Re: [rohrpost] Tagung: Was ist ein Medium? - Vorträge online
Till Nikolaus von Heiseler
Till_N_v_Heiseler at web.de
Son Mar 5 14:17:31 CET 2006
wiki zum diskurs: http://kein.org/keinwiki/MedienDiskurs
Vorträge „Was ist ein Medium?“: http://www.formatLabor.net/Mediendiskurs
Am 17.-18. Dezember 2005 fand die Tagung „Was ist ein Medium?“ statt.
Die Ankündigung, dass die Tagung online ist, wurde über Rohrpost am
01.03.2006 geposted.
Es entstand ein Diskurs eröffnet von Florian Cramer am 02.03.2006.
vgl: http://coredump.buug.de/pipermail/rohrpost/2006-March/thread.html
Zwei DiskursFORMATE stehen sich nun gegenüber und implizieren die Frage,
in welchem Verhältnis Theorie und Diskursbedingungen stehen. In welcher
Weise werden Semantiken von etwas, das sie auf unhintergehbare Weise
formt, reguliert?
Gerade die Differenz eröffnet die Möglichkeit einer Reflexion. Auf der
einen Seite stehen die Medientheoretiker, die wahrscheinlich im Hinblick
auf eine Publikation Texte schreiben und sich diese gegenseitig auf einer
Tagung vortragen und sie diskutieren, auf der anderen Seite steht der
Diskurs in einer Mailingliste und in einem Wiki
(http://kein.org/keinwiki/MedienDiskurs).
Versuche diese Differenz zu beschreiben:
1. Man könnte diesen Unterschied ökonomisch-motivisch analysieren. Hierbei
kann man gegen die eine oder andere Seite polemisieren. Man könnte etwa
sagen, dass im Kontext des akademischen Denkens, das ja immer auch ein
Berufsdenken ist, die Publikation in einem renommierten Verlag, der mit
den Initiatoren und Moderatoren der Tagung konnotiert ist, lohnend ist und
dieses Motiv das Verhalten hinreichend erklärt. Dass es also schlich darum
geht, sich an eine sich selbst durch den Erfolg ermöglichende Struktur
anzupassen. Diesem Berufsdenken der „Brotdenker“ (Adorno) könnte man nun
das Konzept einer „frei schwebenden Intelligenz“ (Mannheim)
gegenübersetzen (denen es tatsächlich um etwas geht). Umgekehrt könnte man
in die andere Richtung polemisierend die gleiche Unterscheidung treffen
und von Wissenschaftlern und Hobbydenkern sprechen und über die Motive
Letzterer spotten, die offensichtlich unter einer Profilierungsneurose
leiden, da sie andere, ohne von einem Dritten dazu gebeten worden zu sein,
mit deren Gedanken behelligen.
- Das Anführen dieser beiden Polemiken soll deutlich machen, dass die
Unterscheidung auf der Ebene des Motivs unabhängig davon ist, wie man sich
dazu positioniert und auf welche Seite man sich stellt. Um diese
Unterscheidung differnziert beschrieben zu bekommen, würde es also gerade
darum gehen, diese Unterscheidung unpolemische zu ziehen und zu fragen:
Aus welchem ökonomisch-motivischen Kontext wird die Frage nach dem Medium
gestellt?
Mögliche Theorieistrumente: Luhmann, Mannheim, Searl, Lyotard.
2. Man könnte den Unterschied aber auch rein technisch beschreiben und
untersuchen, welche Theoriearchitekturen in Mailinglisten und wikis und
welche in der Form des Einzelartikels entstehen. Die Bedenken der
Berufsakademiker werden sein, dass das „wissenschaftliche Niveau“ und die
Komplexität der Gedanken in ihren Artikeln höher ist, als es in einer
mailing-list möglich ist, die man dann bestenfalls mit der Diskussion auf
einer Tagung vergleichen kann. Umgekehrt können die Freien Denker über die
möglichen Ergebnisse nur spotten, da sie - ob nun komplex und mit
akademischen Fußnoten versehen oder nicht - vollkommen nutzlos und
selbstreferentiell sind, da sie es weder schaffen, sich in praktischer
Weise als Medientheorie in Medien zu begreifen, noch anschlussfähig sind
an tatsächlich stattfindende mediale Projekte sozialer, künstlerischer
oder medienaktivistischer Art.
3. ... [weiter zu ergänzen: Möglichkeiten, den Unterschied zu beschreiben]
::Interessant ist natürlich, dass der ökonomisch-institutionell-motivische
Kontext und das technische Medium der Distribution eng miteinander
verknüpft sind. Dass also technischer Mediengebrauch einerseits und
ökonomische Verhältnisse und Motive andererseits unmittelbar aufeinander
verweisen.
