[spectre] Amazonien
Matze Schmidt
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Wed Dec 18 17:06:24 CET 2013
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n0name newsletter Spezial 10 Mi., 18.12.2013 16:49 CET
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Matze Schmidt
Amazonien
Es ist kein erstaunlich sonniges Wetter in Bad Hersfeld am heutigen
Mittwoch, sowohl meteorologisch als auch gewerkschaftlich. In
Osthessen, wo Zuse seinen Firmensitz hatte (später wurde an Brown,
Boveri & Cie. verkauft, später an Siemens), hält in drei Minuten die
örtliche so genannte Dienstleistungsgewerkschaft ihre Kundgebung ab,
am Brunnen unter der Statue des Abts und Erzbischofs Lullus. Die
Arbeiterinnen dort und in Leipzig und in Graben, also an drei von acht
Standorten, fordern von Amazon einen Tarifvertrag, der den Lohn über
das Niveau der Logistikbranche bringt, auf das des Einzelhandels. Denn
Amazon zentralisiert nicht nur zig Einzelhändler, sondern stellt
selbst einen gigantischen Einzelhändler dar. Eine soziologische
Theorie, die Firma sei eine Art Netz im Netz und vermittle nur bereits
a priori vorhandene Einzelinteressen, sei ähnlich wie Facebook oder
Google lediglich Vernetzter mit nur lockeren eigenen Konturen, kann
leicht widerlegt werden. Für Forscher des sozialen Verhaltens ist
eine Firma nur eine Ansammlung von Tätigkeiten und Interessen. Die
Akkumulation von Kapital zeigt, dass der "Strom" des Reichtums aber
dort landet, wo das Produktionsverhältnis zu Ungunsten derjenigen
ausfällt, die es "erwirtschaften", wie es der Arbeiter aus
Bad Hersfeld dem Hessischen Rundfunk gegenüber ausdrückte.
"[...] das Kapital ist kein Ding, sondern ein bestimmtes,
gesellschaftliches, einer bestimmten historischen
Gesellschaftsformation angehöriges Produktionsverhältnis, das
sich an einem Ding darstellt und diesem Ding einen spezifischen
gesellschaftlichen Charakter gibt." ("Das Kapital", Bd. II, Die
trinitarische Formel)
Auch wenn diese Firma als Händler zur Zirkulation gehört, lässt er
mit E-Book-Readern doch Produktserien anfertigen, inklusive
Überwachung des Konsumverhaltens, und ist somit Hersteller, in
Konkurrenz zu beispielsweise Apple, und sein eigener Händler.
Arbeitkäufer und -verkäufer, neue Tarifeinheit/en, Kuchen
Dass sich das Kapital als Geld beim studierten Elektrotechniker und
Informatiker Jeff Bezos in Form eines riesigen Vermögens anhäufte und
er etwas abgeben solle, wie der der Arbeiter noch meinte, ergäbe dann
den altbekannten Kuchen, um den es momentan nur geht, gehen kann. Ein
ganzes Verhältnis zur Produktion und ihre Infragestellung ist nicht
Thema. In Leipzig, wo vor genau 150 Jahren der Allgemeine Deutsche
Arbeiterverein (ADAV) als Arbeiterpartei gegründet wurde, ist es der
bereits 11. Streiktag. Es dreht sich um Bezahlung, Arbeitszeit- und
Pausenregelung und Weihnachts- und Urlaubsgeld, die üblichen Topics
des Tarifvertrags -- sowie die Arbeitsbedingungen und die
Lohndrückerei. Es ist nicht das disruptive Geschäft, das als Neuheit
ein bestehendes Geschäft verdrängt und ein Wert-Netzwerk schafft, wie
es Unternehmersprech gerne möchte. Es ist eine Form des
Versandgeschäfts via Internet, ein beschleunigtes und ausgelagertes,
ein erweitertes (?), mit neuen entstandenen Orten, den
Distributionszentren, und fallengelassenen Läden im tradierten
Sortimenthandel. Hier kann im Saisongeschäft die Niedriglohnarbeit
blühen. Zu schnell jedoch werden Phrasen vom Respekt vor der
Leistung und "die behandeln uns wie billige Roboter" aufgebracht.
