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Mon Okt 5 12:01:57 CEST 2009
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=-| n0name nachrichten #143 Mo., 05.10.2009 11:34 CET
*Inhalt/Contents*
a
1. Selfmadekids: So jung und schon so aufgeklaert
Das Katalogbuch zur Ausstellung _Work to do!_
32 KB, ca. 9 DIN A4-Seiten
b
2. Debord - La Société du spectacle.srt als .txt 7 und Ende
3. Rezension von Sabine Nuss. _Copyright & Copyriot_ 41
4. (Ein zu entwickelndes) Oekonomisch politisches FQA* zur
Piratenpartei 1.0
30 KB, ca. 10 DIN A4-Seiten
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a
1.
Selfmadekids: So jung und schon so aufgeklaert[1]
Das Katalogbuch zur Ausstellung _Work to do!_
Dass man den White Cube laengst schon verlassen habe, aber dennoch
immer wieder institutionell auf ihn zurueckgreifen muss, ist die Lehre
nicht erst der letzten Grossausstellungen wie etwa der Documenta.
Aber, was wir Kunst nennen, schreibe sich, nach einer Staatstheorie
Gramscis und Cultural Studies, mittlerweile ungebaendigt in die
Gesellschaft ein, da alle intellektuell taetig seien. Oekonomie bilde
die Rahmenbedingungen, werde aber kulturell erlebt und dafuer gibt es
Staetten. Was aber unterscheidet die Relevanz des Kuensterlischen von
der des alltaeglichen Alltags, oder anders gefragt, wie sieht dieser
im Kontrast aus? Wie ein prozessuales Ausstellungsprojekt sieht er
nicht aus und wiederum doch, da die Aesthetisierung des Alltags
voranschreitet. Genau das Spielfeld der "machtlosen Linken", die sich
in ehemaligen Fabriken (die Shedhalle ist die Bauhuette) trifft. Was
macht sie da? Probt sie den "Uebergang eines 'organischen' und in
hierarischer Ordnung definierten und ideologisierten
Gesellschaftsbegriffs in ein polymorphes [...]system"?[2]
Was unterscheidet die politische Praxis dieser Generation der um die
40jaehrigen von den messianischen Aktionen eines Beuys und seiner
Anhaenger, dessen Gestus, einen Baum zu pflanzen, auf Spenden aus der
Bevoelkerung angewiesen war, mit Slogans wie "Bringen Sie Ihren Stein
ins Rollen" und "Eine Idee schlaegt Wurzeln"? Was ist anders an
reflektorischen Ambitionen zu erfahren, wie Selbsorganisation
funktioniert, im Vergleich zu Aktivitaeten wie des "Krisenaktionstags
Nulltarif" mit einem Flyer, auf dem mit einer Umsonstkarte fuer die
U-Bahn fuer eine klimagrechte "Mobilitaet fuer alle" geworben wird?
Es gibt einen Unterschied, und gerade dieser waere in einer
gegenseitigen Annaeherung von Kunstwelt und Politwelt zu
mediatisieren, das ist die Stossrichtung von _Work to do!_. Doch
dieser Vorgang wird kritisch. Die Noete und Beduerfnisse der
Subalternen (wieder Gramsci), derer, die vielleicht noch nichteinmal
mehr profitabel ausbeutbar sind, der Abschaum, werden von denen, die
noch genuegend Stimme und Kraft haben, in einer Taktik der
Selbstsubalternisierung zur Sprache gebracht. Das Signum der
Subalternen, ihre Subsistenzwirtschaft, ihr Vegtieren, wird dabei --
um Maria do Mar Castro Varela und Nikita Dhawan unkenntnisreich zu
ergaenzen -- von den Kulturmachern als Anknuepfungspunkt gelesen.
Und schon rutscht man in perfide Schichten- und Klassenmodelle
hinein. Wer ist prekaerer Arbeiter, wer bereits oder noch Sklave,
wer macht Null-Arbeit, wer ist erwebstaetig? Gerne wird diese
Problematik aufs "Taetig sein" verschoben.
