[rohrpost] Re: claude.monet@g8
cornelia sollfrank
cornelia at snafu.de
Fre Jun 8 10:24:18 CEST 2007
liebe susanne, lieber guy debord,
ja, offensichtlich ist der wunsch der menschen nach romantischen
spaziergängen ungebrochen, und umso besser wenn sich diese mit ein
wenig weltverbesserung verbinden lassen;-)
c.
Am 08.06.2007 um 01:15 schrieb susanne gerber:
> liebes pirate cinema, liebe cornelia sollfrank, lieber claude monet,
>
> wie wir auf der gelungenen synopse erkennen können, hat ein
> bisschen impressionismus noch keinem geschadet! also - warum soll
> ein piratenkino nicht mal auftanken in den mohngetupften wiesen an
> der ostsee? warum sollen die aufgewühlten menschen von überall sich
> nicht tummeln im strassensteinhagel oder im facettenreichen strahl
> des wasserwerfers? warum soll eine angela m. nicht wildgewordenen
> bush versuchen zu zähmen? warum sollen die schwellenstaaten nicht
> laut gemeinsamer absprache die schwelle endlich nehmen und für eine
> beschleunigung des klimawandels sorgen, der von sonnenhungrigen
> nordlandpflanzen schon lange (und nicht nur insgeheim!) ersehnt
> wird? was mir schwer fällt ist der obligatorische bekenner-link zu
> afrika. hätte claude monet via bundeskulturstiftung auch für einen
> afrikanischen impressionismus gesorgt? keine ahnung! also mir hat
> es nicht gefallen diesmal in rostock. die schaufenster waren
> verbrettert und vernagelt und jeder einwohner war dann doch ein
> polizist. als mir die steine ziemlich nahe am kopf vorbeipfiffen
> und immer mehr einsatzwagen durch die leergefegte stadt sausten bin
> ich lieber mit dem allernächsten zug wieder nach berlin gefahren.
> dort kann ich in ruhe meine emails lesen und mich auf die nächste
> vorstellung on pirate cinema freuen. impressionismus hin oder her.
>
> susanne gerber
>
>
> On Jun 7, 2007, at 11:05 PM, cornelia sollfrank wrote:
>
>> liebes pirate cinema,
>>
>> die bilder sind echt süß! danke dafür!
>>
>> und euren einschätzungen stimme ich weitgehend zu,
>> umso weniger verstehe ich, warum ihr überhaupt dort wart...
>> welche überlegungen verlassten das pirate cinema dazu, sich mit
>> rostock, heiligendamm, g8 und dem kunstevent, von dem ihr euch
>> schon an anderer stelle distanziert habt, in verbindung zu bringen?
>>
>> c.
>>
>> Am 07.06.2007 um 21:27 schrieb pirate cinema berlin:
>>
>>> Wir bedanken uns für die zahlreichen Nachrichten, die uns in
>>> Rostock erreichten.
>>> Zurück in Berlin, passenderweise via Bad Kleinen, bleibt
>>> nachzureichen, dass,
>>> während in Rostock 100 mal dasselbe Auto brannte, 400 mal
>>> derselbe Polizist sich
>>> am eigenen Tränengas verletzte und 200.000 mal derselbe Rostocker
>>> Bürger vor den
>>> "Scherben seiner Existenz", im Grunde ein sehr schönes und völlig
>>> zutreffendes
>>> Bild für den Alltag dort, stand, in Delhi bei Strassenschlachten
>>> mit der Polizei
>>> mindestens 25 Menschen ums Leben gekommen sind, und der
>>> eigentliche und einzige
>>> Grundkonsens, der die jugendliche Euphorie der Gipfel-Camper, die
>>> kompromisslose
>>> Professionalität der Greenpeace-Aktivisten und den debilen
>>> Hochmut von Herbert
>>> Grönemeyer befeuert, darin besteht, dass keine und keiner dieser
>>> 25 es verdient
>>> hat, dass es von ihr oder ihm auch ein Bild gibt. "Der G8" ist
>>> ein gigantisches
>>> Ablenkungsmanöver zur Aufrechterhaltung durch Bilder wie durch
>>> deren Abwesenheit
>>> vermittelter gesellschaftlicher Verhältnisse zwischen Personen.
