[rohrpost] Just do it! - Die kuratorische Rhetorik vom Widerstand

Florian Cramer cantsin at zedat.fu-berlin.de
Mit Jul 6 20:51:55 CEST 2005


Am Mittwoch, 06. Juli 2005 um 19:33:04 Uhr (+0200) schrieb Ralf Hellmann:
> just do it!

Ja, selten habe ich eine Ausstellung mit einem so schönen dialektischen
Motto gesehen.

> Wissen denn die Kuratoren, dass sie im Katalog genannt sind?

Sie haben ihn gemacht und werden auch auf der Verlags-Homepage für das
Buch <http://www.selene.at/buchdetail.php?id=148&show=neuerscheinung> an
erster Stelle genannt.

> Und weiss das Museum überhaupt von der Ausstellung?

<http://www.lentos.at/de/45_443.asp>. Laut dieser Seite gab es sogar
eine "4-seitige Beilage in Der Standard" zur Ausstellung.

Wohlgemerkt handelt es sich hier nicht um irgendein Off-Museum oder eine
alternative Galerie, sondern um das staatliche "Museum of Modern Art
Linz", das laut <http://www.lentos.at/de/206_207.asp> "zu den
wichtigsten Museen moderner und zeitgenössischer Kunst in Österreich"
gehört.

> Wenn ja soll jeder betroffene Autor einfach ne Rechnung schreiben...

Darum geht es ja gar nicht.

Der Katalog hat sich nicht nur bei Inke Arns, sondern auch bei mir
bedient, wie ich heute morgen feststellen durfte. Die Seiten 137-160
sind identisch mit meinem Aufsatz "Vom freien Gebrauch von Nullen und
Einsen - 'Open Content' und Freie Software"
<http://www.stuttgart.de/stadtbuecherei/druck/oc/cramer_opencontent.htm>.
Diesen Text habe ich sogar unter einer freien Lizenz (der Open
Publication License) freigegeben. Diese Lizenz stellt aber ausdrücklich
den nicht-digitalen Nachdruck eines Werks unter Vorbehalt des Verfassers 
[und erlaubt übrigens auch nicht, seinen Namen einfach zu tilgen]. 
Man kommt also bereits anderen Leuten mit einem Copyleft entgegen, und
nicht einmal das wird mit seinen minimalen Fair play-Regeln respektiert.

Von den Ausstellungsmachern bin ich nie kontaktiert, gefragt oder
informiert worden.  Ich habe auch kein Freiexemplar des Buch bekommen,
sondern es mir selbst kaufen müssen, um auf meinen Text zu stoßen. Und
mein Name ist (glücklicherweise vielleicht) auch nicht unter denen,
denen auf der letzten Buchseite "gedankt" wird und die auf der
Verlags-Homepage als Autoren genannt werden, obwohl ich fast ein Zehntel
des Buchs von mir stammt.


Das alles wäre mir übrigens völlig egal oder hätte mich sogar amüsiert,
wenn es eine nichtkommerzielle Underground-Publikation gewesen wäre. Und
auch gegen Museen wie das Lentos-Museum habe ich gar nichts, sondern
arbeite gerne an Ausstellungskatalogen mit. Hätten mich die Herausgeber
gefragt und hätte ich ihr Projekt gut gefunden, dann hätten sie meinen
Text auch honorarfrei bekommen. Und sie hätten ihn von mir aus sogar
anonym abdrucken dürfen, aber nur, wenn der gesamte Katalog anonym und
nichtkommerziell gewesen wäre, ohne Kuratorennamen und zum freien
Download im Netz.

Aber wenn das bezahlte Kuratoren eines etablierten Kunstmuseums tun,
dafür Geld und Meriten einstreichen und dann für ihr Machwerk auch noch
22 Euro haben wollen, ist es schlicht eine Sauerei, die ich mir nicht
bieten lassen werde. Und daß die mit dem Text auf Lesetour gehen, ist
der Gipfel der Dummdreistigkeit. 

> Die Auslieferung zu unterbinden würde ich den Künstlern nicht antun, 
> aber man könnte das Einkleben von Etiketten mit den Namensnennungen 
> fordern..

Es ist ja nicht einmal ein Katalog, in dem die Künstler anständig
präsentiert sind, sondern ein 250seitiger Text mit ein paar
eingestreuten kleinformatigen Schwarzweiß-Illustrationen.

Es gibt für das Problem eine einfache Lösung: Das Lentos-Museum schwärzt
die Herausgeber- und Kuratoren-Namen und gibt die Restauflage kostenlos
an alle Interessenten ab, oder überweist 22 Euro für jedes verkaufte
Exemplar an Creative Commons oder die Free Software Foundation. 

Nicht zuletzt sollte es im beruflichen Eigeninteresse der Kuratoren
liegen, daß ihre Namen aus solch einem Projekt getilgt werden.

-F

-- 
http://cramer.netzliteratur.net