[rohrpost] tritt ein: Situation einer Im-Mobilie
Matze Schmidt
matze.schmidt at n0name.de
Mon Nov 5 12:39:55 CET 2012
tritt ein: Situation einer Im-Mobilie
Eine Art (polemischer) Basistext?
12. - 18.11.2012
Manteuffelstr. 70
10999 Berlin (Kreuzberg)
www.trittein.org
Wohnen ist Ware, wie jede andere auch. Kiez ist eine Marke.
Allgemeinplätze, aber keine Commons. Egal, ob da ein Zins zu zahlen
ist für ein Kapital, das investiert wurde oder ob eine siebenstellige
Gewinnerwartung in der Luft liegt. Zahlen tut 'der Mieter' ja für das,
was er selbst hergestellt hat: das Haus, das Trinkwasser, die Energie,
das Pflaster. Und man sieht jeden Tag, dass ökonomisch gesehen das
alte Germanische Recht "Hur bricht Koop" (Miete geht vor Kauf) eben
nicht stimmt, weil das Mieten schon das Erkaufen der Nutzung von
umbautem Raum, Infrastruktur und Umgebung ist. Der Kauf der eigenen
vier Wände (auf Kredit) oder der Wohnung ist der Alltag. Ein
Rechtsanwalt des Mieterschutzbundes machte kürzlich ganz illusionslos
deutlich: "Sie müssen wissen was sie wollen. Wenn sie klagen wollen,
verdiene ich daran." Soviel zum Selbstverständnis der Republik und
ihrer Rechtsorgane, die laut ihres Präsidenten angeblich Staat und
Klasse nicht mehr in den Mittelpunkt stellen. Es ist Klischee, aber
am 19. Mai 1871 beschloss die Pariser Kommune die Beschlagnahmung
leerstehender Wohnungen. Die Bank zu übernehmen hatte sie vergessen.
Man kann fragen, ob die Blockade einer Zwangsräumung bloßer
Defensivkampf ist und ob der Vorwurf, der Vermieter würde zuviel Geld
verdienen, schon der erste Schritt zur Enteignung der Enteigner ist.
Oder geht es nur Kommerzkritik und nicht um Kritik am Kapital? Gibt es
einen fairen Zins für 80qm ohne Bad, ohne Zentralheizung, Toilette
halbe Treppe? Können nicht jeden Tag 150 Aktivisten vor jedem Haus
stehen? Die Parteilose im grünen Kleid nervt, wenn sie bildtechnisch
auf der Titelseite der Grünen zur Anführerin der Frauen gemacht wird,
die sich ohne Partei gegen steigende Mieten zu wehren versuchen,
indem sie Forderungen an die offizielle Politik stellen. So genannte
Akteure stressen, weil sie mit dem Ziel der Resozialisierung des Raums
<billige Wohnungen für sozial Schwache> die Profitmaschine
skandalieren und an Repräsentanten appellieren, anstatt zu erklären
-- was vielleicht weitreichendere Folgen hätte. Die so genannte Linke
war so vermessen, mitregulieren zu wollen. Der Soziologe verwischt,
wenn er die Ursachen mal dem Markt, mal bösem Willen unterstellt. Der
Pirat will armen potentiellen Käufern von alten Häusern von Staats
wegen Geld dafür geben und sagt "Die Häuser denen, die darin wohnen".
Gilt das auch für den zu denunzierenden Millionär an der Ecke, der
mit dem Pool auf dem Penthouse? Kann man wissen, welches Co jetzt
comanagen möchte? Kampganeros trommeln und lehnen Theorie gerne ab,
dabei ist ihre oft genug die einer kalkuliert kritischen Masse.
Mietenstreik? Wer kann sich das leisten? Voluntaristische Gecekondus
können wohl nur mutige Zwischenlösungen sein. Berlin ist nicht
Istanbul, das einmal Vorbild für informelle, 'selbst'gemachte
Ökonomien war, weil die Genehmigungen das Bauen (ver)ordnen und die
Renditen steigen im neuen New York + Rio + Tokyo + Lagos genauso.
Welches Eigentum ist da besser? Warum also immer Reclaim the Street
und nicht Declaim the City? Wieso hat jedes Kind "eine Chance"
verdient? Warum Glück per Charity im SOS-Kinderdorf, warum nicht
andere Verhältnisse?