>>>
>>> Den klügsten Text über Heiligendamm, also über Globalisierung,
>>> Umweltzerstörung,
>>> Klimawandel, Abgashandel, Öko-Reformismus, NGO-Bürokratismus und
>>> die missliche
>>> Lage von Staatschefs und Wissenschaftlern, die bei der
>>> Beschleunigung von
>>> kapitalistischer Warenproduktion und technischem Fortschritt an
>>> eine planetare
>>> Grenze stossen, hat, und zwar schon vor 36 Jahren, Guy Debord
>>> geschrieben <1>;
>>> das schönste Bild von Heiligendamm, das bisher einzige, auf dem
>>> Tote zu sehen
>>> sind, insgesamt vier, immerhin, deren legitimer Anspruch auf
>>> Abbildung eingelöst
>>> wird, hat, aus Spiegel Online <2> und Monet <3>, Peter Grabher
>>> hergestellt <4>.
>>> Ansonsten gibt es für uns "vom G8" eigentlich nicht mehr viel zu
>>> berichten.
>>>
>>> <1> http://piratecinema.org/textz/guy_debord_the_sick_planet.html
>>> <2> http://piratecinema.org/images/spiegel.jpg
>>> <3> http://piratecinema.org/images/monet.jpg
>>> <4> http://piratecinema.org/images/
>>> les_coquelicots_de_heiligendamm.jpg
>>>
>>> --------------------------------------------------------------------
>>> ------------
>>>
>>>
>>> Sunday, June 10, 8 pm
>>>
>>> Pirate Cinema Berlin
>>>
>>> Tucholskystr 6, 2nd floor
>>>
>>> 8.30
>>> pm: Cul de sac
>>>
>>> Garrett Scott, 2002
>>>
>>> 57 min, 699 MB
>>>
>>> 9.30
>>> pm: The Bridge
>>>
>>> Eric Steel, 2006
>>>
>>> 91 min, 703 MB
>>>
>>>
>>> Free entry
>>>
>>> Cheap drinks
>>>
>>> Copies to go
>>>
>>> --------------------------------------------------------------------
>>> ------------
>>>
>>> "In May of 1995, Shawn Nelson, a 35 year old plumber from a
>>> suburb of San Diego,
>>> California, emerged from a mineshaft he had constructed in his
>>> backyard. After
>>> months spent mining for gold behind his Clairemont home, Nelson,
>>> an Army
>>> veteran, drove a mile down the road to a nearby National Guard
>>> Armory and stole
>>> a 60 ton tank. For nearly half an hour, Shawn Nelson continued
>>> unhindered down
>>> surface streets and freeways until he was finally stopped [and
>>> killed, A.d.P.C.]
>>> by police. No one else was hurt."
>>>
>>> -- Opening titles
>>> of "Cul de sac"
>>>
>>> "So... I got there, stood there for like 40 minutes on that spot,
>>> just crying my
>>> eyes out. Joggers, bikers, runners, tourists, whatever, running
>>> by, walking by,
>>> looking at me, didn't say anything. It's not their problem,
>>> but... anyway. And
>>> this woman, she came up to me, she said, in a German accent: Will
>>> you take my
>>> picture? And I was like: Your picture? Well, I'm gonna kill
>>> myself, what's wrong
>>> with you? Can't you see the tears pouring out of my face? But she
>>> couldn't, she
>>> was on her own hype. So I took her camera, took her picture,
>>> said: Miss, have a
>>> nice day... turned back to the traffic, turned back to the bay,
>>> said: Fuck it,
>>> nobody cares... and I hurdled over the bridge."
>>>
>>> -- Kevin Hines, Golden Gate Bridge jumper (and survivor),
>>> in "The Bridge"
>>>
>>> --------------------------------------------------------------------
>>> ------------
>>>
>>> Im Süden oder Westen ist es natürlich auch nicht besser.
