[spectre] Volker Grassmuck erklärt zum Jahreswechsel was Freie Software ist..
Till Nikolaus von Heiseler
neuemethode at kein.org
Tue Jan 1 15:01:35 CET 2008
Volker Grassmuck erklärt zum Jahreswechsel was Freie Software ist..
http://www.formatlabor.net/blog
Die Geschichte der Freien Software ist nicht nur die Geschichte eines nie
da gewesenen Produktes, eines Produktes, das einerseits immateriell ist
(wie alle digitalen Daten) und anderseits produktiv wie andere
Produktionsmittel auch (wie etwa Fabriken und Maschinen), sondern die
Geschichte der Freien Software erzählt das Wachsen einer alternativen
Ökonomie, in der Arbeit nicht mehr bezahlt wird und Leistungen nichts mehr
kosten. Die Arbeitsstrukturen in denen Freie Software geschrieben
(produziert) wird, sind prinzipiell offen. Prinzipiell im zweifachen Sinne
a) im Sinne der der Definition und des Prinzips - Freie Software zeichnet
sich dadurch aus, eben nicht in einem geschlossenen
Unternehmenszusammenhang produziert zu werden und b) im Sinne der
Einschränkung, denn tatsächlich teilnehmen kann nur der, der es vermag zum
Autor Freier Software zu werden und eine entsprechende Qualifikation
mitbringt.
Wenn wir die Produktionsstrukturen Freier Software modellhaft begreifen
und also nach ihrer Übertragbarkeit auf andere Arbeits- und
Produktionsstruktur fragen, erscheint es sinnvoll, zunächst die
Besonderheiten der Freien Software zu beschreiben.
1. Historische Wurzeln. Computerprogramme haben womöglich zwei Wurzeln.
Die eine liegt in der kostenlosen Beigabe der Software zu einer Hardware
und die andere liegt in der Universität. Die Universität ist ein
privilegierter Ort, zu vergleichen mit dem antiken Staatstheater. Ein Ort,
der für die Wissensproduktion der Gemeinschaft so wichtig erscheint, dass
man ihn gemeinschaftlich über Steuern finanziert.
2. Globalität. Die Zusammenarbeit an Freier Software ist grundsätzlich
nicht örtlich gebunden, sondern kann über das Internet geschehen. Sie ist
nicht lokal gebunden.
3. Anerkennungsökonomie. Die Community ist gut vernetzt und das Bedürfnis
der Anerkennung besteht vor allem in der Peer-to-Peer-Gruppe. Die
Anerkennung der Peer-to-Peer Gruppe ist nicht käuflich. Den anderen
Gesellschaftsmitglieder ist die Wertschätzung der eigentlichen
Programmierarbeit weitgehend verschlossen (denn Sie können den Code nicht
lesen und beispielsweise eine elegante Lösung nicht von einer weniger
eleganten unterscheiden).
4. Inmaterialität. Es handelt sich um ein digitales Produkt d.h. um ein
Produkt, das prinzipiell kostenlos distribuiert werden kann. Wird ein Brot
gebrochen und verteilt, bekommt jeder nur einen Teil. Die digitale
Information dagegen wird durch Teilung nicht weniger. Unter diesem Aspekt
ähnelt Software allen Formen von Information und Wissensformen, die sich
von ihren materiellen Trägern emanzipieren können.
5. Kopplung von Lese- und Schreibkompetenz. Für Programmierer ist ein
Code, wenn er offen ist, lesbar. Gegenüber ihren Konsumenten verhält sich
Software dagegen eher wie audio-visuelle Formate (Kinofilme, TV-Format) zu
deren Konsumenten: Sie ist ausschließlich ausführbar. Dies entspricht der
Lesbarkeit (dem Sehen und Verstehen) etwa von Filmen. Der Konsument von
Filmen und TV besitzt in der Regel eine Lese- , aber keine
Schreibkompetenz. Auf der Seite der Programmierer verhält sich Freie
Software wie Schrift; denn bei Schrift schließt Lesefähigkeit in der Regel
die Fähigkeit zu Schreiben ein.
***
Die Produktionsstrukturen der Freien Software verweisen auf eine Welt, in
der Arbeit und Konsum neuen Regeln gehorchen, eine Welt, in der die
Lebensberechtigung von Geldarbeit abgekoppelt ist (vgl. hierzu Konzepte
des bedingungslosen Grundeinkommens) und in der deshalb nicht für den
Bedarf, sondern für Bedürfnisse produziert werden. (Zur Unterscheidung von
Bedürfnis und Bedarf)
Happy New Year!
das formatlaborteam
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