Könnten sich die Verlierer nicht selbst de/kolonialisieren, indem man
die hippen Stadtteile verlässt, unter dem Druck der Pioniere und
Gentrifizierer absterben lässt und woanders weiter macht? Runter vom
Milieu, seinem Schutz und der Berliner kosmopolitianischen
Mittelmäßigkeit. In Marokko sollen Frauen nicht Fischen gehen dürfen.
Hier sollen Menschen nicht mehr wohnen dürfen. Aber nicht, weil man
(nur) gegen Ausländer wäre, sondern, weil noch Gewinne drin stecken.
Das ist ein Prinzip, das die soziale Marktwirtschaft mit
Mietobergrenzen, sozialem Wohnungsbau und angemessenem Wohnraum nur
abfedert, aber nicht beendet. Dort wo der Mittelstand Einzug hält,
kann der bezahlen, der etwas mehr hat, gegen die, die weniger haben,
die wiederum etwas mehr haben als die, die weniger haben als wenig.
Der Zins, der Preis macht also einen Unterschied. Da hilft keine
Umverteilung, die Haben und Brauchen wieder ausbalancieren würde.
Oder begnügt man sich mit einem niedrigeren Niveau? Sind 4,- pro qm
nicht immer noch zuviel? Ist es im Souterrain billiger? Kein größeres
Stück vom Kuchen, kein aus dem Verwertungskreislauf angeblich
herausgenommenes Haus, kein zum Erliegen gebrachtes Geschäft mit der
Liegenschaft beendet den strukturellen Zusammenhang aus Lohnarbeit,
ihrer Enteignung vom Produkt und der Angst um das Dach über dem Kopf.
Nocheinmal: Städte stehen nicht unter Belagerung, wie man
hollywoodisierend vermutete. Das nur im Fall ihrer Verteidigung. Sie
sind was den Besitzlosen ohne Kapital weggenommen wurde, um es ihnen
für einen Großteil Ihres Lohns wieder zu verkaufen. Warum sollte man
die Stadt idealistisch also nur neu denken?
Kann man das mit einem selbst-gekauften Haus? Mit
mieterinnenverträglicher(er), niedrigerer Miete? Kapitalverwertung
kann so schön sein, wie nationaler Sozialismus in einem Land. Genau an
dem Platz und ein paar Meter weiter, wo der Protest gegen
"strukturellen Rassismus" formiert wird und wo von der Logik einer
Teilhabe am Wohlstand ausgegangen wird, die etwas mehr abhaben will,
aber sonst alles beim Alten lassen will, wird die Überwachung aus
Kameras und Biomarkt, langen Öffnungszeiten und kultigen Superpätis
mit Niedriglöhnen ausgebaut. Technologien für "nachhaltige und
lebenswerte Städte der Zukunft". Was als Öffentlichkeit bekannt war,
sieht aus wie eine Tapete aus dem 19. Jahrhundert, oder auch wie ein
Mural. Wozu Durchmischung, warum keine Aufhebung der Schichten? Der
Zuckerberg wächst schließlich, Facebook hat 1 Milliarde Nutzer,
inklusive aktiver Karteilleichen. Mit jedem legalen LadyGagadownload
zahle ich irgendeine Villa in Monaco. Ist das Social Justice oder
Soziales Internetz? Und eine Generation lernt, was die vorherige
längst via Syndikate in Besitz umwandeln konnte. Verhandler von damals
sind heute vielleicht schon pensionierte Architekten. Dabei muss eine
Stadt erst produziert werden. Der Haussegen "Grüß Gott tritt ein bring
Glück herein" versprach einmal die Boomtown im verspäteten deutschen
Kapitalismus. "Go home and love your own city" sagt lediglich, dass
die ganz neuen undefinierten fluiden Migrationskulturen ihre Grenzen
haben. Der "Youth on Action" reicht es den SO36 artig street-artig
abzufotografieren. Und der Mix aus Angry German Youth und billigen
Angry Chicken?
Zwischen dem 12. und 18. November 2012 wird es in der Manteuffelstr. 70
in Kreuzberg und in der Nähe dieses Hauses diverse Spiele, Konzerte,
Aktionen, Gespräche, Videos, Praktiken, Kritik und eine Ausstellung
geben, um die Situation der Im-Mobilie zu bewegen. Das Projekt wurde
(leider nur Projekt und nicht der große Wurf, der lange Marsch usw.)
konzipiert und realisiert von radi0.tv in Berlin. tritt ein versucht
den ganz normalen Häusermarkt zu reflektieren und die Defensive zu
verstehen.
