[rohrpost] Forum Leben 3.0 und die Zukunft der Evolution,
8. Dezember
Ingeborg Reichle
ingeborg.reichle at kunstgeschichte.de
Mit Okt 20 09:05:42 CEST 2010
Forum | 12. Dezember 20108 18:30
Leben 3.0 und die Zukunft der Evolution
Die Entschlüsselung des Genoms einer ganzen Vielzahl von Spezies weckt
seit Jahren sowohl Hoffnungen als auch Befürchtungen im Hinblick auf
deren möglicher Manipulation. Dass der Mensch in bisher ungeahntem
Ausmaß in den Lauf der Evolution eingreift, scheint keineswegs mehr
bloße Utopie angesichts der Versuche der Synthetischen Biologie,
organisches Leben zu planen, zu gestalten und im Labor zu züchten. In
welche Szenarien diese Entwicklung in der Zukunft münden wird und
welche Folgen sich aus ihr ergeben könnten, lässt sich heute nur
schwer erahnen, nicht zuletzt da sich Zukunftsfragen in vielerlei
Hinsicht wissenschaftlichen Herangehensweisen entziehen. Das Forum
„Leben 3.0 und die Zukunft der Evolution“ lässt daher sowohl die
Wissenschaft als auch die Kunst zu Wort kommen, stehen doch nichts
weniger als die großen Zukunftserzählungen des Lebens zur Diskussion,
geleitet von der Frage nach den Wechselwirkungen zwischen gegebener
gesellschaftlicher Wirklichkeit und projizierter Zukunft sowie den
Interessen der maßgeblich beteiligten Akteure.
PROGRAMM
18.30 Uhr ................................Begrüßung
Randolf Menzel
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
Institut für Biologie, Freie Universität Berlin
18.45 Uhr ............................... Kurzbeiträge
Die Vergangenheit der Evolution
Hans-Jörg Rheinberger, Berlin-Brandenburgische Akademie der
Wissenschaften, Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, Berlin
In der Geschichte der Evolutionstheorie herrscht eher die Meinung vor,
dass über die Zukunft der Evolution nur vage, wenn überhaupt Aussagen
gemacht werden können. Der Titel des Forums suggeriert das Gegenteil.
Hat sich die Situation heute geändert?
Evolutionstheorie als anthropologische Herausforderung
Kerstin Palm, Institut für Energietechnik, Technische Universität Berlin
Die Darwinsche Evolutionstheorie hatte und hat bis heute ambivalente
Auswirkungen auf die Formulierung eines wissenschaftlichen
Menschenbildes. Auf der einen Seite bewirkte sie einen
außerordentlichen Animalisierungsschub, der zu einer massiven
Zurücknahme menschlicher Selbstbestimmungsmöglichkeiten zugunsten
eines Entwurfes vom Menschen als überwiegend triebgeleitetem Wesen
führte. Auf der anderen Seite konnte mit evolutionstheoretischen
Begründungen eine neue säkulare Idee vom exklusiven Humanen entworfen
werden, welches gerade durch die Bindung an das Biologische zur
Souveränität und Autonomie bestimmt ist. Der Beitrag skizziert
zentrale Argumente dieser beiden Positionen, die bis heute die
Kontroversen um die Bedeutung der Evolutionstheorie für das
Selbstverständnis des Menschen bestimmen.
„Kondensieren Sie Ihr Zeug nur, eines Tages wird’s schon krabbeln“
Reiner Maria Matysik, Bildender Künstler, Berlin/Braunschweig
Die Kurzvorstellung der Planung und Realisation der Ausstellung
„jenseits des menschen“ zeigt die Objekte, die in Auseinadersetzung
mit dem Medizinhistorischen Museum der Charité dafür gemacht wurden.
