[wos] Re: P2P-Steuer fuer's Internet?

Stefan Merten smerten at oekonux.de
Tue Jul 13 08:55:32 CEST 2004


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Hi Liste!

Sehr interessante Diskussion hier :-) !

Hierauf möchte ich nochmal eingehen.

Last week (8 days ago) Felix Stalder wrote:
> Stefan Merten:
>> Nun liegt mir natürlich nicht daran, überhaupt ein Kompensationssystem
>> zu entwickeln. Nach meiner Überzeugung ist ein zentrales
>> Erfolgsgeheimnis Freier Software, dass es dieses Kompensationssystem
>> *eben nicht* gegeben hat. Jegliches Kompensationssystem kann aus
>> meiner Sicht also nur kontraproduktiv sein
> 
> Ja, die geldfreie Gesellschaft. Eine alte und erwuerdige Utopie,

Eine Utopie ist es erst, seit dem die Geldgesellschaft mit dem
gesellschaftlichen Sein faktisch identisch ist. Jahrtausende vorher
gab es vielleicht Geld, aber seine Bedeutung war eine völlig andere
als heute.

Damit mir das Wort nicht gleich wieder im Mund rumgedreht wird: Ich
sage das *nicht*, weil ich in vormoderne Zeiten zurück will - das
schafft der Kapitalismus momentan ja schon ganz allein sogar gegen
meinen Widerstand (Bush als fundamentalistischer Präsident einer
miltitärischen Weltmacht...) :-( . Ich sage das, weil ich damit der
Naturalisierung des Geldes als allein möglicher Art und Weise
gesellschaftlicher Organisation entgegen treten will, die bei solchen
Bemerkungen mitschwingt.

> aber leider 
> eine ausgesprochen duerftige Sicht auf Freie Software, die, ironischerweise, 
> von Eric S. Raymond popularisiert wurde. Freie Software ist genausowenig 
> kompensationsfrei wie wissenschafliche Forschung ohne Geld auskommt, auch 
> wenn ich mir aus dem online Katalog Artikel runterladen kann.

Oh je. Selbst unsere Geldgesellschaften wimmeln (immer) noch von
kompensationsfreien Tätigkeiten. Der ganze Bereich der von den
MarxistInnen gerne reproduktiv genannten, oft von Frauen ausgeführten
Tätigkeiten ist z.B. nicht im engeren Sinne kompensationsbasiert.

Würde deine Sicht stimmen, so gäbe es schlicht keine Freizeit, in der
mensch nicht nur produktiv oder auch nicht tätig sein könnte, sondern
für die sogar erhebliche Geldmittel aufgewendet werden (Hobbies).
Freie Software gehört da durchaus zu den billigeren Kategorien.

Wissenschaftliche Forschung ist wegen des teils erheblichen
apparativen Aufwands da zugegeben eine andere Liga. Aber nach
klassischen (europäischen?) Bildungs- und Wissenschaftsidealen geht es
hier auch *gerade nicht* um Kompensation sondern um Freiheit von
Forschung und Lehre. Und um eine steuerbasierte Grundversorgung der
AkademikerInnen - oder würdest du die Entlohnung des ganzen Mittel-
und Unterbaus etwa als Kompensation für deren Leistung bezeichnen?
Dass das zugunsten geldbasierter Wissenschaft auf dem Rückzug ist,
lese ich übrigens als weiteren Sargnagel für das alte System.

> Aber das ist eh die falsche Diskussion.

Finde ich nicht. Mir scheint unser zentrales Problem, dass du im
wesentlichen sagst: Menschen werden nur (gesellschaftlich nützlich)
tätig, wenn sie dafür entlohnt / kompensiert werden. Das ist aber
leider pure (neoliberale) Ideologie. Die von dir angeführte
Wirklichkeit zeigt, dass es ein Bündel solcher Motive gibt. Bei der
Freien Software ist lediglich neu, dass dieser Bereich der
Gesellschaft von deren Rand (wieder) ins Zentrum rückt. Das ist
natürlich unerträglich für alle neoliberalen IdeologInnen.

> Die Produktionsmethode der Freien 
> Software ist auf expressive Werke nicht anzuwenden. Die 
> Produktionsbedingungen, dafuer sollten doch gerade Marxisten sensibilisiert 
> sein, von Musik und von Software sind nicht die selben.