Obwohl die Schichten-Differenzierung von Varela und Dhawan, die an die
Unterscheidung von Lumpenproletariat und Proletariat erinnert, zum
Verstaendnis der aufgeteilten gesellschaftlichen Gruppen hilfreich
erscheint, werden mit ihr die Subalternen von kapitalistischen
Strukturen entbunden. An einem entscheidenden Punkt fuer das
Verstaendnis der Lage wird die Analyse undeutlich. Denn zu
beantworten waere nicht, dass vom kapitalistischen Verwertungsprozess
Ausgeschlossene eben ausgeschlossen sind, sondern warum und in
welchem Sinn. Sie sind ja nicht deshalb a-profitabel, weil ihre
Subsistenz nicht ausbeutbar ist, sondern weil sie fuer das Kapital
keine verwertbare Arbeitskraft darstellen. Yvonne Riano will diesen
"Auschluss" vom Profitherstellungsprozess gerne aufheben, und, ganz
wie die Anti-1-Euro-Job-Kampagnen hierzulande, alle
pseudoberufstaetigen und immigrantischen Sklaven an
sozialversicherte Normalarbeitsverhaeltnisse heranfuehren. Das ist
der heimlich-offene Diskurs des gesamten Buches, das wird als die
Arbeit, die zu tun ist, erzaehlt. Die Widerherstellung der
gesicherten Verhaeltnisse, aber anders als bisher.
Umschrieben wird das als "sozio-oekonomische Teilnahme" und gekoppelt
mit "kultureller Identitaet". Das soll nach Soenke Gau und Katharina
Schlieben nun bewusst in gesellschaftliche Felder eingeschrieben
werden. Fragt sich, in welche, in die Felder des Sozio-Oeknomischen
oder des Kulturellen -- in beide? Zu welcher Trennung beider ist man
'eigentlich' faehig und seit wann? Welcher ist denn der Kunstkontext
und der Nicht-Kunstkontext, vom dem die Rede ist? Die Trennung des
sogenannten Kulturellen von anderen Sphaeren, denen der Oekonomie, der
Produktion, des Wohnens, des Sex -- kommt sie nicht mit der
buergerlichen Demokratie zusammen und zerteilt seitdem als Diskurs,
also als Gewalt, die Verhaeltnisse. Und was ist dann der Wandel der
Arbeitsverhaeltnisse als Diskurs, der nun zur "Kenntnis" genommen
werde?
Diese Kenntnis geht, vertreten von Gau und Schlieben und von diesen
gluecklicherweise mitreflektiert, vom Standard der urbanen
Mittelschichten aus, die betroffen von der Globalsierung usw. ... Der
Maszstab ist der Arbeiter, der zum Kulturarbeiter wird, wie sich
manche der Buchautorinnen und Ausstellungsbeteiligten bezeichnen.
Ungesagt bleibt, dass die Kulturproduzentinnen zwar privilegiert, aber
im Sinn der Profiterzeugung keinesfalls Arbeiterinnen sind. Sie
werten zwar Kontexte auf, zum Beispiel die der Zuercher Kantonalbank
etc., aber sind direkt ja nicht an der Mehrwertproduktion beteiligt,
wie die Bank uebrigens auch nicht.[3] Wenn also Trennungen, dann als
kategoriale Differenzierungen, die nicht einfach zu ueberschreiten
sind, die zunaechst zur Kenntnis gebracht werden muessen. Die Figuren
der Selbsorganisation unterliegen einer gewissen
Selbstueberschaetzung, indem man sich, wenn auch wissend und
melancholisch-ironisch, den Blaumann ueberzieht: "Every Monday,
Mister Blue works form sunrise to sunset. [...] But what he forgets
to say is that he made his tools himself." Doch wiederum, ohne
vorgeschossenes Kapital kein einziger Schraubendreher.
Man bemueht sich um den Abstand vom symbolischen zum konkreten
Handeln, den man zu ueberspringen sich anschickt. In den Biographien
tritt das immer wieder hervor, in denen steht "lebt und arbeitet in"
der und der Stadt. Leben muessen oder wollen alle, zu welchen
Konditionen aber arbeiten diejenigen dieser kritischen,
produktivistischen Elite der Kultur? Das erste Foto im
Ausstellungskatalog-Buch macht es ebenso deutlich: Holzplatten,
Geruempel und Saege- und Bohrmaschinen in der Eisenarchitektur der
Ausstellungshalle, gestapelte Paletten, ausrangierte Tueren, alles
nuechtern abgebildet. Es riecht nach Arbeit, die zu tun ist oder war.
Honorare aber sind kein Lohn, sie loesen sich, wie Gau und Schlieben
wissen, dann auf, wenn die schwindenden Profite ueber den Umweg der
Ministerien den Kulturbueros diktieren was noch bezahlbar ist. Sind
darum die Fotos aus der Shedhalle in Zuerich, abgesehen von Bildern
der Symposien voller Diskutanten, menschenleer aber voll von
Geraet und Material? Ist das der Blick hinter die Kulissen, der allein
noch gezeigt werden kann, weil es keine Kulissen mehr gaebe? Oder
will man eben sagen, hier wurde gearbeitet wie anderswo?
