[rohrpost] radi0.tv fuer Colaboradio Mi., 15. Februar 2011 02:00 Uhr "440 Quertz"

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Die Feb 14 18:29:58 CET 2012


www.radi0.tv fuer Colaboradio

"440 Quertz"

Mi., 15. Februar 2011 02:00 – 03:00 Uhr (morgens!)

88,4 MHz in Berlin und im Stream http://senderberlin.org

Donwload:

440quertz.mp3
http://www.sendspace.com/file/pu8jct (110 MB, 01:00:17)

Alte (Knacks)Aesthetik, neue Proteste, kleine Verschiebungen, ein
gegen Ende versoehnlich gestimmter anti-generativer Track, live montiert
und manipuliert. Samples: 440 Hertz Sinustoene modelliert und moduliert
(?), div. Pianos von natuerlich freesound.org. Exakt handelt es sich bei
der Livemontage wohl um das Abrufen von Samples aus der u.a. eigenen
Soundothek im Kontext des Gesetzes der Naehe und Abstaende der Klaenge
zueinander (vgl. Intervalle), die dann in der Sequenzierung den Kontext
einer Sequenz oder von Sequenzen erst ergeben (innerlogisch), aehnlich
wie bei einem AKAI MPC 2000, nur ohne vorprogrammierte Sequenzierung. So
schwierig kann handgemachtes Sampling wieder sein.



Gespraech von Ali Emas mit Matze Schmidt ueber "440 Quertz"

Ali Emas: Morgen laeuft die Sendung Deines Stuecks auf 88.4 in Berlin,
nicht gerade zu einer annehmbaren Uhrzeit, wie sie fuer Neue Musik oder
Klangkunst mittlerweile doch auch ueblich ist ...

Matze Schmidt: Das Stueck ist eher ein Versuch und ja, zu dieser
Uhrzeit, nachts, kann man machen was man will -- das gibt so eine Art
Freiheit -- es hoert aber auch "keiner" [macht Anfuehrungszeichen in der
Luft] zu, das ist die Kluft in der man sich dann bewegt. So marginale
Plaetze sind so ziemlich der letzte Schrei, radikale Plaetze.

A.E.: Ein bisschen Verweigerung. Aber bewegt sich ueberhaupt etwas bei
diesem Versuch? Ich meine, Sampling ist nicht wirklich die Kulturtechnik
der Zukunft, Tastendruecken ist keine qualitativ oder kenntnismaeszig
innervierende Anstrengung mehr, scheint mir.

M.S: Genau darauf kommt es mir ja auch ein wenig an. Erstens ist es doch
nochmal ein Test, wie sich Klaenge so auf der Computertastatur
organisieren lassen -- das geht ganz leicht, beschwingt geradezu. Die
Programme gibt es, alles ist vorbereitet. Die Auswahl entscheidet. Und,
dass das so ist, dass das eine weit verbreitete Technik ist, die
keinerlei Spielweise zumutet oder abverlangt, ist das gerade der Gewinn,
den die Musikmacherei gerade heute in der sogenannten Post-Digitalitaet
davontraegt? Was dieses Korrektiv angeht, das die Sub-Industrien im
Kultursektor bauen, wenn dann doch fuer die Kreativ-Industrie
gewirtschaftet wird, wenn die Anti-Amazons doch den Onlineshop nutzen,
was dann?

A.E.: Die sind ja auch von buerokratischen Schichten umgeben.

M.S.: Ja, dieser Track ist auch eher da angesiedelt. Ein buerokratischer
Akt. Samplen, Samples abrufen per Tippen, 60 Prozent oder mehr
Verwaltung, 40 Prozent kreieren.

Digitalitaet ist ja kein Signum mehr fuer einen Aufbruch, ist eher
Alltag. Manche Theoretikerkreise fragen ja auch schon nach der
Selbstverstaendlichkeits-Ebene, der Alltagsebene von Digitalitaet. Also
nach dem, was ihre erweitert aesthetische, buchstaeblich
banal-aesthetische Seite waere, wenn das Digitale in der Zeit
aufgegangen ist und keinen Bruch mehr mit dem Davor bedeutet.

