[rohrpost] Vom Verfall bedroht: 40 Jahre Videokunst

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Die Mar 21 09:46:16 CET 2006


  
Düsseldorf/Bremen/Karlsruhe (dpa) - Wann immer ein Ausstellungsbesucher auf eine Video-Arbeit stößt, bleibt er länger bei ihr stehen als er vor einem Gemälde, einer Skulptur oder einer Grafik verweilt. 

"Das Publikum liebt diese filmischen Werke sehr viel mehr als die traditionellen Gattungen", meint der Leiter der Bremer Kunsthalle und seit Jahren "Nestor" der Videokunst, Wulf Herzogenrath. Grund: Geschehen, Handlung und Abläufe von bewegten Bildern üben eine starke Faszination auf die Betrachter aus.

Mit der Freude am Videofilm könnte es bald vorbei sein, ist die seit den 60er Jahren entstandene elektronische Kunstgattung doch akut vom Verfall bedroht. "Die begrenzte Haltbarkeit von Magnetbändern ist seit über zehn Jahren bekannt", betont Rudolf Frieling vom Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) in Karlsruhe. Hinzu kommt, dass es an entsprechend historischen Abspiel- und Vorführgeräten fehlt. Am ZKM würden deshalb schon vorsorglich "Labor und Archiv mit alten Maschinen" aufgebaut.

Die Bedrohung der Video-Kunstwerke ist eine "100-prozentige", sagt Doris Krystof von der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf. "Wenn wir jetzt nicht handeln, kann es zu spät sein." Bedroht sind unzählige Videofilme aus über 40 Jahren. Um dieses herausragende kulturelle Erbe zu retten, müsste es dringend digitalisiert werden. Nur durch baldigen Datentransfer des Filmmaterials etwa auf DVDs könne es erhalten bleiben.

Voraussetzung sind neben mehr Fachwissen, mehr Geld und Kompetenzen auch mehr kunsthistorisches Bewusstsein für die Gattung: Inhaltliche Gleichberechtigung für die Videokunst fordert Wulf Herzogenrath. "Sie muss Schnitt für Schnitt so ernst genommen werden wie ein Gemälde." In einem ersten Schritt haben dafür fünf deutsche Museen Pionierarbeit geleistet. "Digitales Erbe: Videokunst in Deutschland von 1963 bis heute" heißt ein Projekt, für das sich die Kunsthalle Bremen, die Kunstsammlung NRW, das ZKM in Karlsruhe, das Lenbachhaus in München und das Museum der Bildenden Künste in Leipzig zusammengeschlossen haben.

Das erste, für jeden Kunstfreund sichtbare Resultat der Initiative ist ein umfangreiches Ausstellungsprojekt, das zeitgleich in den fünf beteiligten Museen gezeigt wird. Mit Sonderbereichen wie dem Experimentalfilm in der ehemaligen DDR oder Ausstellungen auf "Zeitschiene", die in verschiedenen Jahrzehnten die Entwicklung der Videokunst dokumentiert, widmet sich jedes Haus einem anderen Schwerpunkt.

Alle gemeinsam dagegen lassen eine selbst produzierte "digital versatile disc" laufen: Diese DVD ist nach Herzogenraths Angaben als Anthologie aus vier Jahrzehnten Videokunst schlicht eine "Sensation". Verborgen bleibt dem Publikum dagegen die Detektivarbeit, die die Beteiligten durch Aufspüren und Bearbeiten des Videomaterials in die DVD investiert haben. Resultat: Über 27 Stunden Filmmaterial von knapp 60 Künstlern. Das Spektrum reicht von den berühmten zwei Stunden des "Schleyer-Bandes" von Klaus vom Bruch, der in den späten 70er Jahren die Berichterstattung zur dramatischen Entführung des Arbeitgeberpräsidenten durch die RAF vom Fernseher abfilmte bis zu Nam June Paik.

Prophetisch begrüßte der aus Korea stammende Pionier der Videokunst mit "Good Morning Mr. Orwell" das Jahr 1984. Paiks zum Jahreswechsel per Satellit ausgestrahltes Projekt einer schrägen Künstler-Gala mit Auftritten etwa von John Cage, Joseph Beuys, Salvador Dalí oder Maurizio Kagel hatte weltweit und zeitgleich die für ein zeitgenössisches Kunstwerk unvorstellbare Einschaltquote von 10 Millionen Zuschauern.

www.40jahrevideokunst.de