Die hier herausgefundene Grundtendenz des Buchs, fuer eine bessere
oekonomische Gesellschaft und Kritik der momentanen kulturellen
politischen Ideologien und das Ueberspringen des Abstands vom
symbolischen zum konkreten Handeln im Labor, wird bestaetigt durch
die dokumentierten Projekte, Ausstellungstopoi und Filme (u.a.
Andrea Knobloch mit Sophie Taeuber, _Scuola Senza Fine_, _more work to
do_, das Hausbauprojekt von Koebberling und Kaltwasser) und
insbesondere durch den Aufsatz von Sven Appelt. Er behauptet richtig
die Neustrukturierung des Industriekapitalismus[4], behauptet falsch
den Zusammenbruch des Sozialismus, der keiner war, behauptet das Ende
der Massenproduktion und verengt die Argumentationslinie dann auf
die Frage nach der Organisation von Arbeitsprozessen. Er will
realistische Perspektiven fuer prekaer Beschaeftigte eroeffnen und
stellt das Versagen staatlicher und privatwirtschaftlicher
Einrichtungen anheim. Er spricht ausgleichend von ArbeitnehmerInnen
und ArbeitgeberInnen und ihren ineinandergreifenden Interessen.
Alles wird bestenfalls zu einem Konflikt heruntergeschrieben. Vom
Widerspruch von Arbeit und Kapital keine Rede. Es geht jetzt um die
"Gestaltung offener Strukturen". Die Arbeitswelt sei nun nach
Sebastian Brandl und Eckard Hildebrandt[5] mit einem Mischmodell aus
formeller und informeller Arbeit quasi Verhandlungssache. Letztlich
geht es Appelt um die Regulation des "Arbeitsmarktes", von dem er
lediglich den Begriff hat, dass dieser die Erwerbspersonen ernaehre.
Genau was co-managende Gewerkschafter erquicken duerfte. Das Regulieren
laeuft dann auf das bedingungslose Grundeinkommen hinaus, welches eine
Oekonomie der Fuelle bezwecke, im Gegensatz zur Oekonomie des Mangels.
Prekaritaet (Mangel), die Folge des Loharbeitregimes, wird auf diesem
Weg verdreht zur Ursache und verallgemeinert zur Oekonomie als
solcher. Lohnarbeit soll aufgehoben werden durch DEN sozialen
Fonds fuer 'alle', damit 'sie' (Privateigentuemer der
Produktionsmittel und Arbeiter zugleich?) ihre Eigenarbeit,
Gemeinschaftsarbeit und Versorgungsarbeit und schlieszlich die
Erwerbsarbeit frei waehlen koennen, fuer eine echte Produktivitaet
(Fuelle). Fuer wen aber, fuer sich oder fuer ihren Arbeitgeber? Man
kommt nicht umhin, das staatssozialistischen Kapitalismus zu nennen,
allerdings mit dem dunklen Schatten des paradox freiwilligen
Arbeitszwangs am Horizont. Schliezlich will sich laut Sven Appelt
jeder ja mal was dazu verdienen. Entscheidend bleibt naemlich, wie
er meint, das "dynamische Zusammenspiel verschiedener Arbeitsformen"
welches dann dialogisch, kommunikativ[6] ausbalanciert wird.
Der Kapitalbegriff, den Appelt hier anwendet ist keiner. Er macht
allgemeine regulatorische Vorschlaege zur Gestaltung des
gesellschaftlichen Zusammenlebens, wie er es nennt. Da helfen
bankleers Versuche, die gescheiterte proletarische Revolution
Russlands mit Lenin zu dekonstruieren nicht viel weiter. Seine
Untoten-Puppe durch die Einkaufstrasse zu zerren, birgt als Antwort
auf seine Was tun?-Frage nur Regress. Hatten da die Goldenen Zitronen
in "Lenin" nicht treffender und infragestellender formuliert, dass
die Aufhebung des Terrors durch Terror haette funktionieren koennen?
Immerhin bieten bankleer textuell ihr Interesse an der "Moeglichkeit,
in Distanz zum Staat zu gehen" und lassen auf den "Dissens zu unserer
orientierungslosen liberalen Demokratie" blicken. Bei der Frage der
Organisation geht es ihnen zwar nicht nur um das Selbst des "Selbst",
sie sprechen von Gruppen, die sich neu bilden koennten. Gleichwohl
bleibt ihre Vorstellung von der spezifischen Situation, in denen das
passiert, unspezifisch. Ihr zweiter Beitrag kann als Illustration
dazu gelesen werden.