Dabei wurden Labortechniken ebenso eingesetzt wie das klassische
Verfahren der Moulagenherstellung. Durch den künstlerischen Zugriff
auf moderne Medizintechnik wurde für das Projekt zudem menschliches
Gewebe gezüchtet und als „lebende Skulptur“ neben den Wachsarbeiten
ausgestellt. Das Ziel dieses Vorgehens war die Herstellung eines neuen
lebendigen Systems aus eigener Körpersubstanz des Künstlers. Die
Arbeit, die nach eine Biopsie mit seinem Gewebe durchgeführt wurde,
macht diesen Schritt, um zu befragen, wie menschliches Leben in
umfassender Weise neu geplant, gestaltet und gezüchtet werden kann.
Die Moulagentechnik, die der äußeren Gestalt und Anmutung von
menschlicher Substanz ähnlich erscheint, wurde eingesetzt, um mögliche
reduzierte Formen des menschlichen Körpers vorstellbar zu machen. In
seinem Beitrag fragt der Künstler Reiner Maria Matysik nach dem
schöpferischen Potenzial der aktuellen Verfahren der Biotechnologie
und der Gewebezüchtung, das neue künstlerische Ausdrucksformen
bereithält und zu einer neuen Verbindung zwischen Kunst, Wissenschaft
und Gesellschaft führen könnte.
Synthetische Biologie: Konkurrenz für die Evolution?
Dominik Niopek / Stephen Krämer, iGEM-Team Heidelberg, Institut für
Pharmazie und Molekulare Biotechnologie, Ruprecht-Karls-Universität
Heidelberg
Lange Zeit war die Vielfalt des Lebens das Ergebnis der Möglichkeiten
und Grenzen der Evolution. Man könnte die These formulieren, dass
längst ein unter dem gestaltenden Einfluss des Menschen stehendes
Leben 2.0 entstanden ist, vertreten durch gezüchtete und gentechnisch
veränderte Organismen. Birgt die Synthetische Biologie das Potential
für ein Leben 3.0, das vom Menschen nicht durch Modifikation von
Vorhandenem, sondern durch rationale Neugestaltung geschaffen wird?
Wie würde sich ein solcher Fortschritt auf die Natur und auf unsere
Gesellschaft auswirken? Welche ethischen Rahmenbedingungen für die
modernen Biowissenschaften werden benötigt? Der Beitrag will und kann
keine befriedigende Antwort auf diese kontroversen Fragen geben,
sondern lediglich ein Anstoß zur Diskussion sein.
Podiumsdiskussion, ab 20.00 Uhr
Konzeption und Moderation: Ingeborg Reichle, IAG Bildkulturen,
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
Das Forum „Leben 3.0 und die Zukunft der Evolution“ findet im Rahmen
des gleichnamigen Tagungs- und Ausstellungsprojektes des Jahresthemas
2009 | 2010 „Evolution in Natur, Technik und Kultur“, der
Interdisziplinären Arbeitsgruppe „Bildkulturen“ der Berlin
Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften sowie in Kooperation mit
dem Berliner Medizinhistorischen Museum der Charité und dem Künstler
Reiner Maria Matysik zum Berliner Wissenschaftsjahr 2010 statt.
Die Ausstellung „jenseits des menschen“ wurde von Ingeborg Reichle
kuratiert und zeigt Arbeiten von Reiner Maria Matysik noch bis zum 9.
Januar 2011 im Berliner Medizinhistorischen Museum der Charité. Diese
Ausstellung reiht sich ein in die Serie „Interventionen“, die das
Museum 2009 initiiert hat, um der Gegenwartskunst ein
Experimentierfeld zu eröffnen und den Dialog zwischen Kunst und
Wissenschaft zu befördern. Die Ausstellung wird von einem Katalog
(deutsch/englisch) begleitet mit Beiträgen von Inga Franke, Anita
Hermannstädter, Reiner Maria Matysik, Ingeborg Reichle und Thomas
Schnalke.
http://jahresthema.bbaw.de/kalender/forum-leben-3-0-und-die-zukunft-der-evolution