Dabei sieht die im ('verniedlichenden' Bildzeitungsvolksmund)
Nazijargon als "GroKo" bezeichnete Regierungskoalition aus
Sozialdemokraten und Christlichen in der BRD einen Angriff auf das
Streikrecht vor. "Ihnen soll die Möglichkeit genommen werden,
Beschäftigte zu Arbeitsniederlegungen aufzurufen, wenn sie innerhalb
der Belegschaft in einer Minderheitenposition sind. Es soll nur noch
der Tarifvertrag der Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern im
Betrieb gelten." (Daniel Behruzi, junge Welt 19.11.2013) So spaltet
man Einheiten in eine in Blöcke geschnittene "Tarifeinheit", indem
zahlenmäßig größere und damit bedenklich opportunere bevorzugt werden
und unterbindet kritische Aktivität. Die Einheit des Tarifs wird
vom DGB unterstützt. Wird ein entsprechender Passus ins
Betriebsverfassungsgesetz aufgenommen, bedeutet dies das faktische
Streikverbot für kleinere Gewerkschaften, die ohnehin Schwierigkeiten
habe, von Arbeitgebern -- denen die Arbeit kaufen, also nehmen -- als
"Tarifpartei" anerkannt zu werden. Denn Streik ist einer der
Tarifparteien vorbehalten, der Arbeitenden, die ihre Arbeit geben,
also verkaufen.
Das wäre dann die Festschreibung dessen, was das Spezialitätsprinzip
für die Rechtssprechung im Tarifstreit besagt. Nämlich, dass
Gewerkschaften sich in ihrer Tarifforderung speziell den betrieblichen
Anforderungen anzupassen haben, sie also regional und fachspezifisch
gebunden sind und somit in Fragen der Reproduktionskosten ihrer
Mitglieder, genannt Lohn, immer der "Servomechanismus" (McLuhan nach
Marx) des Betriebs sind.
Der Tarifzwang wäre dann die neue Tarifeinheit, die das Prinzip,
"dass in einem Betrieb, in dem ein Tarifvertrag existiert, kein
weiterer Tarifvertrag abgeschlossen werden kann" vom bisher
Fachlich-Betrieblichen ins Quantitative[1] rückt und damit den
Arbeitkäufern das Verfahren abkürzt und ihnen eine "Tarifpartei"
schafft, die am Tisch gegenüber sitzt, als geschehe das auf Augenhöhe
gleicher Parteien und nicht im Widerspruch von Arbeit versus Kapital.
Bestimmte 'Arbeitnehmer'interessen würden so verdrängt, von wildcat
strikes abgesehen aber auch im Hinblick auf die psychisch-ideologische
Zurichtung durch das neue Mehrheitsprinzip.
Marketing-Drohnen bombardieren den Streik
Wo Google z.B. Boston Dynamics und damit Robotertechnik kauft und den
Verkehr für sich und kleine Fluggeräte geregelt wissen will, wirft
Amazon Drohnen in die Luft, wo keine Zusteller mehr sein sollen. Die 3
bis 5 Tonnen am Tag, die eine Arbeiterin etwa bei DHL trägt, beim
weltweit umsatzstärksten Logistikunternehmen mit dem Logo auf den
Trikots von Manchester United, sind die Masse, die dem Medienzuschauer
bedeutet, hier kann entlastet werden. Und warum sollte Zustellung
nicht (halb)automatisiert werden? Die industrielle Reservearmee, aus
der sich Amazon vor Weihnachten, dem Fest der Nächstenliebe rekrutiert
kann durch einen anderen Überschusszusetzer bzw. Mehrwerterzeuger
ersetzt werden. Das war die Ansage, ob Drohnen kommen oder nicht. Ob
Pepsi-Cola, Pharmageschäft, oder Fernsehen, oder Kindles. Stimmung
kann gemacht werden. Pakete kommen nicht mehr bis Weihnachten an,
wird (auf Sat.1) gedroh(n)t. Warum denn streiken, bei dem guten Lohn
von -- angeblich -- 10,70/Stunde?, wird arschgekrochen (im Hessischen
Rundfunk). Die TV-Partei glaubt den Spaltprozessen. Die 'Betroffenen'
selbst sagen, dass sie unmenschlich behandelt werden -- übersetzt:
nicht wie menschliche Wesen.