Ein Nacktaenzer, unscharf im Gegenlicht der Sonne in den
schweizerischen Bergen, Ringelreihen und die neblige Insel im Lago
Maggiore. Was Christoph Leitner, Karin Kasboeck und Kollegen gelingt,
ist Frederic Jamesons positive Bewertung utopischer Fantasien von der
Kritik Ernst Blochs an abstrakten Utopien abzusetzen und mit ihrem
eigenen Ansatz am "existenzialistischen Dasein einer im
marginalisierten sozialen Raum agierenden Bevoelkerungschicht" zu
zerbinden. Zerbinden, weil sie nicht naiv die Utopie der kleinen
Insel auf dem See uebernehmen, sie rekonstruieren diese im
Gruppenspiel, zwischen NLP und Performance, dokumentieren dies und
basteln daraus diskurstheoretische Lagen. Waren da Lisa Tetzner und
Kurt Held nicht naeher an den Wirklichkeiten mit ihrer Erzaehlung
ueber die Jungen, die im 19. Jahrhundert von aermsten Tessiner
Bauern nach Mailand zur Sklavenarbeit verkauft wurden und die ueber
eben jenen Lago Maggiore verschleppt wurden? Am Ende der Geschichte
organisieren die Jungen uebrigens den Widerstand gegen ihre Besitzer.
Doch wo bankleer mit Jameson gegen Bloch die ernst zu nehmende
Natur-Utopie stark machen wollen, das heisst, weg von der
destruktiven Industrie, hin zu nachhaltigen Huette mit
Aussteigerfinanzierung in den Bergen, verkennen sie vielleicht nicht
die Robinson-Situation dieser Versuche, haben aber Bloch inmitten des
Tanzes leider nicht ganz wiedergegeben. Der spricht nicht allein
von der Natur der Moderne als Statthalter oekologischer Grenzen, die
wider die totale fortschrittliche Ausbeutung durch den
"Industriekapitalismus" stehen, wie bankleer. Er schreibt, vielleicht
selbst utopisch, zumindest vordenkend Sozialismus im Auge, vom Subjekt
der Naturvorgaenge: "An Stelle des Technikers als bloszen Ueberlisters
oder Ausbeuters steht konkret das gesellschaftliche mit sich selbst
vermittelte Subjekt, das sich mit dem Problem des Natursubjekts
wachsend vermittelt."[7] Die Arbeit an der Natur und mit ihren
Rohstoffen ist zwingend gegeben und die zweite Natur der globalen
Metropolen zeitigt, so kann man mit Bloch an anderer Stelle sagen,
"die unabdingbare Einsicht in die oekonomischen Gesetzmaeszigkeiten"
zu einem guten Ende, wie er schlieszt.[8] Wenn also Utopie, dann auch
Utopie der Technik. Wenn auch sicher Gruene gerne Bloch gelesen haben
und aktuell auf oekologische Technologie gesetzt werden muss, um die
kapitalistische Produktionsweise und das Regime zu retten.
Die simple Gegenueberstellung einer die Maszlosigkeit des
Materialismus begrenzender Natur mit grenzenlosem schlechtem
Kapitalismus erinnert heftig eben an die Beuyssche vom Baum, der
Verwaldung gegen Verwaltung und bringt Begehren und Realitaet[9] auf
die Alternative von existenzialistischer Vergaenglichkeitsapokalypse
oder bloedem Produktivismus. Das Interesse am nicht nur
herbeigeredeten Anderen (den Subalternen, den Prekarisierten, dem
Proletariat) nutzt hier naturzugewandte Utopie als Test-Topos und
Fluchtlinie fuer die Installation eines Subjekts ausserhalb der
menschlichen Beduerfnisse und unterschlaegt den Vermittlungsvorgang
beider. Zudem werden Tausch und Konsum in Verbindung zur Arbeit zu
unbestimmmt gesetzt. Der Zusammenhang von Arbeit und Konsum ist eben
kein ideologischer, wie bankleer meinen, er ist ein Vorgang der
materiell und geistig entfremdenden Enteignung und nicht nur einer
der Entkopplung.
Wo bankleer de-propagieren, wo sie die Leiche der russischen,
bolschewistischen Revolution auf den Bankautomaten legen und den
Antiutopisten ihr Hassobjekt Naturverbundenheit entgegenhalten, wo
sie Performance-Modus bleiben und das dann als Aufarbeitung erklaeren,
erscheinen die »voluntaristischen Gecekondus« von Folke Koebberling /
Martin Kaltwasser wie "nutzbare Architektur", wie etwas
handfestes. Dabei sind die symbolischen Handlungen, mit denen man
das Symbolische zum Konkreten hin ueberschreiten will, deshalb
symbolisch, weil nur eingerichtete und kurzgerichtet auf die
oberflaechliche soziale Lage der bedingten Gegebenheit abgestimmte.
