[rohrpost] Tagung: Was ist ein Medium? - Vorträge online

Florian Cramer cantsin at zedat.fu-berlin.de
Mit Mar 15 14:08:30 CET 2006


Am Sonntag, 12. März 2006 um 16:25:45 Uhr (+0100) schrieb nabokov:

> einen Begriff über den man vielleicht nachdenken müsste,  wäre
> Information. Medien haben doch immer irgendwie etwas mit
> Information zu tun. 

Ich würde Dir zustimmen - womit Du allerdings den Begriff bereits
erheblich enger faßt als z.B.  McLuhan.

> Man könnte sagen, dass Medien informiert werden 

Da haben wir schon das erste Problem, weil in einem klassischen
Kommunikationsmodell nicht die Medien informiert werden, sondern
Empfänger, und Medien als Informationsträger definiert sind.

> und dabei ist dann auch  völlig gleichgültig, was man dann genau unter
> einem „Medium“ versteht. 

Ketzerische Frage: Wenn Du den Begriff, völlig plausibel, aus der
Information herleitest, andererseits aber nicht die traditionelle
Gleichung Medien = publizistische Massenmedien unterschreibst, warum
nicht gleich von Informatik statt von Medienwissenschaft reden? 

>       Es gibt ein Buch, das heißt „Grundbegriffe der  Medientheorie“
>       und ist von Alexander Roesler und Bernd Stiegler herausgegeben.
>       Und in diesem Buch da schreibt dann auch sein Freund Stefan
>       Münker (der mit  Roesler die Tagung „Was ist ein Medium?
>       organisiert hat) den Artikel über  Information. Da wird Gregory
>       Bateson zitiert: „’Information ist ein  Unterschied, der einen
>       Unterschied ausmacht“. (Bateson, 1985, p.582).

("A difference that makes a difference" im Englischen Original.) 

>       Es ist ja nicht so, dass Informationsfluss immer mit dem
>       Aufheben eines Irrtums zu tun hat, sondern mit der Beseitigung
>       von  Unsicherheit. Auch Ashby verstand Information als 'that
>       which removes  uncertainty' oder so ähnlich. 

Das Problem ist, daß bereits hier der Informationsbegriff metaphorisiert
wird. Bei Shannon ist "Information" ein unsemantische, technisch meßbare
Größe. Seine Begriffe der Redundanz, des Rauschens etc. beziehen sich
allesamt auf technische Datenverarbeitung, also Kompressionsalgorithmen,
Berechnungen von Übertragungsbandbreiten etc, und sind allesamt ohne
jegliche Semantik oder K.I. mit einfachen Algorithemn und stochastischen
Verfahren berechenbar. Wenn man z.B. die 8 Bits/das Byte "10000001" in
einer halben Sekunde durch einen Kanal schicken will, der nur 5 Bit pro
Sekunde Bandbreite bietet, kann man etwa die sechs Nullen in der Mitte
zu "60" bzw. binär "110" zusammenfassen, so daß sich die Bitfolge auf
die 5 Bits "11101" komprimieren ließe. Die Differenz, die hier als
Information eine Differenz ausmacht, ist also das, was nicht redundant
ist. 

Semantisiert man dies nun - indem man zum Beispiel vom (inhaltlichen)
"Rauschen" auf dieser Liste spricht -, so vergleicht man, wie ich finde,
Äpfel mit Birnen, weil man rein technische Konzepte der Codierung höchst
fragwürdig auf die semantische Ebene kultureller Prozesse projiziert.
Gertrude Steins "a rose is a rose is a rose" ist als technische
Information hochredundant und z.B. zu "3a 3rose 2is" komprimierbar,
semantisch-hermeneutisch ist jedoch das Gegenteil der Fall, und man
könnte ein ganzes Buch darüber schreiben. Genau diese Differenz (die
eben auch keine "Differenz" im technischen Sinne ist) zeigt, weshalb
Shannons Informationsbegriff auch für die Geisteswissenschaften extrem
nützlich ist, weil man auf seiner Basis endlich einen wohldefinierten
Begriff des Formalen gewinnt, bei dem - im Gegensatz zum
literaturwissenschaftlichen Strukturalismus - klar ist, daß zum Beispiel
eine Sprachfigur wie eine Metapher eben nicht "Form" ist.

Wenn man nun aber technische Information einerseits und Zeichen (die
auch eine semantische und pragmatische Dimension haben) andererseits als
zwei Beschreibungsebenen differenziert, präzisieren sich auch Begriffe
wie der von Dir angeführte "Irrtum". Im Kontext der
Informationstheorie/Informatik ist er schlicht formalsyntaktisch
definiert und tritt z.B. dann auf, wenn bei der
Codierung/Übertragung ein Bit kippt und aus "11101" "11100" wird - was
man beispielweise mit Prüfsummenverfahren (1+1+1+0+1=4=100 vs.
1+1+1+0+0=3=11) auffangen kann. Außerhalb der technischen
Informationsverarbeitung, auf der Ebene der Menschen, die mit Zeichen
umgehen, kann der Irrtum jedoch bereits entstehen, wenn "11101" etwa von
der Verteilersoftware dieser Mailingliste technisch korrekt übertragen
wird, jedoch einige Leser/innen glauben, es handele sich um das Kürzel
der italienischen Netz- und Aktionskunstgruppe, und andere, es sei
eine Notrufnummer.

>       Ereignis?  - Dass eine Information nur dann eine Information
>       ist, wenn  sie nicht redundant ist, dass hat Luhmann von Shannon
>       geklaut und auf soziale  Zusammenhänge angewandt...  

Es ist Luhmanns generelle Methode, Begriffe aus den Natur- und
Technikwissenschaften (so z.B. das Konzept der autopoiesis von
Maturana/Varela) zu übernehmen und höchst eigensinnig in geistes- und
sozialwissenschaftliche Begriffe umzuwidmen, ohne jedoch kenntlich zu
machen, daß diese Umwidmungen metaphorisch und übrigens von
naturwissenschaftlichen Systemtheoretikern keinesfalls anerkannt sind.
Dadurch spricht seine Theorie mit dem Gestus des
Wissenschaftlich-Objektiven; weshalb ich sie, trotz all ihres Witzes und
ihrer Gracianschen Weltklugheit nicht unproblematisch finde.

-F

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