Nun, auch mir als Nicht-Marxisten ist dies einsichtig.

> Deshalb muss man sich 
> fragen, innerhalb welcher Strukturen kann eine Wissensallemde auch in diesen 
> Bereichen funktionieren?

Völlig d'accord.

> Sicher nicht via GPL. Ist gibt sehr gute Gruende 
> weshlab Wissenschafliche Artikel nicht unter der GPL publiziert werden.

GPL? So erbsenzählerisch bist du doch sonst nicht.

Es geht natürlich nicht um die GPL *an sich*. Die ist nur eine
Chiffre. Es geht um das Modell, mit dem Freie Software groß geworden
ist. Und das liegt jenseits von Lizenzen - auch wenn diese zu dessen
Absicherung benötigt werden. Das Modell beinhaltet aus meiner Sicht
vor allem, dass eine Verknappung von Informationen nicht sinnvoll ist
und auf Basis von Selbstentfaltung - also ohne Entfremdung jeglicher
Art - die besten kreativen Werke entstehen. *Das* wird in der
Wissenschaftsgemeinde schon lange verstanden und das beginnt sich in
den letzten Jahren auch immer stärker ganz praktisch Bahn zu brechen.

>> Mein Weg wäre eher - aber da sind wir uns wahrscheinlich im Ziel
>> grundsätzlich einig -, Kompensationssysteme ganz überflüssig zu
>> machen, weil eben auch die Güter ohne Kompensation zur Verfügung
>> stehen. Freie Software leistet das schon und schafft so einen Teil der
>> Notwendigkeit eines Kompensationssystems ganz praktisch ab.
> 
> Nein, sind wir uns nicht. Geld ist nicht per se schlecht.

Nicht per se. Aber bei genau unserem Diskussionsgegenstand.

> Das ist eine 
> Fetischierung von Geld wie es sonst nur noch kapitalistische Fundamentalisten 
> vornehmen, fuer die die Monetarisierung gesellschaftlicher Beziehungen per se 
> postiv ist. 
> 
> Ausserdem ist es faktisch ganz einfach falsch, dass freie Software die 
> Notwendigkeit eines Kompensationssystems abschafft. Das stimmt nur fuer die 
> verschwident kleine Menge von gutausgebildeten Heimanwendern. Soviel ich mich 
> erinnern kann, ist der Prozess, in die Verwaltung der Stadt Muenchen auf 
> Linux umsteigt nicht umsonst, sondern kosten einen zweistelligen 
> Millionbetrag? Warum? Weil gratis runterladen und Selbsentfalten hier einfach 
> nicht funktioniert.

Hier bist du wieder nicht so erbsenzählerisch - seltsam ;-) .

Fakt ist, dass die Lizenzkosten für einen Riesenberg Software
entfallen. Hier entfällt die Notwendigkeit von Kompensation ganz
praktisch.

> Ich will damit nicht die innovative oder transformative Kraft, die hinter der 
> GPL und der Freien Software steckt, runterspielen, aber Stefan's 
> Argumentation wiederspricht jeder beobachtbaren Wirklichkeit.

Da würde ich dir insofern Recht geben, als dass die Oekonux-Debatte
sich nicht darauf beschränkt, die Wirklichkeit nur zu beobachten -
wiewohl wir das beständig tun -, sondern sie zu verstehen. Dafür haben
wir einen theoretischen Ansatz entwickelt. Und wenn ich mir die vielen
Versuche ansehe, Freie Software eben doch irgendwie unter die Prämisse
eines Kompensationssystems zu packen, dann finde ich, dass bei der
Oekonux-Theoriebildung durchaus weniger Kopfstände nötig sind.

Hervorheben möchte ich auch, dass zwar zuweilen die
Freien-Software-EntwicklerInnen Sorge haben, mit unserer Theorie
würden sie in die kommunistische Ecke gedrängt - was aus meiner Sicht
unbegründet ist -, ich kann mich aus dieser Szene bisher nicht daran
erinnern, fundamentale Kritik an unserer Theoriebildung gehört zu
haben. Die ProtgaonistInnen scheinen sich da also durchaus drin wieder
erkennen zu können.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan
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