr viel
schlanker sein wird als die Gema. Auch für demokratische
Entscheidungsfindung bietet die Online-Umgebung wunderbare Werkzeuge
und Spielraum für Experimente, um eine Verselbständigung des
Apparates zu verhindern. Außerdem halte ich es für bedenkenswert,
zwei Online-VGs zu errichten, eine für die Urheber und eine für die
Verlage.
> Was spricht gegen eine saubere Trennung freier und
> nichtfreier Informationen wie bisher, unter der Voraussetzung, daß
> Kanäle (wie z.B. das WWW, P2P-Netze, Abspielgeräte) frei bleiben? Wieso
> sich stellvertretend für die Medienindustrie den Kopf zerbrechen, wie
> sie Geld verdienen kann?
Die Voraussetzung ist der Punkt. Es geht genau darum, die digitale
Infrastruktur frei zu halten von DRM. Dafür reicht es aber
erfahrungsgemäß nicht aus, zu sagen DRM ist Scheiße, und die
Musikindustrie soll halt den Weg der Dinosaurier gehen. Wenn man mit
Musikern spricht, ist man sich über DRM meist schnell einig, aber
dann kommt die Fragen: Was dann? Wenn's einem drum geht, recht zu
haben, kann man saubere Trennungen vornehmen und alles ignorieren,
was nicht passt. Wenn man aber Wirkungen erzielen will, dann muß man
sich über Alternativen und darüber, wie andere Player darauf
reagieren werden, Gedanken machen.
> Ich räume gerne ein, daß diese Positionen halbgar sind. Aber während der
> gesamten WOS3 hatte ich ein ungutes Gefühl: Daß es mich, ehrlich gesagt,
> nicht interessiert, was irgendwelche Vertreter irgendwelcher WIPO-, EU-
> und sonstigen Gremien und Regierungsbürokratien über Urheberrechte und
> Informationsfreiheit zu sagen haben,
Dass ich die Copyright-Session mit Geidy Lung verbockt habe, gebe ich
gerne zu. Dein Desinteresse zeigt noch einmal, dass es Dir nicht
darum geht, Wirkungen zu erzielen. Ich sage ja nicht, dass wir alle
unsere Aktivitäten auf Brüssel und Genf konzentrieren sollen, aber
die Alternative ist, hinterher, wenn die Entscheidungen in
bundesdeutsche Gesetze gegossen sind, zu jammern -- über Online-
Urheberrechte ohne Schranken, über Software-Patente, über
Verwertungsgesellschaften, die ihren Mitgliedern CC-Lizenzierung
verbieten.
> und sich die WOS in die merkwürdige
> Sackgasse einer sterilen politischen Fachkonferenz manövriert haben, in
> der Moglen und Lessig die Cheerleader spielen. (Und geraden diesen
> Cheerleadern jedes - künstlerisch und intellektuell - verständiges
> Widerwort gefehlt hat.)
Mh, steril und Cheeleader passt irgendwie nicht zusammen. "Sterile
politische Fachkonferenz" -- reden wir über dieselbe Veranstaltung?
Hat noch jemand die wos3 so wahrgenommen?
Volker
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