Sie bleiben temporaeres HighEnd-DIY, immer mit einer Nabelschnur zur
Industrie des Entwerfens und Bauens und den Infrastrukturen. Henri
Lefebvre kritisierte in den fruehen 1970er Jahren solchen Schein des
Urbanismus der Urbanisten, die Verhaeltnisse blosz um-bauen und
umbauen.
Wenn es ein Anderes gibt, an dem man und mit dem man
nicht-lohn-arbeiten moechte, dann muss man auch sehen, dass die
_anderen Anderen_, die Kapitalisten, da mitzureden haben. Lokales
Kapital ist keines, es ist das fantasierte, utopisch bleibende
Vermoegen auf Zeit. Koebberling / Kaltwasser ueberbruecken
bestenfalls Notlagen, machen auf sie aufmerksam oder zeigen was
ginge. Aber Haeuser aus Resten sind keine Option, hoechstens fuer
den Slum, die freundliche Favela, das Recycling-Design Department,
die Istanbul-Begeisterung. Das Selbstverstaendis der Kulturmacher
kann darueber nicht hinaus, will aber immer von Einflussnahme und
Lebensmodellen traeumen. Das tun Wagenplaetze auch, die fuer
Alternativen zur "kriselnden Marktwirtschaft" gehalten werden, wo
man "frei von wirtschaftlichen Zwaengen" das Ganze gerne aus den
Augen verliert, wenigstens "kleinfoermig gute Praxis" feiert.
Catherine Hoskyns will aber beides, die kleinen Plaetze und die
grosse Politik und einen fairen freien Handel. Der Umsonstladen, der
im Buch nicht fehlen darf, verweigert sich dem und faellt aus der
fairen Verwertung heraus. So ist aber die Logik der Verwertung auch
gut verstehbar. Was Mehrwert realisiert hat (der alte Hut) oder nie
realisieren wird (politische Kunst), ist umsonst zu bekommen. Uebrig
bleibt der sehnlich gesuchte Gebrauchswert von altem Zeug.
Bea Schwagers negativer Einwurf des Scheiterns beim Versuch, die
guten Inhalte in "den offiziellen politischen Prozess einzubringen"
muss denn auch von Katharina Schlieben korrigiert werden, indem sie
die neuen antihomogenen, sprich heterogenen Formen des Protests
hervorhebt und auf der Trennlinie zwischen Politik und Kunst den
Polylog verorten mag. Was diese neuakzentuierte strategische
Vielstimmigkeit dieser Verbuendeten, der Kunst von unten und der
Politik von unten, zu leisten vermag, etwa im Rueckblick auf aehnliche
Veranstaltungen wie z.B. die Ausstellung "Faktor Arbeit" in der NGBK
in Berlin 10 Jahre zuvor, kann am theoretischen Sound abgelesen
werden, der sich in Katalogen immer niederschlagen laesst. Damals
schon richtete die ausbeuterische Leiterin Leonie Baumann den Leser
auf das "Potential an menschlicher Kreativitaet" aus, "das beim
heutigen Stand der Produktivkraefte dringend gebraucht wird."
Baumann und die NGBK sind deshalb ausbeuterisch, weil die
Perspektive auf dieses Kreativpotential ganz basisdemokratisch dem
Verein etwa gut 10 funktionierende Austellungen pro Jahr
beschert[10], bezahlt von Lottogeldern, erarbeitet durch maximal
selbstorganisierte Selbstausbeutung.