M.S.: Ja, Cage hatte wohl unrecht und recht zugleich. Die digitalen
Techniken werden unsichtbar, sie werden normal. Aber sie sind ueberall
und damit zu sehen. Dafuer braucht es aber einen Blick fuer Differenz.
Ohne Unterschied, kein Unterschied zwischen was sichtbar oder was
unsichtbar ist. Aber das Digitale und die Digitalitaet sind zwei
verschiedene Dinge. Wie der Soziologe sagen wuerde, kann man das
Gesellschaftliche nicht anhand des Individuums und seiner Erlebniswelten
allein erklaeren. Aber der Soziologe muss sich auch sagen lassen: Das
Soziale laesst sich eben auch nicht nur mit dem Sozialen erklaeren --
das ergaebe eine Schleife. Es waere aber auch zu kurz. Bezogen auf
Digitaliaet und Digitales kann man also sagen: Vielleicht war das
erstere ja zuerst da, oder? Vielleicht war Ada Lovelace ja zuerst da,
war primaer, vor der Implementierung. Vielleicht eine idealistische
Sichtweise. Wenn Digitaliaet gelesen wird als der Ausdruck dessen, was
ihm unterliegt, dem Digitalen, dann gilt das natuerlich nicht, dann
folgt Digitaliaet, als das Kulturelle, der digitalen Technik. Aber kann
man nicht diese Technik in der Kategorie der Digitaliaet fassen? So
wuerde der alltaegliche digitale Kram nicht mehr den grossen Bruch
bedeuten mit dem was nicht digital technologisiert ist. Dann gehen einem
aber wohl auch die Unterscheidbarkeiten verloren und alles was auch nur
digital genannt wird, ist es dann auch.

A.E.: Wobei klar sein sollte, dass digital nie ist, sondern einen
Vorgang meint.

M.S. Ja.

A.E.: Aber ist das nicht zuviel der Diskussion um ein wenig Sound. Wenn
Du sagst, Du organisierst die Klaenge auf der Tastatur, dann ist das
den Moeglichkeiten des Computers geschuldet, Sounds oder Samples mit
der Konsole, genannt Schreibmaschine oder Tastatur, zu verknuepfen.

M.S.: Ja, offenbar habe ich als jemand, der nicht voll
computer-sozialisiert ist, da etwas zu verarbeiten, was juengere
Generationen nicht zu verarbeiten haben. Diese, sagen wir
Un-Selbstverstaendlichkeit, etwas geradezu A-Banales, widerspricht ja
meiner eigenen kleinen Theorie von der Digitaliaet, die darauf
hinauslaeuft, dass es den technologischen Bruch zwar gab, jetzt aber
hinzukommt, dass dieser sozusagen nie angekommen ist. Er ist unsichtbar,
embedded, smart, gestisch auf den Tablets und so weiter, aber
diese Berechenbarkeiten und Datenbank-Strukturen sind der permanente
Bruch mit dem was ist ... ohne jetzt in Pessimismus zu machen.

A.E.: Du meinst, mit den krachigen, klickigen Klaengen koenne man das
hoerbar machen?

M.S.: Nein, ich glaube nicht. Nicht das Konzept bringt die Technik und
die Diskussion hervor, es ist eher umgekehrt. Das Spielen folgt einer
Umgebung, die veraenderbar ist, aber physisch auch schon da ist, die
schon diskutiert. Die auf den eher marketingtechnischen Begriff
gebrachte Clicks & Cuts-Aera hat da mit ihrer Referenzlosigkeit ganz
schoen danebengegriffen. Die Kicks sind meinetwegen ohne Referenz,
ausser zur Maschine ihrer Herstellung, aber sie sind eben
Material-Material, ums postmodern zu sagen. Das Material, um das es hier
geht, das Stueck, ist nur der Anlass, um ueber die Herstellung zu
sprechen. Und diese ist das, wenn man so will, eigentliche Material.
Dieser symbolistische, semiotische Materialbegriff aber ist von den
Kleinindustriellen, also den semiprofessionellen und professionellen
Platinen-Bastlern und Arduino-Autodidakten, laengst verabschiedet
worden. Hier geht es um das Design der Maschine, um das Anti-Design. Und
dort wird immer schon antizipiert, dass es keinen aesthetischen Plan
gibt, sondern schieren Materialismus, der dann in die eine oder andere
Richtung wieder aufgeladen wird mit Symbolismen, also Sinn. Die Platinen
bekommen bestimmte aeussere Gestalten, werden bedruckt, bemalt, Muster
und Bilder hinein-geaetzt. Jedes minimalistische, reduzierte
Grafikdesign in dem Zusammenhang hat doch den gleichen druck-technischen
Aufwand wie burleske Sachen. Materialistischer Minimalismus moechte nur
am liebsten da ran, an diese untere Ebene der Voraussetzungen fuer das
Sagbare. La Monte Young sagt irgendwo, dass was er gemacht habe, aus
seinem Verstaendnis der Welt, oder von Welt herkomme. Ich glaube das
unterschlaegt ein wenig die Maechtigkeit dessen was man das Reale nennt.
Ich untersuche weniger den Ausdruck -- ... Idealismus ... --- sondern
was das Objekt da mit meinem Konzept oder meinem Begreifen von dem was
geschieht macht. Ein wenig mediale Grundlagenforschung also, etwas
erratisch auch.

A.E.: Gegen Ende von "440 Quertz" ...

M.S.: Ja, das ist ein eher oedes Wortspiel, ich weiss ...

