[rohrpost] Medienkunst gibt es nicht

Stefan Heidenreich stefan.heidenreich at rz.hu-berlin.de
Mon Jan 28 23:15:15 CET 2008


Auf die Gefahr hin, mich einmal mehr unbeliebt zu machen -
hier die unredigierte Version eines Artikels, der in der
Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung am 27.1. erschien.

Viele Grüsse,
Stefan Heidenreich

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Medienkunst gibt es nicht

Mit der Transmediale beginnt morgen eines der größten Festivals für 
'Kunst und digitale Kultur', nach wie vor als 'kultureller Leuchtturm' 
gefördert. Die Leitung hat gewechselt, ebenso die Bezeichnung - von 
Medienkunst keine Rede mehr. Denn kaum ein Künstler will sich noch 
Medienkünstler nennen. Was ist geschehen?
Ist die Medienkunst am Ende? Die Schwierigkeiten beginnen schon beim 
Begriff 'Medien'. Über die Jahre ist er so unscharf geworden, dass nur 
noch wenige Dinge das Privileg besitzen, kein Medium zu sein. Und 
Medienkunst? Es gibt viele Künstler, die mit vielerlei Medien arbeiten. 
Wenn man Malerei als ein Medium ansieht, findet sich kein Künstler, der 
nicht in einem Medium tätig sein würde.

Rückblickend stellt sich die Frage, wann und warum von Medienkunst 
geredet wurde. Die  Sach- und Interessenlage ist etwas kompliziert. Denn 
es geht nicht nur um Kunst und Kunstwerke. Es geht um die modernistische 
Idee der Avantgarde, um Fördermittel und Innovationstöpfe, um Popkultur 
und Hochkultur.
Wie kommt es also dazu, dass niemand mehr Medienkünstler sein will? 
Medienkunst ist kein einschließender, sondern ein ausschließender 
Begriff. Wer sich nicht einfach als Künstler, sondern als Medienkünstler 
bezeichnet, ordnet sich einer exklusiven Gruppe zu. Das lohnt sich nur, 
solange diese kleine Exklusion einen Mehrwert abwirft. Seit geraumer 
Zeit aber machen die sogenannten Medienkünstler die traurige Erfahrung, 
in mehr oder weniger unattraktiven Nischen der Kunstwelt zu enden. 
Anstatt auf den großen Messen und im internationalen Zirkus der 
Biennalen zu reüssieren, versacken sie auf Professorenstellen in der 
Provinz oder in der Obhut halbindustrieller oder halbstaatlicher 
Institutionen.

Springen wir an den Anfang der Geschichte. Die meisten Dinge und Geräte, 
die man als  Medien bezeichnet, brachte das 19. Jahrhundert hervor. Der 
Beginn der Moderne fällt in dieselbe Zeit wie die Erfindung der 
Fotografie. Und zwar nicht ohne Grund. Denn damit verbindet sich ein 
Ausschluss, der sich als wegweisend herausstellt und für das eigenartige 
Verhältnis von Medien und Kunst verantwortlich ist. Um 1860 gelingt es 
den Malern, das Museum als ihren angestammten Ort zu verteidigen. 
Fotografie findet dort vorerst keinen Platz und damit auch keinen Platz 
in der Kunst. Seitdem steht Kunst zu allen Techniken der Reproduktion 
auf dem Kriegsfuß und kann deren Erzeugnisse nur in limitierten Auflagen 
ertragen. Das führt dazu, dass Preis für Kunst sich nicht auf einem 
Markt reproduzierbarer kommerzieller Massenprodukte bildet, sondern in 
einem sehr diffizilen Geflecht von Kennerschaft und Kunsthandel. Kunst 
ist damit weitgehend unabhängig von neuen Technologien der Reproduktion 
und Distribution, sprich von neuen Medien.

Warum und wann also kamen die Medien zur Kunst zurück, nachdem sie 
einmal ausgeschlossen waren? Hier gibt es zwei verschiedene Geschichten, 
eine der Sache und eine des Wortes. Einerseits kam es immer wieder zu 
Einbrüchen neuer Technologien in die Kunst. Andererseits geriet, und 
zwar verhältnismäßig spät, der Begriff Medien in Gebrauch.
Dass die technischen Neuerungen der jüngeren Zeit die Kunst nicht im 
Kern verändern, zeigt der fortgesetzte Erfolg der alten Medien Malerei, 
Zeichnung oder Skulptur. Es gibt keine technischen Zwänge, wie man sie 
aus anderen kulturellen Feldern wie Musik oder Film kennt. Dort treten 
neue Medien an die Stelle der alten, Reproduktionsverfahren und 
Distributionswege müssen vollkommen neu erfunden werden. Nicht so in der 
Kunst. Neue Medien sind ihr gegenüber akzidentell. Man kann mit ihnen 
arbeiten, muss aber nicht. Der Grund für den Einbruch neuer Technologien 
in die Kunst liegt also nicht im Technischen. Wo dann?

