[rohrpost] Tagung: Was ist ein Medium? - Vorträge online

Florian Cramer cantsin at zedat.fu-berlin.de
Fre Mar 3 16:04:33 CET 2006


Harald,

> nun ist ja schon länger klar, dass du wenig vom Medienbegriff hältst, 

Er erscheint mir nur als geisteswissenschaftlicher Begriff überbewertet und
als technischer Begriff (von Medienwissenschaftlern) überdehnt. Daß
er jedoch wegen seiner Wirkungsmacht nicht wegzudiskutieren ist,
bestreite ich nicht.

> eine Sache ist mir nie klar geworden: Was wäre gewonnen, wenn man versucht, 
> den Begriff zu "vermeiden"?

Man wäre gezwungen, präziser zu benennen, wovon man genau spricht.
Leider sind "Medien" die begrifflichen Nebelkerzen der
Geisteswissenschaften geworden, was ja auch die Weimarer Tagung als
Problem benannt hat. Aber auch an den dortigen Diskussionen fiel mir
auf, daß in ihnen oft beiläufig und ohne weitere Erläuterung von "den
Medien" gesprochen wurde, so, als ob der Begriff evident sei. 

> >     * Man betrachtet "Medien" als das, was gemeinhin als solche
> >     bezeichnet wird: als diskursive Formation und kulturhistorisches
> >     Epochenphänomen, das z.B. mit der Dotcom-Spekulationsblase oder dem
> >     aktuellen Hype ums "Web 2.0" für unsere Zeit ähnlich signifikant ist
> >     wie etwa der Diskurs der "Kybernetik" für die 1960er Jahre. Dies
> >     impliziert eine analytische Distanz gegenüber dem Begriff, sowie die
> >     Annahme, daß er nicht struktural definierbar ist und sich einmal
> >     überleben könnte.
> 
> Eben dieses nicht-definierbare halte ich hingegen für außerordentlich 
> fruchtbar. 

Ich hatte es auch nicht abwertend gemeint. Es gibt ja große
Definitionsprobleme auch bei Begriffen wie "Kunst" und "Literatur", zum
Beispiel. Allerdings existieren für beide starke Definitionsangebote,
die ich bei "Medien" äquivalent nicht sehe.  Auch ist bei "Medien" die
Diskrepanz zwischen einem umgangssprachlichen Verständnis und einem
akademischen Verständnis enorm, wohl auch deswegen, weil die
geisteswissenschaftlichen Medienwissenschaften sich von ihrem
empirisch-sozialwissenschaftlichen Pendant (sprich: der Publizistik)
abgrenzen wollen. 

> Ohne auf Winklers Vortrag ausführlicher eingehen zu wollen, 
> handelt er doch weit gehend von der These von den Medien als dem Raum für ein 
> Probehandeln, 

...und daran schloß sich die Kritik anderer Konferenzredner an, daß
diese These rein semiotisch sei und daher auch ohne Medienbegriff
auskomme.

> so beginnt er seinen Vortrag doch mit einem Plädoyer, 
> Definitionen als das Umreisen von Problemstellungen zu begreifen. Mit einer 
> Definition benennt man, worüber man sprechen will. Das heißt, dass es die 
> "eine", die alles klärende Definiton nicht gibt, nicht geben kann. 

Ich finde, es muß wenigstens eine Definition ex negativo geben, also
eine Bestimmung dessen, was nicht unter den jeweiligen Begriff fällt.
Auch sollte man versuchen, Kriterien für die Positivbestimmung des
Begriffs zu formulieren.

> Und dies gilt nicht bloß für den Medienbegriff, sondern für viele
> Begriffe, so unter anderem auch für die von dir unten genannten
> Begriffe "Information" und 

Mit Shannons Begriff der Information gibt es allerdings eine "starke"
Theorie bzw. eine plausible Minimaldefinition.

> "Technik" (bei beiden gibt es sehr wohl ein alltagsprachliches Verständnis, 
> das sich über Definitionen zwar aus der Reflektion ausscheiden aber nicht aus 
> der Welt schaffen lässt) 

Ich finde das alltagssprachliche Verständnis gar nicht verkehrt und habe
nur versucht, es durch den Zusatz des Apparativen zu präzisieren, im
Unterschied zu nicht-apparativer Technik wie etwa Gesten und Vokallauten.