Die Frage wäre nun, wie diese Differenz in Bezug auf technisches Medium
und Motiv fruchtbar werden könnte.
:Ausgangsfragen
- Kann Medientheorie den diskursiven Zusammenhang, in dem sie sich selbst
entwickelt, bearbeiten? Würde die theoretische Grundlage dieses
Zusammenhangs selbst Medientheorie sein oder gehört dieser Bereich eher zu
den epistemologischen Grundlagen der Theorie schlechthin? Wie müsste man
den Medienbegriff fassen, damit die epistemologische Grundlage der Theorie
Medientheorie wäre? Welche Aspekte spielen hier eine Rolle
(kulturtechnische, semiotische, sinnhaft-motivische, ...)?
- Wäre es möglich und produktiv, die unterschiedlichen Herangehensweisen
zu kombinieren oder sind die Kontexte so unterschiedlich, dass dies gerade
nicht möglich ist? Welche Bedingungen müssten erfüllt sein, dass es
möglich würde? Wie könnte ein entsprechendes Experiment aussehen?
1. Möglichkeit: Diejenigen der akademischen Theoretiker, die am Experiment
teilnehmen wollen, stellen ihren Text für X Tage (beispielsweise 21) in
ein Wiki. Dies wird über eine Mailingliste angekündigt.
Jeder Vortrag könnte beispielsweise einzeln, dann, wenn er hochgeladen
ist, angekündigt und ein Abstract über die Liste geschickt werden. (Die
Wahl der Mailingliste(n) ist eine wichtige Entscheidung).
Es entsteht eine Kommentarebene (man darf nicht im Text schreiben, sondern
muss im Wiki Links setzen). Diese Links erscheinen in der Publikation als
Fuß- oder Endnoten.
Es gibt unterschiedliche Parameter, mit denen hier experimentiert werden
kann:
Parameter (a): Wer darf schreiben?
Es wäre möglich, dass jeder schreiben kann oder dass die
Kommentarmöglichkeit eingeschränkt werden und im Extremfall auf die
Mitautoren beschränkt bleiben.
Parameter (b): Wer macht die Endredaktion?
Möglichkeiten:
1. Ein unabhängiger Lektor (sollten die Kommentare dann zunächst
chiffriert sein?)
2. Der jeweilige Autor des Textes, der unter Umständen auch bestimmen
kann, ob es Fußnoten oder Endnoten sind.
3. Jeder Autor wählt einen anderen Autor, dessen Diskussionsteil er
redigiert.
4. Anmerkungen dürfen nicht gelöscht werden, sondern nur kommentiert.
In der Kombination der beiden Parameter ergeben sich einige
vielversprechende Konstellationen:
Würde beispielsweise das Schreiben auf die Mitautoren eingeschränkt, wäre
es denkbar, sich darauf zu einigen, dass Anmerkung nicht gelöscht werden
dürfen, sondern nur kommentiert.
Klar ist, dass je weniger die Ebene des Schreibens kontrolliert wird,
desto stärker redigiert werden muss, will man wissenschaftliche Standards
gewährleisten.
- Es wäre auch denkbar, dass zu Texten Diskurse entstünden, die ein
vollkommen anderes Design erzwängen; beispielsweise in denen neben dem
Text eine Marginalienspalte mitläuft, in der die Kommentare und
Diskussionen ablaufen. Denkbar wäre auch eine Verflüssigung von digitaler
Fassung und Publikation, indem mit books on demand oder sehr kleinen
Auflagen gearbeitet werden würde.
- Es wäre möglich, allein den Aspekt der Offenheit zu übertragen. Man
könnte mit folgendem experimentieren: Was für ein Buch entsteht durch Open
Calls, was für ein Buch durch Einladungen, was für ein Buch durch eine
Kombination.
- Man könnte eine Mailingliste einrichten, die ein dezidiert akademisches
Niveau anstrebt. Beispielsweise dadurch, dass jeder, der nicht eingeladen
ist, moderiert wird.
Wichtig erscheint, dass die Regeln festgelegt werden, expliziert sind und
mitpubliziert werden und das Experiment selbst damit wissenschaftlich
nachvollziehbar wird.
Welche Ziele könnten auf diese Weise verwirklicht werden?
1. Wissenschaftliche. Durch die experimentelle Verschiebung der
Diskursgrundlagen würde auch die Einheit der Differenz von Erkenntnis und
Blindheit verschoben werden. Es ergäbe sich eine experimentelle gleichsam
operative Epistemologie.
