[rohrpost] Tagung: Was ist ein Medium? - Vorträge online

Florian Cramer cantsin at zedat.fu-berlin.de
Don Mar 2 18:48:04 CET 2006


Am Mittwoch, 01. März 2006 um 22:05:52 Uhr (+0100) schrieb Till Nikolaus von Heiseler:
 
> Die Gesprächsbeiträge sind nun online: 
> http://www.formatlabor.net/Mediendiskurs

Vielen Dank für diese wirklich verdienstvolle Arbeit! 

Nach dem Hören der Vorträge und Diskussionen, von denen sich viele einer
konkreten Definitionsarbeit am Begriff des Mediums entzogen haben,
könnte man schließen, das im wesentlichen vier Begriffe des Mediums
existieren:

   1. ein umgangssprachlicher (der auf der Tagung außer von Sybille
   Krämer nicht besprochen wurde);

   2. ein technischer Medienbegriff (auf den vor allem das Referat von
   Wolfgang Ernst abzielte);

   3. ältere, metaphysische und eher marginale Medienbegriffe
   aus philosophischer und theologischer Literatur, die im
   medienwissenschaftlichen Diskurs rekonstruiert und zum Teil
   reaktiviert werden;

   4. diverse Ansätze, "Medium" bzw. "Medien" zwischen diesen Polen zu
   verorten.

Umgangssprachlich sind "Medien" bzw. "die Medien" synonym mit
sogenannten Massenmedien. Aus ihnen leitet sich historisch die gesamte
Disziplin der Medienwissenschaft, -theorie und -kunst ab. Der Weimarer
Tagung war das Bemühen abzulesen, sich von dieser historischen Erbschaft
zu lösen bzw. abzusetzen, was mir symptomatisch für die gesamte
geisteswissenschaftlich orientierte deutsche Medienwissenschaft zu sein
scheint und dazu führt, daß sich ihr Diskurs zunehmend der Philosophie-
und Wissenschaftsgeschichte annähert.

Mit "Massenmedien" im umgangssprachlichen Sinne sind Komplexe gemeint,
die Information durch apparative Technik an eine Vielzahl von
Rezipienten übertragen. Diesem Verständnis nach gehört etwa das Telefon
nicht zu "den Medien", weil sein Zweck Kommunikation zweier Individuen
ist.  (Nach dieser Logik wird das Telefon erst zum "Medium" durch
Fußball-Videoübertragungen oder Musikdownloads.) Selbiges gilt für Brief
und E-Mail. Die Schreibmaschine gehörte nur dann zu "den Medien", wenn
sie wie im Samizdat zur Druckmaschine würde. Auch Computer wären per se
keine "Medien", da sie nicht zwingend massenmedial genutzt werden und
ihre Rechenfunktion nicht im Begriff des "Mediums" aufgeht.  Ebensowenig
zu den "Medien" zählen nach dieser Logik die direkte mündliche Rede,
weil sie nicht apparativ ist, sowie Medien im exakten technischen Sinne
der Trägersubstanzen einer Informationsübertragung, also z.B. Luft,
Papier und Silizium, oder spirituelle Medien wie Engel (Sybille Krämer)
und Hostien (Jochen Hörisch). 

Der umgangssprachliche Begriff von "Medien" bzw. Massenmedien hat also
gegenüber geisteswissenschaftlichen und philosophischen Medienbegriffen
durchaus den Vorzug höherer Differenzierung. Er ist allerdings insofern
nicht terminologisch präzise, als er die Wortbedeutung von "Medium" -
also "Mittler" bzw. Übertragungskanal zu sein - metonymisiert und damit
sprengt. In zunehmender Metonymisierung wird der Begriff des Mediums
nicht nur dem materiellen Träger der Übertragung zugeschrieben, sondern
mit der Übertragung insgesamt synonym gesetzt (so auch in den Vorträgen
von Elena Esposito und Sybille Krämer); schließlich auch den Sende- und
Empfangsapparaten sowie den institutionellen Trägern der Sendeapparate,
so daß zum Beispiel als Medium Radio auch dessen Redaktionen und
technische Sendeinfrastruktur begriffen werden.  Zwar nicht im
umgangssprachlichen Medienverständnis, aber von Medienwissenschaftlern
werden diese Metonymisierungen noch weitergetrieben, wenn der Begriff
des Mediums auf Zeichenapparate appliziert wird, die mehr leisten als
nur Informationsübertragungen, so z.B. der Computer, dessen Ausführung
von Algorithmen eben nicht bloß eine Informationsübertragung ist.

Zum technischen Medienbegriff: Ich würde Wolfgang Ernsts Thesen darin
widersprechen, daß in Shannons "Mathematical Theory of Communication"
der Begriff "Medium" nur genau einmal erwähnt wird, und zwar als
materielle Trägersubstanz eines Informationskanals. Dies entspricht dem
physikalischen und technischen Begriff eines Mediums. Eine streng
technische Medientheorie dürfte also nicht von Kanälen, sondern nur von
Trägersubstanzen sprechen - nicht von Informationsströmen oder auch nur
Elektrizität, sondern von Kupferdraht, nicht von Prozessoren, sondern
von Silizium, etc.. Selbst diese Bestimmung ist nicht immer
unproblematisch.  Was zum Beispiel ist das technische "Medium" im Sinne
der Trägersubstanz des Radios? Radiowellen oder Luft? An der
Schwierigkeit, dies genau zu bestimmen, zeigt sich die Imprägnierung des
Begriffs "Medium" durch die Physik des 19. Jahrhunderts. "Medien" sind
der Äther der Geisteswissenschaften.