+
O
/|\
/\ radi0.tv
Unterstützt aus Mitteln der Kulturförderung Friedrichshain-Kreuzberg.
Programm *
Di., 13.11. - So., 18.11.2012: "Berlin's the New Brooklyn", T-Shirts
von t-shirtz.org während der Veranstaltungen in der Manteuffelstr. 70
(siehe Wegweiser). Argumente an- und ausziehen.
Di., 13.11. - So., 18.11.2012: "Baustelle Kampagne" (Arbeitstitel) mit
Juan Pablo Diaz und Pablo Hermann. Manteuffelstr. 70 (siehe
Wegweiser). Kampagne machen oder den Kiez? Für was oder wen?
Mi., 14.11. - Sa., 17.11.2012 täglich 17:00 - 20:00 Uhr: "Wem gehört
die Stadt?". Spiel am Tisch. Café Commune, re. neben Eingang am
Fenster, achteckiger Tisch, 2 Sessel, 1 Sofa, Reichenberger Straße 157,
10999 Berlin, http://goo.gl/maps/RjbkV . Die Grundproblematik ist
nicht erst 40 Jahre alt: Im Jahr 1972 wurde dem Kursbuch 27: Planen
Bauen Wohnen das Spiel "Wem gehört die Stadt?" beigelegt. Ohne den
schon verinnerlichten Kleinbürger, also nicht wie in Monopoly, werden
die Mechanismen, wie und warum das mit der Miete und dem Gewinn
funktioniert, deutlich. Wir laden zum Spielen ein.
? Do., 15.11. (o. 16.11.2012) 20:30 Uhr: "Gerechte Miete? Zu Strategien
solidarisch akuter Hilfe, Blockaden, Verkürzungen und Versprechungen".
Gespräch im Café Commune oder in der Manteuffelstr. 70, 2. Stock.
Oder: Texte zum Mietenkampf. Bitte www.trittein.org beachten!
Fr., 16.11.2012 21:00 Uhr: "Rhythmanalysis? Rhythmsynthesis!".
Superstolk (Offenbach) live. Manteuffelstr. 70, 2. Stock. Raum ist die
Produktion sozialer Praxis, Henri Lefebvre? Zu abstrakt. Superstolk
macht eine andere Rhythmussynthese. 1 "Einfache Leute" - Klare
Overground-gewinnt-Kritik, dadaeskomatisch. 2 "Ich baue mir ein
Häuschen aus festem weissen Schnee" - Irgendwie elegisch-instrumentös
... naja, ist ja nur ein Post-prä-Acid-Rock-Märchen. 3 "Neuerdings" -
Das will ich live hören (böse), die andern natürlich alle auch. 4
"Professor sucht Wohnung" - Kenn ich -- ah, aber soundtechnisch
aufgewertet, gentrifziert sozusagen. 5 "The Perfect Flat" - Das ist
doch English. Ist das 1977 erlaubt gewesen in Berlin? Käffies right
around the corner. Ohne zynisch zu werden: MP3-Download aller Stücke
via www.trittein.org.
Sa., 17.11.2012 20:00 "Chor der Mängelliste". OFFEN zum Mitsingen!
Denn (Zitat) "Nur das Nötigste wird [vom Vermieter] gemacht", also
repariert und 20:30 Uhr: "Hausaufnahmen". Improvisationen zu Sounds
aus dem Haus von Tri Top (Kassel). Till Mertens: Saxophon, Klarinette
- Angela Dersee: Violine - Matze Schmidt: Samples, No-Input. Die
Schwierigkeit ein Haus zu repräsentieren. Spezifische Klänge sind zu
'dokument', Atmo zu unbestimmt, Fieldrecording vielleicht zu sehr
modisch Levi's oder ethnologisch Lévi-Strauss. Jeweils Manteuffelstr.
70, 2. Stock.
Sa., 17.11.2012 22:00 Uhr: "Comité Télévision à la Commune de Paris?".
Videos über/zu/von ... . Manteuffelstr. 70, 2. Stock. Die Pariser
Kommune im Fernsehen? Wie sehen solche Bilder aus? Oder gibt es
aktuelleres Material?
Eintritt frei
* Aktuellster Stand immer auf www.trittein.org