2. Ästhetisch und didaktisch. Durch eine Struktur, in der Autoren und
Rezipienten, Akteure und Publikum nicht mehr kategorisch voneinander
geschieden sind, ergibt sich eine Ästhetik der opera aperta (Eco). Da auch
Studenten in den Diskurs einsteigen können, hat dies auch einen
didaktischen Wert.
3. Gesellschaftlich. Eines der Ziele von Medientheorie könnte es sein,
Grundlage von künstlerischen, medial-experimentellen und
medienaktivistischen Projekten zu werden oder in irgendeiner anderen Weise
mit einer Praxis verknüpft zu werden. Um eine derartige Theorie
hervorzubringen, muss sie sich als Theorie selbst steuern können, um sich
in entsprechender Weise auszurichten.
Der Medienbegriff. Die Frage nach dem, was ein Medium sei, verunsichtbart
den Kontext aus dem diese Frage einen Sinn bekommt und in dem es Sinn
macht, diese Frage zu beantworten. Man müsste umgekehrt vorgehen: Zunächst
müsste man fragen, was man beschreiben will und wozu die Theorie gut sein
soll und dann muss der Begriff entsprechend definiert werden. Will man
eine Medientheorie, die ihre eigenen diskursiven Grundlagen thematisieren
und bearbeiten kann, wäre es denkbar, das Medium entsprechend als Problem-
und Leerbegriff zu thematisieren und Medium als die LATENTEN ABER
KONSTRUKTIVEN BEDINGUNGEN DES DISKURES ZU DEFINIEREN.
Hier könnte nun leicht unterschieden werden zwischen diskursiven
Eigenwerten (arbiträrer Zeichenbildung, generalisierte Sinnangebote {das,
was Luhmann symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien nennt} etc. und
non- oder prädiskursiven (technischen und biologischen) Bedingungen.
to be continued
Glück zu allen!
tnvh
Harald Hillgärtner <hillgaertner at tfm.uni-frankfurt.de> schrieb am 04.03.06 03:10:39:
>
> Florian,
>
> > Man wäre gezwungen, präziser zu benennen, wovon man genau spricht.
> > Leider sind "Medien" die begrifflichen Nebelkerzen der
> > Geisteswissenschaften geworden, was ja auch die Weimarer Tagung als
> > Problem benannt hat. Aber auch an den dortigen Diskussionen fiel mir
> > auf, daß in ihnen oft beiläufig und ohne weitere Erläuterung von "den
> > Medien" gesprochen wurde, so, als ob der Begriff evident sei.
>
> Dass der Medienbegriff eine "Nebelkerze" der Geisteswissenschaften ist, ist
> sicherlich eine treffende Metapher. Gleichwohl (und nicht ganz ernst
> gemeint): Wo wären die Geisteswissenschaften ohne Nebelmaschinen und
> Schaumwerfer? Dazu gehören, du hattest ja an anderen Stelle auch darauf
> hingewiesen, ebenso solche Begriffe wie "Diskurs" und "symbolische Formen"
> etc. Jedenfalls wäre der nebulöse Charakter nicht allein dem Medienbegriff
> vorzuwerfen, zumal hier, gerade hier, die alltagssprachliche Verwendung des
> Begriffs immer eine akademische Eingrenzung zumindest irritiert. Und wenn bei
> den Diskussionen auf der Tagung dann der Begriff wieder so vorbehaltlos
> verwendet wird, dann spricht es dies ja genau aus.
>
> > > Eben dieses nicht-definierbare halte ich hingegen für außerordentlich
> > > fruchtbar.
> >
> > Ich hatte es auch nicht abwertend gemeint. Es gibt ja große
> > Definitionsprobleme auch bei Begriffen wie "Kunst" und "Literatur", zum
> > Beispiel. Allerdings existieren für beide starke Definitionsangebote,
> > die ich bei "Medien" äquivalent nicht sehe. Auch ist bei "Medien" die
> > Diskrepanz zwischen einem umgangssprachlichen Verständnis und einem
> > akademischen Verständnis enorm, wohl auch deswegen, weil die
> > geisteswissenschaftlichen Medienwissenschaften sich von ihrem
> > empirisch-sozialwissenschaftlichen Pendant (sprich: der Publizistik)
> > abgrenzen wollen.
