[rohrpost] kritik ZKM Ausst. 'making things public'
Andreas Broeckmann
abroeck at transmediale.de
Die Mar 22 15:41:01 CET 2005
(mit freundl. genehmigung des autors; ab)
Die unaufhörlich redenden Dinge
Die Öffentlichkeit als Labyrinth: «Making Things Public» heisst die
neue Ausstellung von Bruno Latour im Zentrum für Kunst und
Medientechnologie in Karlsruhe.
Von Valentin Groebner*
Theoretiker sind Reisezauberer. Sie erklären wunderbar, wie die Welt
und die Dinge und wir selbst eigentlich ganz anders funktionieren,
als wir es bisher gedacht haben. Das macht Theorie so berückend. Denn
im Kopf machts klick, und alles sieht plötzlich neu und aufregend
anders aus. Aber wenn der Professor den Mund wieder zumacht oder der
Leser sein Buch, dann ist diese magische Verwandlung auf einmal sehr
fern und abstrakt. Und aussen Stehenden kaum zu erklären.
Der Soziologe Bruno Latour ist damit berühmt geworden, dass er die
Arbeit von Naturwissenschaftlern so beschrieben hat wie niemand vor
ihm: nicht als «reine» Wissenschaft, sondern als Gemengelage, in der
sich noch mehr Akteure herumtreiben als die Forscher selbst. In
diesem Zwischenraum begegnen und verändern sich Dinge und
Institutionen auf meist unvorhersehbare Weise. Was muss alles
ausgeblendet werden, fragt er, damit wir unsere üblichen Kategorien
von Wissenschaft und Natur überhaupt verwenden können? Latour hat
Lesenswertes über Biologie und Philosophie geschrieben, über
technische Grossprojekte, Ökologie und zuletzt über den Gebrauch von
Bildern in Religion, Kunst und Wissenschaft als «Iconoclash» (TA vom
8. Mai 2002). Der Titel war Programm: Der Theoretiker Latour ist ein
heiterer Sprengmeister mit Hornbrille, der es darauf anlegt,
ehrwürdige Begriffsgebäude einstürzen zu lassen.
Ein Gedankenexperiment
«Making Things Public. Atmosphären der Demokratie», sein neues
Projekt am Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie, will
nichts weniger sein als ein Gedankenexperiment. Was ist eigentlich
die Res publica, die öffentliche Sache, das Ding, das alle angeht?
Und wie wird ein Gegenstand zum politischen Thema und zur
Verkörperung eines Problems, das alle angeht?
Um Öffentlichkeit und Politik geht es also - und entsprechend gross
angelegt ist die Ausstellung in den riesigen Hallen der ehemaligen
Munitionsfabrik. Der Besucher wird nicht ans Thema herangeführt,
sondern buchstäblich hineingeworfen. Und geht erst einmal unter.
Latour und sein Mitkurator Peter Weibel haben weit ausgegriffen. Wie
hängt das alles miteinander zusammen, reformatorische Flugschriften
aus dem 16. Jahrhundert über die richtige Art der Gemeindeversammlung
in der Kirche und Videoinstallationen zu illegalen Migranten und
politischen Debatten im Internet? Auffällig ist die wiederholte
Versicherung, man habe keine kritisch-entlarvende Schau machen
wollen. «Bitte keine Politik!» heisst gleich die erste Abteilung;
«politische Aussagen sind immer enttäuschend» eine andere. Der Drang
zur Entlarvung sei nicht länger eine Ressource, auf die man jederzeit
zurückgreifen könne, bemerkt Latour, sondern habe sich selbst in
einen Topos verwandelt. Schön, denkt der Besucher, aber was hat
Dürers Triumphzug von 1518 mit den Männchen zu tun, die Otto Neurath
in den 1920ern für die Popularisierung von Wirtschaftsdaten
entwickelte?
Auf den zweiten Blick schält sich dann wirklich Sehenswertes heraus.
Wunderbar ist die Gegenüberstellung von Lorenzettis berühmtem
Wandbild von der guten und der schlechten Regierung im Rathaus von
Siena von 1338 mit den strahlend bunten Fresken aus Detroit, auf
denen Diego Rivera sechs Jahrhunderte später Fliessbänder,
Fabrikarbeiter und ihre Patrone dargestellt hat. Die Leiber von
Frauen und Männern als politische Körper in der Warenwelt - die
Bilder machen Latours Wortspiel mit «assemblé» (Versammlung),
«assemblage» (Zusammensetzen) und «assembly line» (Fliessband) viel
deutlicher als sein eigener Text. Auch der von deutschen
Industriedesignern entworfene kybernetische Kontrollraum, von dem aus
Salvador Allende 1973 die chilenische Wirtschaft steuern wollte,
entfaltet zwischen den Papiergebirgen bürokratischer
Registrierapparate und Edisons Nachrichtenticker von 1872 erst seinen
bizarren Charme.
