[rohrpost] Globalisierungskritik, wie weiter? (Frank Apunkt Schneider / monochrom)

das ende der nahrungskette jg at monochrom.at
Die Dez 4 10:43:45 CET 2007


Globalisierungskritik, wie weiter? Antwort#25

http://www.berlinergazette.de/?p=490

Ich glaube, die G-8-Proteste sind, wie erwartet, 
wieder verebbt, und mir kam das ohnehin so vor, 
als ginge es dabei mehr um so eine Art 
Festspielcharakter, der da von allen Seiten 
ausgelebt wurde. Ich bin, was die Wirkungen 
dieser Protestform betrifft, ehrlich gesagt 
skeptisch, ohne dass ich das jetzt als Haeme oder 
klammheimliche Freude des 
weltverhaeltnissefrustrierten Altlinken gelesen 
wissen moechte. Die Anti-Globalisierungs-Bewegung 
hat sich halt bewiesen, dass es ihr um 
gesellschaftliche Verantwortung zu tun ist – so 
als Haltung und Identitaetsmoment und als Verantwortung.

Und dafuer gibt es natuerlich die erhofften 
Paradiespunkte und eine Handvoll 
Extrajungfrauen/-maenner im Jenseits. Reale 
Veraenderungen – vielleicht so gar noch in den 
grossen politischen Dimensionen – standen da fuer 
mich aber nie im Horizont. Zumindest nicht in 
einer greifbaren, falsifizierbaren Form. Was 
nicht den Leuten und ihren Aeusserungsformen im 
Einzelnen und im Besonderen angelastet werden 
soll, eher schon dem, was frueher mal >das 
System< genannt wurde – aber auf mich hat das 
[allerdings zugegeben: aus der Ferne] gewirkt wie Protestroutine.

Irgendwie traurig in seiner selbstgenuegsamen 
Ohnmacht mit gelegentlichen kalkulierbaren 
Ausbruechen [Schwarzer Block]. Eventuell koennte 
dabei aber herausgekommen sein, dass sich fuer 
Einzelne die Frage gestellt hat, am anderen Ende 
des zu durchlaufenden Prozesses, worin der Grund 
fuer diese Handlungsunfaehgikeit besteht – 
zumindest bei denen, die nicht eh bloss ein 
bisschen saekularisierten Kirchentag spielen 
wollten und dafuer ein gutes Gefuehl eintauschen: 
naemlich auf der richtigen Seite zu stehen [das 
alte Problem der Li[e]beralen...] Aber die gelten eh nicht!

Generell waere es wohl sinnvoll, erstmal ein 
brauchbares theoretisches 
Framing/Setting/Ruestzeug auszuarbeiten, 
innerhalb dessen und mit dem agiert werden kann, 
oder eben auch: gefragt, denn dann wuerde es 
vielleicht moeglich, im globalisierungskritischen 
Rahmen auch strategische und politische Forderung 
zu stellen und nicht bloss Michael Moore in Hunderttausender-Potenz zu sein.

Von einem theroetischen Hintergrund aus lassen 
sich auch die hinlaenglich bekannten Probleme von 
Kollektivformen politischer Empoerung fassen, 
begreifen und vielleicht sogar – warum nicht das 
auch mal zur Abwechslung: ueberwinden … Gehoeren 
wuerde dazu natuerlich auch, sich mit den eigenen 
antiimperalistischen Klischees 
auseinanderzusetzen, die da oft wie tote Muecken 
auf der Windschutzscheibe der Globalisierungskritik kleben.

Oder ihr zumindest einsichtlich zu machen, dass 
sie die laengst mit einem Grossteil des sich neu 
erfunden habenden Deustchlands teilen muss, das 
auch ein Stueck vom tollen Antiamerikanismus- und 
Antikapitalismusklischee-Kuchen abhaben will 
[Stichwort: Heuschrecken usw., Heiner Geisler, 
CSU-Sozialpolitik] abhaben wollen. Weiters: der 
verkappte Antisemitismus der 
Globalisierungskritik, ihre heissgeliebten 
Verschwoerungstheoreme und und und – das alles 
koennte in einem anders geframten Blickfeld auch 
mal erfasst werden und nicht immer nur so mitzockeln.