Es muss in der Oranienstrasse 1997 zugegangen sein wie in einem
sozialdemokratischen Think Tank. Da sollte ein sozialer Krieg
verhindert werden und ein neuer Gesellschaftsvertrag musste
entstehen, eine Kultur des Teilens musste erlernt werden und
grundlegende Reformen wurden gebraucht. Es wurden Ulrich Beck und
Anthony Giddens zitiert, die eine zweite Moderne forderten, man
wollte in einem zukuenftigen Zeitalter jenseits von Moderne und
Industriegesellschaft eine neue Lebenskunst, neue Wege des
Zusammenseins, des Handelns, Kreierens und Verteilnes. Die
Besichtigung von Arbeit hiess damals vor allem der sich abzeichnende
Angriff auf das Normalarbeitsverhaeltnis. Peter Funken war fuer
"Uebungen zum Handeln" und Hannah Arendts Begriff des Handelns
(_Vita activa_), formuliert in Abgrenzung zum Kreislauf von
Produktion und Reproduktion, gegen Arbeiten und Herstellen, musste
herhalten, um diese vermittlungslose Vermittelbarkeit, eine
Unmittelbarkeit menschlichen Tuns zu erreichen. Am Ende stand ein
negativistischer Arbeitsbegriff ohne Negation von Lohnarbeit und
eine wage Idee von sogenannter Beschaeftigungspolitik und wie
immer die 'eigene' Suboekonomie. Der eigene TV-Sender, das
Aktivieren von Arbeitslosen oder das sich-Aktivieren ueber das
Schicksal von Arbeitslosen.
Kunst uebernimmt demnach die Sozialarbeit vor Ort oder die
Stadtplanung, die Armenspeisung, und haelt transnationale
Solidaritaet hoch (Varela und Dhawan), also mit einem Gefuehl fuer
die Ablehnung des Nationalen, aber auch mit der vorschnellen
"globalisierungskritischen" Aufhebung des Internationalen. Die
Sozialkunst mit einem Schlag Dada oben drauf, die angeblich Arbeit
zu tun hat, folgt dabei allzu willig pseudoanalytischen Erzaehlungen
der Erwerbswelt und will Flash-artig[11] underground-Tatiken einholen
und auch noch neu beliefern, sie bedenken. Heraus kommt die Skulptur
eines Arbeitsregime light, das keiner braucht und nur die
"Bewusztlosigkeit" der kulturalistischen Linken dokumentiert. Denn
am Ende des Lamento ueber die eigenen (Nicht-Lohn)Arbeitsbedingungen
und der banalen Idee der informellen Parallelstruktur
(WG-Zimmertausch, Mitfahrer, Mitesser usw.) steht nach wie vor die
Honorarpolitik ganz oben auf der Liste.[12]
Ich glaube, dass das Informelle Soziale das neue Ding sein wird oder
bereits ist. Das Thema des Informellen der Politkunst wird, wie der
Underground des Pop, zwar nicht so richtig wuenschenswert
subventioniert, aber wenige werden das informelle Arbeiten, das
trivial gesehen millionenfach alltaegliche "Praxis" des Ueberlebens
ist, in die Tradition des Widerstaendigen, des Zwecklosen aber
zweckvoll gemeinten und des Dokumentarischen aus der Kunst einreihen
und ihre Karrieren darauf bauen, in Zuerich, Frankfurt, New York.[13]
Dabei bleiben sie, besonders im Fall des gestalterischen Eingreifens,
etwa bei Koebberling und Kaltwasser und ihren "new public space[s]
designed for un-determined interaction"[14], nachdenkenswerterweise
weit hinter zum Beispiel dem zurueck, was das Bauhaus im Anschluss an
die Massenproduktion zu schaffen vermochte. Bei allem Respekt vor der
individuellen Leistung.
Die Nichtkategorisierbarkeit der Spielraeume dieser Praxen[15], von
der im Buch die Rede ist, die neoliberal vereinnahmt wuerden, folglich
in sich integer seien, diese angebliche neue Stellung der kritischen
Kunst wird aber nicht an dieser buegerlichen Norm von Kunst scheitern,
welche die kritische und erweiterte wieder in Disziplinen des
Schoenen, des Design, der Architektur, der Medien, des Werks usw.
pressen will. Sie scheitert an ihrer inhaerenten Unkenntnis und
Ausblendung der bestehenden Politik der herrschenden Oekonomie. Sie
sieht aesthetische dort wo die Autonomen militante Aktion seheh wollen
und wird weiterhin nach Kulturfoerderung schreien, monetaer und
inhaltlich! So wie es in der Bundesrepublik schon vor Jahren die
Vorgabe seitens der Bundeskulturstiftung war: Bildet Heteronomien![16]
Sozialkunst ist un-freiwillig staatstragend und damit ist sie
unmoeglich. Sie hat momentan bereits 'nur' geschichtlichen Wert, weil
man an ihr wie auf alten Gemaelden ablesen kann was nicht geht.
