[rohrpost] Ausstellung NGBK und Lange Nacht der Museen
Anke Hoffmann
anke at kosmonauten.in-berlin.de
Die Jan 24 11:56:17 CET 2006
NGBK, Neue Gesellschaft für Bildende Kunst
Oranienstraße 25, 10999 Berlin
*RealismusStudio 2006*
Ausstellungsreihe „Auflösung“
*Auflösung I: High Definition (14.1. - 12.2.2006)*
Öffnungszeiten: täglich 12.00 - 18.30 Uhr
Eintritt frei
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Zur Langen Nacht der Museen, 28. Januar 2006:
*Achim Mohne: Aufzeichungen für das Kellerloch, 2000/2006*
Akustische Performance zum Thema 'Rauschen'
20.30, 22.30 und 0.30 Uhr
Eintritt Frei
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Auflösung II: Rausch/en (25.2. - 26.3.2006)
Auflösung III: Entgrenzung (22.7. - 27.8.2006)
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Eine Ausstellung des RealismusStudios
der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK)
mit Arbeiten von Kjell Bjorgeengen, Chaos Computer Club, Jim Campbell,
Armin Häberle, Thorsten Hallscheidt, M+M, Günther Selichar, Shelly
Silver, Franz Wamhof
*Auflösung I: High Definition*
2006 zeigt das RealismusStudio der NGBK eine dreiteilige
Ausstellungsreihe zum Thema Auflösung.
Teil 1 nimmt sich die technische Definition des Begriffes als
Ausgangspunkt:
High Definition verspricht den KonsumentInnen moderner
Unterhaltungselektronik präzise Einblicke in bislang unscharf gebliebene
Bereiche der Realität und somit das Erlebnis höchster Authentizität.
Dabei suggeriert die „absolute Sichtbarkeit“ der Welt, all ihre Aspekte
auch kontrollieren zu können.
Ob im Homemovie oder beim Sport-Großereignis, ob in der Reality Soap, in
der Dauerwerbesendung, im Pornofilm oder beim Embedded Journalism: High
Definition steigert das Gefühl, »live« dabei zu sein, zum berauschenden
Genuss. Wird ein Ereignis dazu von mehreren hochauflösenden Kameras
gleichzeitig aufgenommen und im Schnitt rhythmisch verkoppelt, entsteht
eine intensivierte, dynamisierte Hyper-Realität, die gebieterisch
uneingeschränkte Aufmerksamkeit und immer neue Aufnahme- und
Abspielgeräte fordert.
Dabei „übersieht“ das wahrnehmende Auge gewöhnlich die Banalität und
begrenzte Auswahl des Dargestellten, während der eigene Alltag zunehmend
als fade und chaotisch wahrgenommen und empfunden wird, d.h. als zu
»low« definiert. Gewöhnlich äußert sich die stille Scham der
Endverbraucher über diesen Missstand nur in noch rastloserem Konsum.
Wenn aber die Mittel dazu nicht mehr ausreichen und sich beim Gigazoom
auf das privateste Detail das »live« -Gefühl nicht einstellt und die
Sensation des Neuen ausbleibt, wenn die Kenntlichkeit der
Gesamtzusammenhänge nur erschwert wird, dafür aber extrem viel
Speicherplatz verschlingt – dann kommen Fragen auf:
Was ist der Sinn und der Wert von Information, wenn schon morgen für die
steil anwachsenden Datenberge weder Lesegeräte noch kompatible
Datenträger existieren? Sehen wir bereits dem mancherorts
heraufbeschworenen »digital dark age« entgegen, in dem die hohe
Auflösung zur Selbstauflösung aller digitalen Gedächtnisse führt? Oder
konstatieren wir mit Claude Shannon, dem Begründer der
Informationstheorie, dass »Information« als ein Signal aufgefasst werden
kann, das zwar durch seinen Abstand zum Rauschen, nicht aber durch einen
»Inhalt« definiert ist?
Grenzen und Chancen menschlicher Wahrnehmung innerhalb dieses
Problemfeldes beleuchten die KünstlerInnen in Auflösung I: High
Definition. Thema sind nicht nur die vielfältigen Reize hochauflösender
medialer Oberflächen, sondern auch die flimmernden Grundlagen des
hypnotisierten Bewusstseins selbst.
