[wos] (Fwd) [edri-ip] Nice Berlin Declaration coverage
Florian Cramer
cantsin at zedat.fu-berlin.de
Sat Jun 26 15:56:30 CEST 2004
Am Samstag, 26. Juni 2004 um 14:42:13 Uhr (+0200) schrieb tt at cut3.com:
> 1. ist die von der internationalen content- industrie angestrebte
> weitgehende schließung auf dem feld aktueller, digitaler inhalte politisch
> und technisch durchsetzbar?
>
> 2. wird der technologische wandel analog zum phänomen der freien software
> und über dieses hinausgehend, zum verschwinden der dominanz von
> warenförmigem content, und dessen ersetzung durch formen freier verfügbarer
> inhalte führen?
> werden also etwa inhalte die unter einer cc share alike lizenz stehen für
> den kulturellen austausch der masse maßgeblich werde?
>
> wenn faktischer zugang für möglichst viele das ziel ist, muss man sowohl 1.
> verhindern als auch 2. fördern.
Soweit völlig d'accord. Um Nr. 1 zu verhindern, halte ich aber defensive
Taktiken wie die Filesharing-Flatrate, mit denen man sich auf die
Schadensbegrenzungs-Rhetorik der Medieninstustrie einläßt, für falsch.
> ich würde es als eine fatale strategie ansehen 1. sozusagen geschehen zu
> lassen, in der hoffnung das 2. dadurch befördert wird.
Das will ich ja auch nicht. Man streitet gegen Nr. 1, aber offensiv,
nicht defensiv, und zwar mit dem Argument, daß freie Kanäle nötig sind,
um bestehende freie Informationsangebote weiterhin zu ermöglichen.
Ich habe überhaupt nichts dagegen, wenn die Medien- und
Softwareindustrie flächendeckend DRM implementiert, solange dies nur für
proprietäre Inhalte/Information gilt und freie Kanäle - ohne
jegliche Einschränkungen wohlgemerkt, und zwar auf ein und derselben
Hardware- und Softwareumgebung - koexistieren. Nichts würde die
Massenmigration of freie Software mehr befördern als eine wirkungsvolle
Kopiersperre für Windows und andere proprietäre Software, nichts würde
der Produktion freier Inhalte unter freien Lizenzen mehr Auftrieb geben,
wenn unfreie Inhalte zumindest nicht mehr mit trivialen Methoden
massenreproduzierbar wären.
> vor diesem hintergrund ist auch eine filesharing-flatrate zu beurteilen.
> befördert 2. nicht unbedingt, behindert es aber auch nicht groß,
Einspruch! Das Internet befindet sich, zehn Jahre nach seinem
Massendurchbruch, in derselben Situation, in der sich die Welt der
Computersoftware nach den 1970er Jahren befand. Alles war früher
"irgendwie frei" (damals Unix, heute der Großteil der Seiten im
World Wide Web), aber weil diese Freiheit nicht kodifiziert war, konnte
man die Information im Handstreich proprietarisieren, diejenigen, die
an ihr weitergearbeiten haben, über Dekaden hinaus verklagen (siehe SCO
heute). Damit das World Wide Web als freie, kollaborative
Informationsresource erhalten bleibt, ist es dringend erforderlich, daß
sich Creative Commons-Lizenzen im großen Stil durchsetzen, da ansonsten
faktisch das gesamte WWW unter konventionellem Urheberrecht steht und
die Freiheit seiner Nutzung zumeist ohne Wissen und gegen den Willen der
Urheber eingeschränkt ist. (Was würde z.B. passieren, wenn der Autor
einer nützlichen, informationsreichen Website tödlich verunglücken
würde? Man könnte die Website legal erst nach 70 Jahren wieder ins Netz
stellen.)
Führt man hingegen Filesharing-Flatrates ein, setzt nur man die
bisherige Praxis des "irgendwie frei"-Seins fort und verhindert, daß
überhaupt ein Problembewußtsein für das Copylefting eigener
Informationsangebote entsteht (an dem es ja heute vor allem mangelt).
Was Lessig in seiner Rhetorik unterschlägt, ist, daß mit einer
Filesharing-Flatrate mitnichten der von ihm gefeierten freien
Kreativität geholfen wäre, sondern im Gegenteil nur klassischer
Couchpotato-Konsum und Dateisauger-Mentalität gefördert würde. Denn am
urheberrechtlichen Status der im Netz getauschten Werke würde sich ja
auch bei der Flatrate nichts ändern. Der Remix des White Album und des
Black Album zu einem Grey Album bliebe illegal. Durch die ungehinderte
Massenverbreitung proprietärer Daten würden aber die Anreize gesenkt,
an einem alternativen System wirklich freier Angebote mitzuwirken.
(Analog gilt: Hätte AT&T Unix so kommerzialisiert, daß es à la Shareware
für den privaten Hausgebrauch kostenlos heruntergeladen und genutzt
werden könnte, hätte es freie Betriebssysteme in ihrer heutigen Form
wahrscheinlich nicht gegeben.)
-F
--
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