>>> Zumindest nicht in
>>> Kalifornien, in San Diego und in San Francisco, wo "Cul de Sac"
>>> und "The Bridge"
>>> spielen, die zusammen zu zeigen uns zunächst einmal der Titel
>>> wegen, Sackgasse
>>> und Goldenes Tor, in beiden Fällen Dead End, in den Sinn kam, die
>>> aber auch aus
>>> anderen Gründen, vielleicht vor allem als zwei selbst ziemlich
>>> prekäre Filme
>>> über aussichtslos prekäre Verhältnisse, zusammenpassen.
>>>
>>> Garrett Scott erzählt die Geschichte von Shawn Nelson, dem, für
>>> die letzten 23
>>> Minuten seines Lebens, Panzer-Amokfahrer von San Diego, spricht
>>> mit dem
>>> zahnlosen Bruder, den White Trash und Latino Trash Freunden, den
>>> sprachlosen
>>> Anwohnern und den ratlosen Cops, und zeichnet dabei ein derart
>>> bizarres Panorama
>>> völlig plausiblen Wahnsinns - Armut, Drogen, Paranoia, gepaart
>>> mit einem
>>> Galgenhumor von der luzidesten Sorte - dass man schon nach ein
>>> paar Minuten den
>>> Eindruck hat, in einer Doku-Fiction, und zwar einer, die selbst
>>> die "Trailer
>>> Park Boys" noch in den Schatten stellt, gelandet zu sein.
>>>
>>> Eric Steel hat ein Jahr lang die Golden Gate Bridge, und dabei
>>> die meisten der
>>> 24 Menschen, die sich in diesem Zeitraum von der Brücke in den
>>> Tod gestürzt
>>> haben, wozu später Angehörige und Bekannte Stellung nehmen,
>>> gefilmt, was auf
>>> einigen Filmfestivals für einiges Aufsehen gesorgt hat (wenn
>>> auch, nach kurzer
>>> Recherche, es so aussieht, als wäre unser Screening eine
>>> Deutschlandpremiere),
>>> weil das Ergebnis, trotz routinemässiger Anrufe des Filmteams bei
>>> der Polizei,
>>> sobald jemand länger als üblich am Geländer verweilte, und
>>> atemberaubend
>>> gutaussehender Bilder von einem genauso weltbekannten wie
>>> sagenumwobenen Bauwerk
>>> (Kim Novak sprang, da James Stewart nicht schwindelfrei war, nur,
>>> genau dort, wo
>>> Eric Steel 50 Jahre später seine Kamera aufbauen sollte, von der
>>> Uferböschung,
>>> und wurde, wie wir wissen, gerettet), eben doch ein Snuff Movie
>>> ist, was dem
>>> Film durch die Bank als "verstörende" Qualität, Rezensionen bitte
>>> selber
>>> googlen, attestiert wurde.
>>>
>>> Am verstörendsten aber, und wenn wir "The Bridge" zuletzt zeigen,
>>> dann weil man
>>> danach möglicherweise erstmal keinen amerikanischen
>>> Dokumentarfilm mehr sehen
>>> möchte, ist die fast völlige Abwesenheit irgendeiner Erklärung
>>> für die
>>> beobachteten Selbstmorde, die über eine Rekonstruktion eines rein
>>> persönlichen
>>> Schicksals hinausginge. Garrett Scott nennt seinen Film eine
>>> "Suburban War
>>> Story" und zeigt Shawn Nelsons Amokfahrt als Symptom des
>>> Niedergangs der in San
>>> Diego einst, im Kalten Krieg wie im Vietnamkrieg, blühenden
>>> Militärindustrie;
>>> sich vorzustellen, was in der Kommunikationstechnologie-
>>> Musterboomtown San
>>> Francisco das Problem sein mag, bleibt den Zuschauern überlassen,
>>> die sich das,
>>> selbst wenn sie es sich vielleicht würden vorstellen können,
>>> wahrscheinlich doch
>>> lieber nicht würden vorstellen wollen oder gar, wie in diesem
>>> Fall, müssen. Die
>>> Kritik von durch amerikanische Dokumentarfilme vermittelten
>>> gesellschaftlichen
>>> Verhältnissen zwischen Personen könnte "The Bridge" um die ja
>>> auch ganz oben
>>> schon angedeutete Einsicht bereichern, dass noch perverser als
>>> das perverseste
>>> Bild das Unterschlagen des im Grunde einfachsten sein kann.
>>>
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