Doch selbst wenn man hiervon absieht, ist jeder Medienbegriff, der sich
als technisch ausweist, aber über bloße Trägermaterialien wie
Kupfer und Silizium hinausgeht, bereits eine Metonymisierung und somit
de fakto untechnisch. Die Rede vom Computer als technischem Medium z.B.
ist aus computertechnischer Sicht schlicht falsch.


Mögliche Wege aus dem Dilemma zwischen umgangssprachlichen und
technischen Medienbegriffen:

    * Man betrachtet "Medien" als das, was gemeinhin als solche
    bezeichnet wird: als diskursive Formation und kulturhistorisches
    Epochenphänomen, das z.B. mit der Dotcom-Spekulationsblase oder dem
    aktuellen Hype ums "Web 2.0" für unsere Zeit ähnlich signifikant ist
    wie etwa der Diskurs der "Kybernetik" für die 1960er Jahre. Dies
    impliziert eine analytische Distanz gegenüber dem Begriff, sowie die
    Annahme, daß er nicht struktural definierbar ist und sich einmal
    überleben könnte.

    * Man verzichtet auf den Begriff "Medien" wegen seiner Unschärfe
    und problematischen Implikationen und spricht sowohl genauer,
    als auch umfassender von Informationstechnik oder symbolischen
    Apparaten. Gegenstand wissenschaftlicher, künstlerischer,
    aktivistischer Arbeit wäre dann zu reflektieren, wie sich
    Information und Technik, Symbole und Apparate zueinander
    verhalten, und welches ihre physikalisch-materiellen, politischen,
    intellektuellen, künstlerischen, ökonomischen Bedingungen sind.

Beide Lösungswege, "Medien" lediglich als zeithistorischen Begriff
zu betrachten und im analytischen Sprachgebrauch andere Begriffe zu
verwenden, schließen einander nicht aus.


Im Wiki <http://kein.org/keinwiki/MedienDiskurs> wird zur Konferenz
die Frage gestellt: "Besitzen Medienwissenschaftler ein Wissen,
das soweit praktisch werden kann, daß sie den kommunikativen
Zusammenhang, in dem sie stehen bearbeiten können?". Sie gilt jedoch
auch umgekehrt, nämlich ob Künstler, Aktivisten Wissen besitzen (und
entwickeln), das theoretisch werden kann. Die Weimarer Tagung scheint
mir in ihrer Tendenz, das Begriff "Medium" aus seinem neueren
kulturhistorischen Kontext und der Geschichte der eigenen akademischen
Disziplin zu lösen und entweder radikal technisch oder
metaphysisch-epistemologisch zu definieren, die erste Frage jedoch
negativ beantwortet zu haben, da als Beschreibungsinstrument sowohl von
Technik, als auch von Metaphysik der tradierte Wissenschaftsdiskurs
hinreichend bewährt ist. Zumindest gäbe es keine unmittelbare
Rückkoppelung von Medienwissenschaft und "kommunikativem Zusammenhang".
Gleiches gilt somit für die Frage: "Könnten Medienwissenschaftler in
einer Weise über Medien und ihre Benutzung sprechen, daß sich
Anschlüsse an konkrete Projekte ergeben könnten?". Diese Art der
Medienwissenschaft ist in Deutschland kaum verbreitet, sondern existiert
eher im angloamerikanischen Sprachraum mit Theoretikern, die auch
künstlerisch-aktivistische Praktiker sind, wie z.B. Sadie Plant, Lev
Manovich, Matthew Fuller, McKenzie Wark, N. Katherine Hayles und Wendy
Chun.

Zur letzten Frage: "Was müsste man unter einem Medium verstehen,
damit die obigen Fragen in produktiver Weise beantwortet werden
könnten?": Am produktivsten in dieser Hinsicht scheint mir eine
diskurshistorische Definition des Mediums als eines strukturell
unterbestimmten Begriffs, der wegen dieser Unterbestimmtheit jedoch die
kollektive Imagination befeuert und eine Performanz bis hin zum Crash
kompletter Märkte entwickelt (und natürlich auch bis hin zur Einrichtung
medienwissenschaftlicher Institute). Wenn man jedoch streng kritisch an
Konzepten arbeiten will, und Wissenschaft, Kunst und Aktivismus auch als
radikale Hinterfragung und radikalen Neuentwurf von Strukturen,
Begriffen und Gewißheiten versteht, verzichtet man besser ganz auf den
Begriff "Medien" - oder schränkt ihn auf seine enge,
kulturwissenschaftlich wenig fruchtbare technische Definition der
physikalischen Trägersubstanz ein.

-F

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