Wie die Kritik langfristig im Mittelpunkt des 
Interesses bleiben kann? Da bleibt nur eins: Mehr 
Kirchentage …! Nein, im Ernst: Das wird ihr nur 
dann gelingen, wenn sie sich therotisches 
Werkzeug zulegt, mit dem es ihr moeglich waere, 
Vorgaenge in der Welt jenseits von 
Stammtisch-Behauptungslogik zu verstehen, zu 
erklaeren und also auch anzugreifen und dabei zu 
treffen [und nicht immer meilenweit vorbei zu 
schiessen]. Alles andere ist im Interesse der 
Gegenseite, wer auch immer das eigentlich genau sein soll.

Ich glaube, dass der Glaube an die Medien als 
Agens von Veraenderung von vorneherein ein Teil 
des Problems und nicht der Loesung ist. Medien 
haben in der buergerlichen Gesellschaft die 
Tendenz, sich an die Stelle politischen Handelns 
zu schmuggeln und dieses zu ueberschreiben mit 
ihren Medienproblemchen [also ihren 
Luxus-Problemchen mit sich selbst], was sich ja 
schon allein an der Existenz der Frage bezeigt, 
ob Web 2.0 etwas zu veraendern vermag. Es geht 
dann eigentlich nur noch um Web 2.0… Was 
geaendert werden soll, wird aber kaum noch 
gesagt, hoechstens noch mal kurz verschlagwortet.

Der schwarze Block – verstanden als 
Arikulationsort und -art eines nicht schon 
liberalistisch befriedeten Protestes spielt seit 
jeher in den Medien eigentlich eine konstante 
wichtige Rolle, die hoechstens mal zu- und mal 
abnimmt [in dem Masse wie der Schwarze Block und 
seine konkreten Formierungsanlaesse zu- und 
abnehmen]. Er steht zwar fuer eine radikale 
Kritik der Verhaeltnis [jenseits von Reform], die 
er dann irgendwie – meist eher ungluecklich – in 
reale Aktion zu transformieren versucht, aber 
gerade dadurch spielt er eigentlich das Spiel der 
Medien mit, und das nicht nur, weil die ja auf 
ihn angewiesen sind, um titelseitenfaehige Demokriegszustandsbilder zu kriegen.

In diesem Spiel laesst sich der Schwarze Block 
die Logik der buergerlichen Medien aufzwingen und 
agiert in einem Setting, das von der Gegenseite 
definiert wurde. Seine Subversion ist als 
willfaehrige Repraesentation medialer 
Subversionsklischees vielleicht nicht harmlos, 
aber angepasst. Der Schwarze Block, zumal solange 
er eher die Spielwiese von geschichtlich 
verhinderten StrassenkaempferInnen ist anstelle 
eines wirklichen Organes von Intervention, wird 
also weiterhin medial bedeutsam sein fuer die 
massenmediale Verwaltung/-mittlung des Demo-Guten und des Demo-Boesen.

Der Schwarze Block haette aber aus seiner 
faktischen Nichtpartizipation am buergerlichen 
Diskurs und angesichts der radikalen Veroedung 
der buergerlichen Intellligenz in Deutschland 
durchaus die Chance, sich in subversiver Weise zu 
intellektualisieren. Damit waere er dann auch 
nicht mehr medial erfassbar, weil er sich in 
einer Weise artikulieren koennte, die gar nicht 
in deren Aufnahmegeraete passt. Wird aber nicht 
passieren, zuviel Strassenkampfsport, zuviel Wut 
und Empoerung und zuviel Identitaetsscheisse, da 
wird man/frau nichts machen koennen… Bzw.: wollen.

[Anm. d. Red: Der Autor ist Mitglied des Kuenstlerkollektivs monochrom]