>
> Es gibt eine ganze Reihe an Mediendefinitionen so wie es inzwischen geradezu
> eine Inflation an "Einführungen" in die Medienwissenschaft gibt. Welche ich
> nun davon als überzeugende Angebote bezeichnen würde, mag ich nicht zu
> benennen. Aber da kommt mir dein Beispiel der Kunst wirklich gelegen: Ich
> kann mich nur an fruchtlose Diskussionen darüber erinnern, was denn nun Kunst
> sei und was nicht. Es ist sicherlich schon zu trivial, um es auszusprechen,
> aber Kunst lebt von ihrer Abgrenzung gegenüber Nicht-Kunst und hat doch seit
> nunmehr hundert Jahren kaum ein anderes Ziel, als diese Abgrenzung infrage zu
> stellen.
>
> > Ich finde, es muß wenigstens eine Definition ex negativo geben, also
> > eine Bestimmung dessen, was nicht unter den jeweiligen Begriff fällt.
> > Auch sollte man versuchen, Kriterien für die Positivbestimmung des
> > Begriffs zu formulieren.
>
> Eine Postitivbestimmung ist sicherlich einfacher, als eine negative. Nehmen
> wir einfach übertragen, speichern und formatieren. Da passt dann jedoch
> wieder alles drunter. Auch die Hostien. Nichtsdestotrotz bin ich auch
> dagegen, alles darunter zu subsumieren, es sei, man könnte damit dem
> Gegenstand eine neue, bisher unbeachtete Seite abgewinnen. Der Medienbegriff
> wäre insofern keinesfalls ein Leitbegriff. Und wenn man versucht, sich eine
> tragbare Definition zu geben, sollte man ebenso versuchen, dies
> mitzubedenken.
>
> > > Ja, und hier komme ich zu meiner eigentlichen Frage zurück: Was um alles
> > > in der Welt wäre mit einer Rede von "symbolischen Apparaten" gewonnen?
> > > Was wäre hieran genauer oder umfassender als der Medienbegriff?
> >
> > Wir wären alle Engel, Hostien, Luftmassen, Schwingungen und
> > Leitmaterialien los, aber auch alle Rede von der Spracheqoder von
> > Bildinformation als Medium, - und würden uns darauf einigen, daß
> > Medienwissenschaft schlicht eine spezialisierte Technikwissenschaft ist,
> > indem die sich nur mit Technik befaßt, die zum Zweck der
> > Informationsverarbeitung konstruiert oder verwendet wird. Damit fallen
> > auf der anderen Seite auch die McLuhanschen Revolver und Glühbirnen aus
> > dem Gegenstandsbereich heraus (solange sie keine Signalgeber sind),
> > sowie die auf der Weimarer Tagung ins Spiel gebrachten Frösche und
> > Turnschuhe, und man hätte einen recht genaue, aber immer noch
> > hinreichend flexible und freigeistige Definition des eigenen
> > Forschungsgebiets. Weil solch eine Disziplin das umgangssprachlich
> > verstandene Gebiet der "Medien" nicht nur weiterhin abdecken, sondern
> > sich ihm frei von Hostien, Fröschen und Revolvern wieder verstärkt
> > zuwenden würde, käme Medienwissenschaft auch wieder aus ihrem
> > wissenschaftshistorischen Elfenbeinturm heraus.
>
> Ja, ich vergaß den Ankündigungtext der Tagung. Der scheint mit seiner
> Auflistung dessen, was bisher schon alles unter dem Medienbegriff verhandelt
> worden ist, doch eher dazu geeignet, diesen als absurd zu erweisen. Aber zu
> McLuhan und auch zu Flusser sei gesagt, dass beide Querdenker sind, mit denen
> man überhaupt ersteinmal umgehen muss.
> Von Fröschen und Revolvern einmal abgesehen: Was steht hinter deinem Plädoyer
> für eine Medienwissenschaft als spezialisierter Technikwissenschaft, die
> demgemäß Sprache und Bilder ausklammern müsse? Doch wohl kaum etwas anderes,
> als dass kein Mensch die Medienwissenschaft braucht. Sie käme also nicht aus
> ihrem "Elfenbeinturm" heraus, sondern sie würde aus dem Elfenbeinturm
> herausgeworfen.
> Hier wäre aber dann zu fragen, welche Rolle die Medienwissenschaft innerhalb
> der anderen Disziplinen spielt. Befruchtet sie nicht am Ende gar auch die
> Literaturwissenschaft oder die Kunstwissenschaft, die doch derzeit so viel
> Mühe darauf verwendet, eine Bildwissenschaft zu werden. Oder kannibalisiert
> die Medienwissenschaft lediglich die anderen Disziplinen?
>
> Viele Grüße,
> Harald.
>
>
> <hr>
> --
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