[rohrpost] Nachgedanken zur Medientheorie-Debatte

Florian Cramer cantsin at zedat.fu-berlin.de
Mit Jan 19 15:48:01 CET 2005


Lieber Stefan:
 
> "Arbeit am Begriff" findet hier nicht statt. Florian
> dividiert ein paar Schulen auseinander. 

....die allerdings allesamt eigene Medienbegriffe entwickelt haben, die
ich ebenfalls versucht hatte zu umreißen.

> Florian braucht einen schwammigen ("inklusiven") Medienbegriff.

Nein, das ist ein Mißverständnis. Ich sympathisiere zwar mit schwammigen
Medienwissenschaftlern dann, wenn sie eine selbstkritische
Bescheidenheit artikulieren und implizite Skepsis, ob man mit dem
Begriff "Medien", um Tilman zu zitieren, letztlich weiterkommt als mit
"Pornographie".  - Wenn Du mich fragst, so halte ich den Begriff
"Medium" für weitgehend entbehrlich. Weitgehend und nicht völlig, weil
mir immerhin der computertechnische Gebrauch des Begriffs noch
einleuchtet, also die Rede von CD-Rohlingen, Speicherkarten und Leitern
als "Medien".  Das, wofür "Medien" heute ansonsten noch stehen, kann man
besser und präziser mit den guten alten Wörtern "Zeichen" und "Technik"
benennen.

Dem Begriff "Medium", das ist sein Ballast aus dem 19. Jahrhundert,
liegt in seinem Wortsinn eine Vorstellung von immaterieller Substanz
versus materiellem Träger zugrunde. Seit McLuhan und Kittler hat
Medientheorie diese Dichotomie zwar aufgebrochen und in Frage gestellt,
indem sie Medien eine "Botschaft" bzw. einen "Eigensinn" zugeschrieben
hat.  Doch fehlt diesen Einwänden die letzte Konsequenz, nämlich den
Begriff "Medium" als solchen zu hinterfragen, da ihm die Dichotonomie
von Substanz und Träger nun einmal unleugbar eingeschrieben ist. 

Und schließlich ist die Debatte um Funktion und Eigensinn von Medien
eine Neuauflage jener Debatte um die von Saussure eingeführte
Begriffsdichotomie von "Signifikat" - als immaterieller Botschaft - und
"Signifikant" - als materiellem Träger der Botschaft - in der Linguistik
und Semiotik. Die Kritik und letztliche Auflösung von Saussures
Begriffspaar in der poststrukturalistischen Zeichentheorie der 1960er
Jahre ist bekannt. Komplexere Vorstellungen des Funktionierens von
Symbolsystemen und Kommunikation gab es zuvor schon in der Semiotik von
Peirce und bei Philosophen wie Ernst Cassirer.

So ist es auf die Dauer ermüdend, wenn uralte zeichentheoretische
Diskussionen in neue Medientheorie-Kleider gewandt und wiedergekäut
werden.  Bestenfalls hebt sich Medientheorie dadurch ab, daß sie 
klarer den Signifikanten und die Techniken fokussiert, denen er seine
Materialität verdankt.  Auf der anderen Seite ist sie keine alte
Disziplin wie die Linguistik und Semiotik, die sich mit einem
historischen Ballast ihrer alten Begriffe herumschlägt. Vielmehr hat
sich die Medientheorie und -wissenschaft erst in den 1960er Jahren und
ohne Not ihren Begriff aus der Mottenkiste idealistischen Denkens
herausgefischt, um in der Folge zuerst das Verschwinden alles
Materiellen in der Simulation und dann die Nichtexistenz alles
Immateriellen schein-provokativ zu zelebrieren.

> Damit kann er den für eine Institutionalisierung nötigen
> Distinktionsgewinn abschöpfen, ohne sich inhaltlich
> weiter festzulegen. Es geht nicht darum, zu wissen
> was ein Medium ist, sondern darum, alles "als Medium"
> beschreiben zu können.