Diese werden exemplarisch untersucht in den Arbeiten des Norwegers
*Kjell Bjorgeengen*, die zum Teil erstmalig in einer Ausstellung in
Berlin zu sehen sein werden. Seine Darstellung des Flicker-Themas in den
gleichnamigen Arbeiten reduziert das Videobild auf schnell oszillierende
Hell-Dunkel-Reize und setzt dadurch neurale Bilder frei.
Auch das Münchener Künstlerduo *M+M* analysiert mit seiner
Fotografie-Serie „in front“ die Grundlagen der Wahrnehmung anhand von
Fernsehnachrichten. In Einzelbildsequenzen aufgelöst und als lange
Bildstreifen dicht an dicht angeordnet, lässt sich ein Muster erkennen,
das Aufschlüsse über Dramaturgie und Ökonomie der Aufmerksamkeit erlaubt.
*Thorsten Hallscheidt* führt in seinen „Iterationen“ die Auflösung von
digitalen Bildinformationen systematisch ins Absurde, indem er eine
Testreihe zur Mehrfachkopie auf Ausschnitte bekannter Hollywoodfilme
anwendet. Statt jedoch in der Vergrößerung eine spektakuläre Entdeckung
zu Tage zu fördern, wird der Dschungel der Pixel immer undurchdringlicher.
Dass, umgekehrt, gerade die bewusste Reduktion auf wenige Pixel erhöhte
Aufmerksamkeit generieren sowie zur Vermittlung leicht erkennbarer
Botschaften taugen kann, beweist der *Chaos Computer Club* aus Berlin
mit einer Dokumentation seines „Blinkenlights“-Projekts, bei dem
Internet- und Mobilfunk-Nutzer die Beleuchtung einer Hochhausfassade
durch Einwahl programmieren konnten.
Eine andersartige Reduktion des Bildinhaltes zeigen die Fotografien von
*Armin Häberle*. In seinen Langzeitbelichtungen von offiziellen
Staatsempfängen sind die wichtigsten Akteure der Rituale von Macht und
Repräsentation verschwunden, nur geisterhafte Schatten erinnern noch an
ihre ehemals so wichtige Präsenz.
Im Gegensatz dazu zeigt die amerikanische Künstlerin *Shelly Silver*
hochgradig anwesende Menschen mit Hilfe einer neuen High-Definition
Kamera quasi hautnah. Da es sich um ihr völlig fremde Personen handelt,
wirkt die Intimität der Beobachtung gleichzeitig merkwürdig rührend und
unheimlich. Das ambivalente Gefühl verstärkt sich noch, wenn man weiß,
dass sich die von ihr Portraitierten auf Grund einer Kontaktanzeige im
Internet gemeldet haben.
Konkrete Motive aus der privaten Umgebung zeigen die fotografischen
Arbeiten von *Franz Wamhof* und dem Österreicher *Günther Selichar*.
Wamhofs “Pockets“ genannte Sammlung von anonymen Urlaubsfotos erinnert
an die mit Teleobjektiven aufgenommenen Bilder von Paparazzi-Fotografen.
In ihrer grobkörnigen Darstellung thematisieren sie die allgegenwärtige
Kameraüberwachung und stellen die Frage, ob die herangezoomte Nähe des
Abgebildeten überhaupt noch Authentizität beanspruchen kann.
Auch Günther Selichars ultra-hochauflösende Großaufnahmen von winzig
kleinen „kalten“ Bildschirmen leben von der Verfremdung des allzu
Bekannten in unserer Alltagsumgebung – was bei ihm jedoch zu einer
beunruhigend kühlen Ästhetik von verselbstständigter Monumentalität führt.
Eine mögliche Synthese zwischen den Polen Präzision und Unschärfe zeigt
der kalifornische Medienkünstler *Jim Campbell* mit seinen LED-Portraits
berühmter Informationstheoretiker. Nur 92 selbst aufgelötete
„Bildpunkte“ genügen ihm, um die Abgebildeten samt ihrer Theorien im
Ausstellungsraum präsent zu machen .
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Anke Hoffmann
anke at kosmonauten.in-berlin.de