[wos] (Fwd) [edri-ip] Nice Berlin Declaration coverage

Florian Cramer cantsin at zedat.fu-berlin.de
Sat Jun 26 02:23:28 CEST 2004


Am Dienstag, 22. Juni 2004 um 10:50:36 Uhr (+0200) schrieb Volker
Grassmuck:
 
> A group of over 40 copyright scholars and activists Mon. urged the
> European Commission (EC) to consider a flat-rate compensation scheme
> for ensuring "compensation of rightsholders without control over
> users." 

Vermutlich ist meine Wortmeldung deplaziert, weil sie einem langen
Diskussionsprozeß hinterhinkt, zu spät kommt etc., doch: Will man das
wirklich? Ist das die Schlußfolgerung aus fünf Jahren Wizards of OS? Ich
habe da meine Zweifel, und zwar sowohl aus progressivem, als auch aus
konservativem Blickwinkel.

Der konservative Blickwinkel: Welche digitalisierten Informationen soll
solche eine Filesharing-Flatrate einschließen und welche nicht? Was ist
z.B. mit unfrei lizenzierter Software? Soll die Flatrate auch über das
Netz getauschte Microsoft-, Adobe- oder gar 10.000 Euro teure
Oracle-Software abdecken? (Dann würde die Flatrate aber verdammt teuer
werden.) Vielleicht auch Tageszeitungen, wenn jemand z.B. die
Öffentlichkeit an seiner digital abonnierten FAZ per P2P teilhaben
lassen will? Wer wird dann alles an den Ausschüttungen beteiligt werden
wollen? Oder will man einfach die "Flatrate" auf Musik- und
Film-Downloads beschränken und somit von digitalen Datenströme in den
Kategorien des verflossenen Jahrhunderts denken - womit übrigens auch
der Beweis erbracht wäre, daß Lessig zwar die Couch-Potatoes und die
Kulturindustrie attackiert, aber genau in ihren Kategorien denkt
(nämlich von Popsongs und Hollywoodfilmen, die remixt bzw. neumontiert
werden)?  

Der progressive Blickwinkel: Auch die technischen Kategorien, die dem
Konzept des "Filesharings" und der "Content-Flatrate" zugrundeliegen,
sind überholt. Die Unterscheidung eines lokalen Abspielens (d.h. einer
Übertragung eines Datenstroms von der Festplatte über IDE-Controller,
PCI-Bus, RAM und CPU zurück zum PCI-Bus, Soundchip und Stereoanlage) und
eines entfernten Kopierens (d.h. der Übertragung eines Datenstroms über
Netzwerkkabel und -switches) ist schon heute mit an WLAN-Stereoanlagen
obsolet; die Operations des Abspielens, Kopierens und im Netzwerk
verteilens sind im Computer prinzipiell synonym und konventionell nur
durch Bussysteme und Kabellänge bzw. Übertragungsdistanzen
unterscheidbar. Bedeutet das im Umkehrschluß, daß man künftig fürs
drahtlose Abspielen seiner Musik und Filme (um bei diesen
konventionellen Kategorien zu bleiben) eine "Flatrate" abonnieren muß?

Und wer glaubt ernsthaft an zweifelhafte Bürokratien wie die GEMA als
Zukunftsmodell? Was spricht gegen eine saubere Trennung freier und
nichtfreier Informationen wie bisher, unter der Voraussetzung, daß
Kanäle (wie z.B. das WWW, P2P-Netze, Abspielgeräte) frei bleiben? Wieso
sich stellvertretend für die Medienindustrie den Kopf zerbrechen, wie
sie Geld verdienen kann?

Ich räume gerne ein, daß diese Positionen halbgar sind. Aber während der
gesamten WOS3 hatte ich ein ungutes Gefühl: Daß es mich, ehrlich gesagt,
nicht interessiert, was irgendwelche Vertreter irgendwelcher WIPO-, EU-
und sonstigen Gremien und Regierungsbürokratien über Urheberrechte und
Informationsfreiheit zu sagen haben, und sich die WOS in die merkwürdige
Sackgasse einer sterilen politischen Fachkonferenz manövriert haben, in
der Moglen und Lessig die Cheerleader spielen. (Und geraden diesen
Cheerleadern jedes - künstlerisch und intellektuell - verständiges
Widerwort gefehlt hat.)

-F

-- 
http://userpage.fu-berlin.de/~cantsin/


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