Hier treffen wir uns. :-) Eben das ist mein Verdacht gegenüber
Medientheorie und -wissenschaft, daß es ihr tatsächlich primär um
Institutionalisierung und Distinktionsgewinne geht und sie deshalb 
Heißluft produziert.  Wenn man diese Luft herausläßt, bleibt entweder
eine Kulturwissenschaft von Leiterbahnen - und nichts anderem als
Leiterbahnen, bzw. Leinwänden statt Bildern, Papier statt Texten, Vinyl
statt Schallplatten - übrig oder eine universelle
kulturwissenschaftliche Basteldisziplin, die sich heute
Medienwissenschaft nennt und morgen vielleicht anders, um aufdringliche
Fragen nach ihrem Gegenstand abzufedern. (Meine Sympathie gilt der
letzteren insofern, als ich fürs Basteln bin - und gegen den
institutionellen Zwang, dies durch Heißluft-Labels, -Studiengänge und
-Forschungsprojekte zu legitimieren.)

> Die ominöse Kittlerschule wil nicht aufhören, erwähnt
> zu werden. Weil dort einer der selteneren Versuche unternommen
> wurde, Medien als etwas bestimmtes - als technische Medien -
> zu begreifen und die Konsequenzen daraus zu ziehen.

Dieses Bemühen um Präzisierung und eine Medienwissenschaft, die ihren
Gegenstand erstmals wörtlich und ernst nimmt, ist auch
unbestrittenermaßen verdienstvoll. Vermutlich hat sie sogar das gesamte,
von den 60er bis 80er Jahren recht halbseidene Medientheorie-Business
vor einem früheren Exitus bewahrt.  Zwar ist die Definition von
Medien als technische Medien per se nicht weitreichend und neu,
schließt aber immerhin allegorisch-symbolische Medien aus und
somit auch fragwürdige Ansätze wie jenen von der Hostie als Medium in
der katholischen Kirche.

Doch bereits dann, wenn man nicht mehr über Leiterbahnen redet, sondern
über Schaltungen, verläßt man das Feld der Medien im engeren technischen
Sinne und metonymisiert den Begriff "Medium", ersetzt also das Ganze
durch einen Teil von ihm. (Eine Schaltung ist kein Medium, sondern 
technischer Apparat, dessen Medium elektrische Leiter sind.) 

Im Schritt vom Leiter zu Schaltung betreibt man somit nicht mehr
Medientheorie im Wortsinne, sondern Kulturinformatik.  Denn die
Definition des deutschen Fachs Informatik beschreibt, anders als die
enger gefaßte angloamerikanische "computer science", das
Forschungsgebiet genau dessen, was seit einem Jahrzehnt als technische
Medienwissenschaft existiert.  Technische Medienwissenschaft ist somit,
pardon, auch nur ein institutionelles Label für eine spekulative
Kultur-Informatik, die von Geisteswissenschaftlern ohne
Informatik-Diplome (zu den wir beide ja auch gehören) betrieben wird und
für die andernorts, etwa in Lüneburg, weniger spekulative
Informatik-Lehrstühle existieren.

> Der Begriff "Medium" ist, um es ganz feuilletonistisch zu sagen, auf
> den Stand einer akademischen "Cash Cow" heruntergekommen. 

Völlig einverstanden. Nur daß die Krise der in Tilmans Sinne definierten
Medien mit der üblichen Verspätung auch die Universitäten erreichen
wird.  "Medientheorie" und "Medienwissenschaft" werden dann, so wette
ich, ebenso als Epochen-Phänomene enden wie einstmals die Kybernetik.

> Die Debatte um eine "deutsche Medientheorie" führt die Kuh ein wenig
> im Stall herum, damit sie mehr Milch gibt.

Dann müßte sie anderswo geführt werden als hier, wo es weder Kühe, noch
Milch zu holen gibt, und es dürfte nicht zu Ergebnissen wie im
Wiki-Schreibexperiment kommen, in dem die Wörter Medientheorie und
Medien am Ende gestrichen oder stark relativiert wurden.

> wenn wir über Fragen und Begriffe diskutieren wollten, dann
> vielleicht eher über Florians immer falsches Argument, dass
> Shannons Kommunikationsmodell nicht fürs Netz taugt.

Das habe auch nicht geschrieben, sondern - am 23.11. letzten Jahres, wie
ich nachgesehen habe - daß "das technische Funktionieren und der
kulturelle Gebrauch von Computer-Software (und generativ-algorithmischen
Systemen im allgemeinen) sich nicht oder nur mit unvertretbaren
Verrenkungen mit klassischen Sender-Empfänger-Modellen aufschlüsseln
läßt".  Internet-Datenübertragungen sind ein anderer Hut, die Bandbreite
einer Verbindung zweier Internet-Knoten läßt sich selbstverständlich mit
der Shannon-Formel berechnen.

-F

-- 
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