[rohrpost] Nachgedanken zur Medientheorie-Debatte
Peter C. Krell
pc.krell at game-face.de
Mit Jan 12 20:44:00 CET 2005
Vielen Dank, Florian, für Dein öffentliches, abrundendes Resümieren.
Bitte gestattet mir trotz anhaltender Abstinenz aus der Diskussion um die
deutsche Medientheorie ein paar Anmerkungen zu Deinem letzten Posting:
Ich erachte die Differenzierung zwischen Physik/Technik einerseits und
Kunst/Gestaltung andererseits als Raster für einen noch zu findenden neuen
Medienbegriff als wegweisend, da er zunächst verführend einfach und
stringend zu sein scheint. Auch wenn ihm dadurch die Kittlerische Esotherik
eines imaginären höheren Wesens, das im Medium als Medium und Mittler
auftritt, verloren geht.
Marschall Mc Luhans Negierung der zuvermittelnden Inhalte im Medium
zugunsten des Mediums fand zu einer Zeit statt, als man sich der technischen
Medien als solcher nicht bewußt zu sein schien. Als Linguist jedoch
bereitete er jedoch mit der damals neuen Fokusierung auf Medientechnik einer
ganzen Disziplin den Weg, die vor allem mit deutschsprachigen Ikonen der
Wissenschaft wie Friedrich Kittler in gelebten, interdisziplinären
zahlreiche Anschlusspunkte zu anderen wissenschaftlichen Disziplinen schuf,
ihnen ein neues theoretisches Fundament verlieh und letztendlich durch die
fundierten Philosophischenquellennennungen der Philosophie ihre
allumfassende Mutterschaft zurück in den Schoß legte.
Dass die Technikentwicklung jedoch am basalen Fundament aller Wissenschaften
- den Wortsprachen der Welt nämlich- selbst zu nagen begann und teilweise
auch durch neu erschaffene, zum diskreten interfacierten
Mensch/Maschine-Dialog erfundene Programmiersprachen dazubeitrug, die von
Heidegger antizipierte neu emergierte Wesenshaftigkeit des Technischen als
Ausdruck eben dieser neuen Ontologie im Sinne der Kybernetik steuerbar und
dem menschlichen Wollen dadurch empfänglich zu machen, zeugt davon, dass die
Evolution der kommunikativen Systeme auf der Basis neuer epistemischer
Grundlagen als Bild-Schrift-Zahl eine neue Sprache antizipierbar werden
lassen, die in vielen Romanen der inzwischen versiegten Cyberpunkbewegung
utopisch beispielsweise auch im "Metaverse" (Gibson) halluziniert wurden.
Erfürchtige Wissenschaftler und Besucher von Freidrich Kittler wie z.B. Lev
Manovich rekurrieren auf diese kulturellen Vorgaben, in Büchern wie "The
Language of New Media" und denken, dabei sämtliche medialen Formen als
konvergentes Ganzes, die sich alle um ein Menschen gegebenes
Ausdrucksbedürfnis herumranken und dem zu verschiedenen Zeiten verschiedene
Ausdruckskanäle und soziale administrative Vorgaben formend
gegenüberstanden.
Sollte die medienimanente Suche der Theoretiker wie Praktiker im Auffinden
neuer Ausdrucksmöglichkeiten einer Weltgesellschaft münden, könnte man sich
nicht nur über die Überlieferungen und Hinterlassenschaften einer westlichen
Philosophie-Tradition hinwegbeugen, sondern auch im Verbeugen, die neue
Aufmerksamkeit Friedrich Kittlers für möglicherweise nicht-Schrift-gewordene
Lehren und Lehrpraktiken und kovalente Cokonnotationen der Orginaltexte
teilen. (Z.B. Dem vielseitigen Gebrauch des altgriechischen Alphabeths).
Ich denke, dass die neuen Theorien der (Neuen) Medien auch dazu in der Lage
sein müssen, ihr ende in einer neuen Medien-Praxis zu antizipieren.
Ob ein Rohling dann wirklich als Medium interessanter als seine möglichen
Inhalte/Inhaltsmöglichkeiten und Komprimieralgorithmen ist, bleibt eine
Frage, ohne die die Debatte um einen neuen Medienbegriff durchaus
auszukommen in der Lage ist, wenn sie sich neben der Theorie auch um eine
Praxis im Sinne des Gropiusschen Werkstatt-Gedankens bemüht.
Linguisten haben da den Vorteil, dass sie mit im Computerzeitalter
altertümlich anmutenden Mitteln versuchen, dass zu betreiben, was die
Forrier Abstastalgorithmen in quantisierte Sinuswellen umgewandelt haben und
ihr Gegenstand jedem sprechenden Menschen vermittelbar oder zumindest
bekannt ist. Im Hinblick aber auf all jene nicht gesprochenen Sprachen, die
wie HTML, Java und C und C++ und C# etc. unsere Zeit beherrschen und keiner
wirklich, die kaum dokumentierten Hardware-Elemente in einem Computer kennen
kann, der nicht bei einer großen Coporation arbeitet und einen dekadenlangen
akademischen Werdegang vorzuweisen hat.
Insofern stellt sich hier auch die Frage nach dem geistigen Eigentum auf
einer ganz neuen Basis.
Vielleicht kann man keine zeitgenössische Medientheorie betreiben, wenn die
Corporations aus wettbewerbstechnischen Gründen derart mit ihrem Wissen
hinter dem Berg halten. Stellenweise ist es auch schwer genug die Software
richtig zu verstehen. Und was sich da unter dem Namen "Longhorn" aus den
Microsoft Entwickler Studios auf uns zubewegt, vermag zur Zeit keiner zu
ergründen oder gar zu bewerten, der nicht über tiefere Software Kenntnisse
verfügt.
Einer ernstzunehmenden Theorie Tätigkeit sind damit meines Wissens nach die
Hände gebunden. Was wäre also radikaler als direkt in der Antike anzufangen
mit Recherchen, die wohlmöglich einfacher zu betreiben sind.
Ich denke daher auch, dass Worte/Begriffe wie "Computerkultur" allein schon
daher problematisch sind, da sie den Eindruck erwecken, es gäbe eine Kultur
und eine Computerkultur. Dies halte ich für einen Irrtum.
Mit selbstinversiven Grüßen, automorph
Peter C. Krell
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> Welchen Anspruch hat Medienwissenschaft, wenn sie
> zugleich auch Zeichenwissenschaft ist? Träte sie also an die Stelle der
> Semiotik, müßte dann z.B. Linguistik künftig eine Unterdisziplin der
> Medienwissenschaft sein?
Alles deutet darauf hin, dass sich auch im Hinblick auf Lev Manovich
Überlegungen eine "Launguage of New Media"