Wir sind die Arbeiter
Kraftwerk hatte nur nach Popmäßigkeit recht, denn nicht sie waren die
arbeitenden Roboter, es war nur ihre Attitüde, der Entlastung von der
Arbeit, die sie ihre eigene genannt hätten, hätten sie sich geäußert,
denn sie war plattenindustriell aber »künstlerisch robinsonadisch
unentfremdet«. "Ja tvoi Rabotnik robotnik" = russ. "Ich bin dein
Arbeiter" in einheitlich roten Hemden mit schwarzen Krawatten, der
Kleidung des Parteigängers, ist überdies die modegeschichtlich
bewusste Falschaussage des Funktionärs in Uniform, dem Arbeiter der
keiner mehr ist und nun zwischen Kapital und Arbeit mittelt, dem
uniformierten Klassenzugehörigen. Der Bundesvorsitzende von Verdi --
einer der zahlenmäßig stärksten Tarifparteien, die in ihrem Namen
Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft schon die angebliche Einheit
trägt -- Frank Bsirske sprach am 18. Juni zu den 800 Arbeitern aus
Bad Hersfeld und Leipzig, dass mit ihnen umgegangen werde, wie mit
Arbeitern zweiter Klasse, würde nun der Geschichte angehören. Die
historisch im Techno-Pop vorgezogene Entlastung von der Arbeit qua
Roboter verschiebt sich in die Story, wenn der Vorsitzende das Jackett
auszieht. Wo die Lohnforderung nötig und zu unterstützen ist, bestimmt
die Spartengewerkschaft die Mehrheiten mit, folglich auch ihr
Management des Preises der Arbeit im Onlinehandel.
Der organistische Intellektuelle im TV
Der "freie Autor", der auf dem Onlinevideoportal dieser Instanz fürs
Arbeitspreismanagement seine Solidarität mit den Streikenden bekundet,
den freien Arbeitern, der Professor für Politikwissenschaften oder
Sonstiges, der vielleicht mal ein Stipendium der Kirche oder
der Kulturstiftung bekam, der eventuell Mitglied der neuen
Sozialdemokratie ist, der mehrere Sprachen spricht, der viel viel
schreibt, dessen Bücher als Ware vielleicht über die Laufbänder in
der Amazonstraße gehen, der Intellektuelle ist der organistische
Intellektuelle, der auf Klaviaturen spielt, kann nicht der organische
sein, der wirklich spricht, da er aus Kenntnis und Position spricht.
Er spricht über. Wenn die Firma vor mehr als zwei Jahren den
Entschluss bekannt gibt, "das Logistikzentrum Schloss Eichhof in
Bad Hersfeld für weitere zehn Jahre zu betreiben", dann wären es
nunmehr noch gut siebeneinhalb Jahre, und die Drohung des
Gegenprofessors der Finance, Management & Banking würde wahr.
Solidarität also mit dem Akademiker, der seine unbefristete Stelle
aufgab, der über Ausnahmezustände oder Beute-Nofreten diskursierte.
Aus den Armeen der Arbeitsreserve fluten sich hier und da, über
vierzigjährig, Fachbereiche der Universitäten. Workflow ist kein
natürlicher Fluss.[2]
_________________________
[1] Schon bisher konnte durch das Bundesarbeitsgericht das
Spezialitätsprinzip vom Mehrheitsprinzip abgelöst werden, wenn
kein fachlicher Vorrang eines Tarifvertrages festgestellt werden
konnte, denn dann fand derjenige Tarifvertrag Anwendung, der die
meisten Arbeitsverhältnisse im Betrieb erfasst. Vermassung ist
so oder so Prinzip, Fachspezifität schier oktroyierte
"Mitbestimmung".
[2] Das Material dieses Artikels kann ohne Weiteres recherchiert
werden, ohne den Arbeitsplatz zu verlassen, externe Gedächtnisse
am Netz bieten Journal, Gewerkschaftsbüros koennen angerufen
werden.
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