> bzw. "Symbole" (da reicht die Spanne bis hin zu 
> "symbolischen Formen" als epistemologischer Kategorie) 

Sicher, und gerade im deutschsprachigen Raum beißt sich der
goethesch-romantische Symbolbegriff mit dem logisch-mathematischen
Symbolbegriff von u.a. Leibniz und Peirce.  Ich habe mich in meiner
Verwendung schlicht auf die Terminologie der Tagungsdiskussion
gestützt, die "Symbol" und "Zeichen" heuristisch als Synonyme verwendet
hat.

> Anders formuliert (und du sagst es selber): Ganz und gar technische 
> Definitonen des Medienbegriffes etwa als "Übertragungskanal" sind 
> kulturwissenschaftlich wenig fruchtbar. Gibt man sich weitergehende 
> Definitionen, dann handelt man sich Scherereien ein, die aber fruchtbar zu 
> machen sind. 

Das ist eben die Frage. Von der Tagung habe ich aus den Audio- und
Videoaufzeichnungen den Eindruck gewonnen, daß die Medienwissenschaft
einerseits selbst nicht zufrieden mit ihrem begrifflichen status quo
ist, andererseits in ihrem Bemühen, den Begriff "Medium"
wissenschaftlich satisfaktionsfähig zu machen, sich einen immer
abstrakteren Medienbegriff verschreibt und immer weiter von
außerakademischen Praxen abkoppelt, die ebenfalls unter dem Vorzeichen
der "Medien" arbeiten.  Zugleich ist mir noch keine
geisteswissenschaftliche Definition des "Mediums" bekannt, die
Medienwissenschaft nicht letztlich zu einer Neuauflage der Semiotik, der
Technikgeschichte, der Informatik oder der Ästhetik machen würde - wobei
in jeder dieser vier Disziplinen bereits das Potential steckt, die
jeweils anderen im eigenen Diskurs mitzuverhandeln.

> >     * Man verzichtet auf den Begriff "Medien" wegen seiner Unschärfe
> >     und problematischen Implikationen und spricht sowohl genauer,
> >     als auch umfassender von Informationstechnik oder symbolischen
> >     Apparaten. Gegenstand wissenschaftlicher, künstlerischer,
> >     aktivistischer Arbeit wäre dann zu reflektieren, wie sich
> >     Information und Technik, Symbole und Apparate zueinander
> >     verhalten, und welches ihre physikalisch-materiellen, politischen,
> >     intellektuellen, künstlerischen, ökonomischen Bedingungen sind.
> 
> Ja, und hier komme ich zu meiner eigentlichen Frage zurück: Was um alles in 
> der Welt wäre mit einer Rede von "symbolischen Apparaten" gewonnen? Was wäre 
> hieran genauer oder umfassender als der Medienbegriff?

Wir wären alle Engel, Hostien, Luftmassen, Schwingungen und
Leitmaterialien los, aber auch alle Rede von der Spracheqoder von
Bildinformation als Medium, - und würden uns darauf einigen, daß
Medienwissenschaft schlicht eine spezialisierte Technikwissenschaft ist,
indem die sich nur mit Technik befaßt, die zum Zweck der
Informationsverarbeitung konstruiert oder verwendet wird. Damit fallen
auf der anderen Seite auch die McLuhanschen Revolver und Glühbirnen aus
dem Gegenstandsbereich heraus (solange sie keine Signalgeber sind),
sowie die auf der Weimarer Tagung ins Spiel gebrachten Frösche und
Turnschuhe, und man hätte einen recht genaue, aber immer noch
hinreichend flexible und freigeistige Definition des eigenen
Forschungsgebiets. Weil solch eine Disziplin das umgangssprachlich
verstandene Gebiet der "Medien" nicht nur weiterhin abdecken, sondern
sich ihm frei von Hostien, Fröschen und Revolvern wieder verstärkt
zuwenden würde, käme Medienwissenschaft auch wieder aus ihrem
wissenschaftshistorischen Elfenbeinturm heraus.

> > Beide Lösungswege, "Medien" lediglich als zeithistorischen Begriff
> > zu betrachten und im analytischen Sprachgebrauch andere Begriffe zu
> > verwenden, schließen einander nicht aus.
> 
> So ist es, aber genauso wenig schließt es sich aus, den Medienbegriff und 
> analoge Begriffe zu verwenden, vorausgesetzt, man sagt, was man damit meint. 

Gewiß, nur geschieht dies in den seltensten Fällen, auch bei
der Weimarer Konferenz nur in rund der Hälfte der Vorträge.

-F

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