Ich denke nicht, dass man da bequem zwischen irgendwelchen Stuehlen
sitzt, sondern dass die Kuratoren usw. sich an der Stelle ganz
einfach entscheiden muessen, ob sie das demokratische System weiter
mit der Aesthetik des Widerstands versorgen wollen. Fuer "Work
to do!" geht es in der Selbstkritik der eigenen Funktion
perspektivisch nicht sehr weit ueber Finanzierungsfragen hinaus. Die
konsequente Arbeit, die zu machen waere koennte vielleicht lauten,
die Illusion einer immernoch irgendwie gearteten Autonomie, die in
der Absage an Kategorisierbarkeit enthalten ist, aufzugeben und die
Klartexte zur Kunst und seine Agenten erstmal zu kapieren und
auseinanderzunehmen. Also die Buerokratie des eigenen Sektors zu
bekaempfen. Buerokratie, die mehr ist als blosz eine Art der
Organisation. Aber Streik ist in dieser Branche undenkbar. Dafuer sind
der Grad der (Selbst)Organisation zu niedrig und die Egos zu gross.
_________________________
[1] Nach der Ueberschrift einer Buchbesprechung ueber _Enterprise:
Ein Logbuch fuer Jungunternehmer_ der _Rowohlt Revue_ Oktober,
November, Dezember 2000 (Original: "Die Selfmadekids: So jung und
schon so erfolgreich").
[2] Der "steirische herbst 97" begann so seinen Leittext zum
Thema "Social Bodies": "Im Uebergang eines
'organischen' und in hierarischer Ordnung definierten und
ideologisierten Gesellschaftsbegriffs in ein polymorphes
Informationssystem [...]". Setzt man das Alte als ideologisch
an, und behauptet das Neue als polymorph, dann setzt man sich
damit vom Ideologischen ab und gruendet unbestimmt positionslos
eine Vielstimmigkeit, die allein schon aus der Pluralitaet
ihrer Stimmen widerstaendig sei. Widerstaendig aber gegen was?
[3] Unterschieden werden davon muessen die Kuenstler, die mit ihren
warenfoermigen Artefakten tatsaechlich marktgaengig Geld
umsetzen. Doch sind beide Gruppen, staatlich/privat Gefoerderte
und Kunstmarktgaenger parasitaer abhaengig von Geldfonds aus dem
Profitlager oder von Steuergeldern oder von ueber das Wuenschen
der Subjekte eingetriebenem Geld (Lotto). 'Produzenten' dieser
Fonds sind die profitablen Lohnarbeiter. Man muss nicht umsonst
unterscheiden zwischen, im Sinn der Kapitalien und ihrer
Muss-Profite, produktiven Arbeitern und unproduktiven
Arbeitern. Nur wer fuers Kapital Mehrwert und letztlich
Profit erzeugt, ist profitabel, also produktiv. Die Subjekte
der aesthetischen Produktion, sei sie mit explizit politischer
oder impliziter Schoenheitsfunktion behaftet, zaehlen demnach
nicht zu produktiven Arbeitern, da sie in den Profit nichts
einbringen. Es handelt sich also streng genommen nicht um
kulturelle _Arbeiterinnen_, wenn diese ein temporaeres Haus
aus Baumaterialresten entwerfen und aufstellen. Ihrem
Selbstauftrag, oder ihrem fuer Sie im Zusammenhang mit staatlich
bezahlten Auftragebern gewonnene Auftrag, kommt ein fuer das
Kapital hoechstens ideologisch bemessbarer oder unterhaltender
Wert zu. Die aesthetischen Produzentinnen stehen im Fall der
institutionellen Kulturproduktion ausserhalb der
Kulturindustrie, sind Kulturmanufaktur auf unterstem
Ausstossniveau mit Entwurfscharakter, der mitunter
prolieferiert, was fuer die Erhaltung der konstruktiven Kritik
am System noetig ist. Was sie mit fuers Kapital produktiven
Lohnarbeiterinnen teilen, ist die grundsaetzliche Prekaritaet
der Lebens- und Arbeits-Existenz.
[4] Appelt schafft das mit einem Fussnotenverweis auf den
Luhmannschueler Dirk Baecker, dessen strukturalistische
Systemtheorie dem demokratischen Kapitalismus offenbar wohlfeile
soziologische Theorie bietet.
[5] Beide vom Wissenschaftszentrum fuer Sozialforschung in Berlin.