Supermarktcaddies und Muscheln
Wie lässt sich mit den Dingen denken, mit der beharrlichen
Materialität, die sich ständig zwischen unsere Konzepte von der Welt
schiebt? Sprechende Supermarktcaddies treffen auf Muscheln, die über
die Wasserqualität eines Flusses in Frankreich Auskunft geben; ein
GPS-Sender macht in der Installation «Milk» den Weg sichtbar, den ein
Stück Käse quer durch Europa zurücklegt, von Kühen und Bauern in
Lettland bis zu Marktständen und Käufern in Holland. In der Abteilung
«Das obskure Objekt der Politik» zeigt ein Video, wie Politiker vor
Fernsehdebatten geschminkt werden - denn die Kamera läuft schon, und
Bill Clintons starre gepuderte Maske bleibt dem Zuschauer
eindrucksvoll in Erinnerung. Ben Rubins «Dark Source» rückt noch
näher an die amerikanische Gegenwart. Wenn ein Wähler seine Stimme
mit Hilfe einer neu eingeführten elektronischen Wahlmaschine abgibt,
deren Programmiercode unter Strafandrohung als Geschäftsgeheimnis
nicht publiziert werden darf, dann beginnt der Begriff Öffentlichkeit
sich selbst zu verändern.
Die Nachbarschaft mit sorgfältigen dokumentarischen Installationen
bekommt allerdings nicht allen ausgestellten Objekten gleich gut.
Peter Sloterdijks «Instant Democracy», ein transportables,
aufblasbares Parlamentsgebäude mit Platz für 160 Abgeordnete,
innerhalb von 24 Stunden an jeden Ort des Planeten transportierbar,
verwandelt sich in eine herablassende und letztlich sehr beliebige
ironische Geste. Latour dagegen meint es ernst: Hoc est corpus meum.
Er räumt historischem Material, Fotografien von alten
Versammlungsstätten auf Island und der Isle of Man (den «Things»
eben), Drucken aus der Reformationszeit und Kunstwerken der Maori und
der Tlingit-Indianer aus dem 19. Jahrhundert prominente Plätze ein.
Damit sollen aber keine archaisch-authentischen Ursprungsgeschichten
des Politischen erzählt, sondern Rekombinationen ermöglicht werden.
Und an manchen Stellen funktioniert das auch - im Kopf des Besuchers
macht es klick. Die Ausstellung kündet so schliesslich von einer
selten eingestandenen Sehnsucht. Denn jeder Theoretiker, so stolz er
auf seine akademischen Abstraktionen sein mag, wünscht sich handfeste
Gegenstände, möglichst bunt und beredt, in denen sich seine Ideen
materialisieren.
Nur dass diese Dinge selber miteinander interagieren. Für Leser von
Bruno Latours Arbeiten ist das nicht überraschend. Im dem dicht
gedrängten Ausstellungsraum voller Kabel, Monitore und
Festplattenlaufwerke hätten die elektronischen Systeme ein gewisses
Eigenleben zu entwickeln begonnen, erzählt ein Museumsmitarbeiter.
Ein sichtlich übernächtigter dünner Amerikaner mit Hornbrille bekennt
in der Cafeteria seiner Nachbarin, er habe die ganze Nacht versucht,
einige Programme zum Laufen zu bringen. «Ich bin gerade in einer von
den Videoinstallationen eingeschlafen.» Die interaktive Installation
«Phantom Public», die den mit einem elektromagnetischen Badge
ausgerüsteten Ausstellungsbesucher registrieren, mit Videobotschaften
ansprechen und selbst zu einem Teil eines Öffentlichkeitskörpers
machen soll, zeigte jedenfalls sehr launische Symptome. Die beiden
sympathischen französischen Computerfreaks, die es entwickelt haben,
zuckten in der Pressekonferenz am Tag vor der Ausstellungseröffnung
ergeben mit den Achseln. «Irgendwie wird es morgen schon
funktionieren.»
Vielleicht stellt der Katalog auch das in einen grösseren
theoretischen Zusammenhang. Er erscheint aber, wie der leicht
verlegene Ausstellungsmacher mitteilt, erst Mitte Mai. Oder Anfang
Juni? Egal. Fahren Sie vorher hin. «Making Things Public» ist
materialisierte Theorie. Denn Gemengelage ist gut für den Kopf: Über
alte Bilder und neue Texte, Kabel und Monitore stolpern wir mitten
hinein in die unaufhörlich redenden Dinge.
«Making Things Public. Atmosphären der Demokratie» läuft bis 7. August.
*Valentin Groebner ist Professor für Allgemeine und Schweizer
Geschichte des Mittelalters an der Universität Luzern. Zuletzt
veröffentlichte er im Beck-Verlag «Der Schein der Person».