Kurz gesagt: im Neuen. Für die Kunst war das Neue als eigenständiger 
Wert nicht immer so wichtig wie im Zeitalter der modernen Avantgarden. 
Doch in jüngster Zeit ist der avantgardistische Impuls weitgehend 
versiegt. Die Medienkunst war in gewisser Weise ein ebenso verspäteter 
wie vergeblicher Weg, das Phantom der Avantgarde zu reaktivieren. Den 
ersten und durchaus erfolgreichen Versuch, neue Techniken in der Kunst 
zu übernehmen, machen die italienischen Futuristen. Vieles davon findet 
Widerhall in den Avantgarden der 20er Jahre, vom Konstruktivismus zum 
Bauhaus. Doch die neuen Technologien fassen in der Kunst nicht wirklich 
Fuß. Nach dem Weltkrieg dominiert wie eh und je Malerei.
Ein zweite Welle technischer Neuerungen kommt parallel zu den 
sogenannten Massenmedien. Das Verhältnis von Konzeptkunst zu 
Technologien hat Sabeth Buchmann jüngst in ihrem Buch "Denken gegen das 
Denken" detailreich untersucht. Fotografie erreicht die Galerieräume als 
Mittel, Performances oder Land-Art außerhalb der Ausstellungsräume zu 
dokumentieren. Die Kombination verschiedenster Medien macht der 
Fluxus-Künstler David Higgins 1966 in seinem Essay 'Intermedia' zum 
Thema. 1967 kommt unter dem Namen Portapak die erste portable 
Videokamera auf den Markt. Gerry Shums Fernsehgalerie aus dem Jahr 1968 
gibt der Videokunst Raum. Einige Jahre zuvor lenkt Marshall McLuhan mit 
seinem Buch 'Understanding Media' eine größere öffentliche 
Aufmerksamkeit auf die Medien.

Aber noch erlangt der Begriff keine Macht im Umfeld der Kunst. Statt 
dessen spricht man von Video, Technologie, Information oder dem 
Elektronischen, das 1979 der Ars Electronica ihren Namen verleiht. Erst 
Mitte der 80er Jahre tritt der Begriff Medien in den Vordergrund.
Digitale Medien ersetzen die alten analogen Technologien, allerorten ist 
von der Ankunft der Neuen Medien der Rede. Mit dem Attribut neu 
verbindet sich eine alte Hoffnung. Es birgt das Versprechen einer 
Avantgarde. Neu sind nicht länger nur die Wilden Maler der 80er, sondern 
auch die Technologien. Aber im Gegensatz zu den gut überlegten 
Positionen der Konzeptkunst führt das neuerliche Vertrauen in die 
Technologien zu einer Inflation von Banalitäten. Medienkünstler plappern 
technophile Slogans von der Simulation bis zum Virtuellen nach und 
verlieren sich in haltlosen Experimenten an Schnittstellen und 
Computer-Kitsch.
Früchte trägt der dritte Einbruch des Medialen auf institutioneller 
Ebene. 1990 wird die Kunsthochschule für Medien in Köln gegründet, 1999 
folgt das Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe. Damit 
gehen akademische Versuche einher, einen Kanon zu formulieren und 
Medienkunst als Genre zu etablieren. An den scheinbaren Erfolg der 
Medienkunst will wenig später die Netzkunst anknüpfen. Aber spätestens 
hier wird das Dilemma offensichtlich. Den entscheidenden 
technisch-kulturellen Innovationen hinkt die Kunst hinterher. Das 
Internet wächst an Forschungseinrichtungen und Universitäten, durch 
Standardisierungen und Programmiersprachen und nicht zuletzt mit dem 
kalifornischen Schulterschluss von Investoren und Entrepreneuren. So 
verliert die Medienkunst an beiden Seiten. Weder prägt sie die Kultur 
der Medien und noch erlangt sie innerhalb der Kunstwelt eine Position 
von Bedeutung. Um es drastisch zu sagen: viel kreative Energie wurde 
dafür verschwendet,  Kunst mit den Medien zu versöhnen, während man 
anderswo das Netz als Programm und Ökonomie real verwirklichte.

Heute ändert sich die Lage der Medien dramatisch. Was sich im Verlauf 
des letzten Jahrhunderts als Foto, Film, Video, Fernsehen, Schallplatte, 
Radio und so weiter nebeneinander entwickelt hat, wird von einer 
übergreifenden digitalen Kultur vereinheitlicht. Man unterscheidet noch 
zwischen Formaten und Schnittstellen, aber die Grenzen zwischen 
einzelnen Medien verschwinden. Im Netz konvergiert, was zuvor getrennt 
war. Jedes Handy ist ein kleiner Computer mit Online-Anschluss, der 
sämtliche Sinne bedient. Medien sind passé.

Was bleibt zu sagen? Medienkunst war eine Episode. Da ihre Institutionen 
nicht vergehen, lebt sie als Dinosaurier der 80er und 90er Jahre weiter. 
Auf der anderen Seite hat Kunst technologisch längst die meisten Grenzen 
überwunden. Künstler arbeiten mit beliebigen  Medien, von der Zeichnung 
bis zum Internet. Als Gegenkultur zu den kommerziellen Produkten der 
Netze und Medien nimmt Kunst nach wie vor eine wichtige Position ein. 
Aber allein technisch lässt sie sich auf den Begriff bringen. Es gibt 
genug gute Kunst, die ganz selbstverständlich Medien einsetzt. Aber es 
gibt keine Medienkunst.