[6] Dialogisch statt monologisch zu sein, ist das Anliegen der
inneren Vermittlungsablaeufe des Projekts, so die
Herausgeberinnen in Ihrem Vorwort, das sie selbst-distanzierend
Kommentar nennen. Eine verobjektivierende, wissenschaftliche
Redeweise, die Fakten schafft, dokumentiert und dann bespricht,
oder laborhafte Situationen aufwirft und erlaeutert? Die
Distanznahme ist ein 'Trick' mit dem der eigenen Stelle eine
kritische Haltung zu den getroffenen Aussagen und gefundenen
Bedeutungen verliehen wird. Die politischen Forderungen
bekommen so etwas Sachliches und 'Fotografisches'. Die
Forderung nach wirklicher kommunikativer Auseinandersetzung
rueckt so aus dem Image der nur Bilder machenden bildenden
Tableau-Kunst heraus auf eine Ebene des harten Realismus des
Einbringens, der nur noch abzubilden sei oder aber medial so
abgeklaert erscheint, dass mit ihm jede aussersachliche,
ausserrealistische Instrumentalisierung abgewiesen werden
kann. Auch Andreja Kuluncic betont den politischen Dialog und
die Rolle der Kuenstlerinnen-Aktivistinnen als
Dialogpartnerinnen. Das ist erkennbar der bekannte,
vermeintlich interessegeleitete-interesselose
Vermittlungsprozess, wie er von NGOs gepflegt wird.
Organisationen, die sich, wie etwa im Fall von Killer Coke, als
gute Lobby gerieren und soetwas wie das ausserparlamentarische
Parlament fuer Fragen der Kontrolle der Konzerne und Parlamente
darstellen. Die angelegte Selbstrepraesentation (siehe im Buch
Emma Hedditch) ist also eine, die am Schattenspiel des
repraesentativen Parlamentarismus, dem Theater der Diktatur des
Kapitals, nicht vorbei kommt und zugleich demokratische Ablaeufe
suggeriert.
[7] Ernst Bloch. _Das Prinzip Hoffnung_. Zweiter Band. Frankfurt am
Main: suhrkamp, 1959. S. 777.
[8] -. _Das Prinzip Hoffnung_. Erster Band. S. 516.
[9] Begehren und Realitaet sind fuer die kapitalistische
Situation zu unscharfe Begrifflichkeiten, da die Begehren in der
kapitalistischen Realitaet eben bestimmte sind.
[10] Diese Zahl der Ausstellungen verkuendete Leonie Baumann vor ein
paar Jahren einmal stolz in _mobil_, dem Kundenmagazin der
Deutschen Bahn.
[11] Siehe das "Flash-Institut", randstaendig aber mitten in der
Kulturhauptstadt Europas 2009 Vilnius in Litauen.
[12] Siehe http://eipcp.net/policies/gau-schlieben/de
[13] Fuer den deutschprachigen Raum kann konstatiert werden, dass
solcherlei Karrieren schon laufen: Fuer Frankfurt am Main in der
Person Holger Kube Ventura, neuer Vorsitzender des Frankfurter
Kunstvereins, vormals bei der Kulturstiftung des Bundes; fuer
"New York", genauer fuer die Chinati Foundation in Marfa, Texas
als Artist-in-Residence Folke Koebberling und Martin Kaltwasser;
fuer Zuerich vielleicht Anke Hoffmann und Yvonne Volkart, die
2009 Soenke Gau und Katharina Schlieben als neues Kuratorisches
Team der Shedhalle abloesten.
Dem Autor kann man dieses Namen-nennen vorwerfen und ihm
entgegnen, er wuerde damit seine vielleicht nicht laufende
Karriere kompensieren. Eventuellem Sozialneid entspringt jedoch
auch eine fruchtbare intellektuelle Wut und Personennamen
muessen hin und wieder genannt werden, um klar zu machen, mit
wem und wie wortfuehrende Netzwerke positionell besetzt sind.
[14] http://www.radiator-festival.org/folke-k-bberling-martin-kaltwasser
[15] Praxen, die staendig als Praxen erklaert werden muessen, sind
Praxen, die als solche neue nicht anerkannt sind. Weil sie zu neu
sind, weil sie bereits bekannt sind, weil sie moeglicherweise gar
keine Praxen sind.
[16] "Bildet Heteronomien!" ist ein unverbuergtes Wort von Hortensia
Voelkers, der kuenstlerischen Direktorin der Bundeskultstiftung
aus der Fruephase dieser Einrichtung. Selbst wenn sie das so nie
gesagt hat, kommt der damit formulierte Auftrag klar in den
Programmen der Stiftung vor. Es werden gesellschaftskritische
Kunstprojekte staatlich gefoerdert, ein Widerspruch in sich.
Matze Schmidt
Soenke Gau & Katharina Schlieben / Verein Schedhalle, Zuerich (Hrsg.).
Ausstellungskatalog-Buch. _Work to do! Selbstorganisation in prekaeren
Arbeitsbedingungen_. Nuernberg: Verlag fuer moderne Kunst, 2009. 240
Seiten, 29,- EURO
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