A.E.: ... machst Du da Zugestaendnisse an Popsound in Richtung Alva
Noto, kann an das so werten?

M.S.: Wir haben doch beide diese Grafik hier angesehen. Einmal der
Hitlerbart, dann derselbe mit Hut und es ist Chaplin, und der Subtitel
sagt " It's the hat". Auch was alles in einen Koffer passt, benoetigt
letztlich Kontext. Ich glaube ein zwei Pianosamples machen keinen Noton.
Sie geben mit eher wieder Anlass zu sagen, die Pianos stammen von
freesound.org, dem Bollwerk gegen alle Stop Online Piracy Acts.

A.E.: Also verteidigst Du doch die alternativen Produktionen ohne
Kommerz?

M.S.: Ja, aber deutlich mit der Kritik, dass sie im Moment ueberschaetzt
werden. Im Moment heisst, in der jetzt geltenden Rahmensetzung. Denn
alle diese Hardware und Software sitzt ja auf auf den Leistungen der
vorherigen Generationen. Auf dem was nicht, noch nicht digitalisiert
war, oder bereits primitiver digitalisiert war, was heute keinen
Unterschied mehr macht, weil scheinbar alles digitalisiert ist. Und es
sitzt auf auf den industriellen Leistungen, die eben nicht im
Hinterzimmer entstanden, trotz Edison- und Apple-Mythos, sondern in
gigantischen Ausmasz     en. Der Kupfer fuer Edison wurde abgebaut, nicht?

A.E.: Und Coltan fuer Smartphones. Die Werteverschiebungen haben also
bereits stattgefunden? Was frueher als besonders digital galt,
Pixelastehtik, Treppchen im Bild, die Blockbildchen der Fehler wird
weicher, angeweicht, oder glatt?

M.S.: Ja, das Piano ist ein Nicht-digital-Zeichen, ein Verweis auf eine
veraltete Spieltechnologie fuer Klaenge. Der ganze weltweite Index,
mega, mit unendlichen bibliografischen Eintraegen, ist voll davon. Die
Digitaltechnik selbst aber, samplen wir das Rauschen einer Festplatte
oder aehnliches, ist nicht darstellbar. Ich bin also mit Quertz in
der Falle der darstellenden, zeigenden Kunst. Das Piano, diese ebenfalls
als unendlich angesehene Moeglichkeitsmaschine, ist die Tastatur. Man
koennte doch alles damit Aufrufen, unwichtig wer das real macht. Aber
eben nicht unwichtig fuer die Kulturapparate, WER das macht. Dabei kann
das mit dem Handy machen, natuerlich ohne Relevanz fuer die Klasse.
Meine Freundin hat fuer den Eingang SMS den Schrei einer Kraehe. Jeder
dreht den Kopf nach oben, wenn sie eine Nachricht erhaelt.

A.E.: Du hast das Stueck quasi nicht korrekt betitelt, also eben nicht
Qwertz mit w sondern mit u, Quertz, bewusst?

M.S.: Ein Fehler, oder schon wieder ein Verweis auf Gepflogenheiten des
skeptischen Minimalismus.

A.E.: Du glaubt also nicht an die Veraenderbarkeit von Gesellschaft durch
Klang oder das Medium Musik, wie man einmal sagte?

M.S.: So simpel kann man das nicht fassen. Der biblische David spielt
doch immer dann die Laute, wenn es Stress gibt. Aber Therapie ist nur
die Haelfte der Optionen. Ich meine, es gibt diverse Bereiche des
Gesellschaftlichen, nicht alles ist alles. Mit Noise kann nicht direkt
Gesellschaft veraendert werden, genausowenig wie man das mit Text oder
operativem Text, mit Programmen koennte. Der Komplex aus Nutzung,
Verhalten, Unbewusstem und Media, im Plural, ist dafuer einfach zu, ja,
komplex. Das Soziale mit dem Klang gleichzusetzen, so wie Nada Brahma,
verdraengt nur diese Unterschiede und bildet einen Konvergenz-Mythos
einer wiederum mystischen All-Welt.

A.E.: Aber zugleich muessen die sozialen Trennungen dieser Bereiche mit
ihren Negativismen reflektiert werden.

M.S.: Richtig. Normativ ausgedrueckt gilt es, die Abstaende der sozialen
Bereiche produktiv zu akzeptieren, ohne sie zu Regimen auswachsen zu
lassen, zu Regimen des Nur-Kulturellen, wie im 19. oder 20. Jahrhundert
waehrend der Bluete des Buergertums, oder wie heute, waehrend des
Regresses der Herrschaften zu Regimen der homogenisierenden Konvergenz
und reduktionistischen Transdiziplinaritaet. Der Streit um die
Kompatibilitaet der Soft-Ware etwa faellt in dieses Feld.

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