[rohrpost] Stefan Roemer ueber Deutsche Medientheorie
geert
geert at desk.nl
Fre Jan 14 16:04:26 CET 2005
From: Stefan Römer <stefanroe at web.de>
Deutsche Medientheorie, ein Wintermärchen?
Dass ein Begriff deutscher Medientheorie befremdlich erscheint, kann nur
daran liegen, dass sich heute niemand mehr freiwillig auf die
Entwicklungen zu Anfang des 20. Jahrhunderts beziehen will, in denen
sich eine eindeutig deutsche Formation beobachten lässt. Die Quellen
sind nach einer langen Zeit der Diskursdominanz versiegt.
Im deutschen Faschismus gab es die Allianz Goebbels/Riefenstahl, die
immerhin bis heute international in der Werbung Vorbildcharakter
genießt. Das hat wenig mit Kriegstheorie zu tun. Wenn man die Texte –
diesen Begriff ziehe ich dem der Theorie vor – von Brecht, Benjamin,
Cassirer, Panofsky liest, fällt vor allem bei den Ersteren die
existenzielle Opposition zum Faschismus auf. Linearhistorisch gedacht:
Brecht (Radiotheorie, V-Effekt), Benjamin (Zeit-Ort-Bild) als Theorie
gegen die Praxis des Faschismus hat ihre Weiterführung nach dem WK II
bei Akademikern wie Horckheimer/Adorno (Kulturindustrie) und bei
leitenden Verwaltungsangestellten der Aufklärung wie Kluge/Negt
(Bewusstseinsindustrie) schließlich bei Streberfiguren wie H.M.
Enzensberger (»Baukasten zu einer Theorie der Medien« in der legendären
Ausgabe von Kursbuch, Bd. 20, 1970; dort auch Siepmanns: »Rotfront
Faraday. Über Elektronik und Klassenkampf« und Haugs »Kritik der
Warenästhetik«) gefunden. Diese Haltung ist mit der
Institutionalisierung der 68er zum deutschen Alltag geworden, ohne dass
der Kampf darum, ob die Bundesliga im privaten, im öffentlichrechtlichen
Fernsehen oder im Pay-TV gezeigt wird, an den intellektuellen
vorbeiziehen kann. Wie Nietzsches »Gefängnis der Sprache« ja schon klar
stellte, lässt sich jedes kulturelle Phänomen nur mit Sprache verstehen.
Und in der sind wir gefangen.
Meine Leseweise des Begriffs einer deutschen Medientheorie würde nach
einem entscheidenden Kriterium differenzieren: die in der
Brecht/Benjamin-Tradition Stehenden als emanzipatorische oder
aufklärerische Bewegung von der sog. französischen Theorie (Ausnahme:
Bourdieu). Die Franzosen kritisierten die Aufklärung und den Humanismus
berechtigterweise, das kann gesagt werden, ohne ihre
gesellschaftsverändernden Potentiale denunzieren zu wollen.
Die französischen Theorien sind auch viel eher implizit »medial« zu
verstehen (Foucaults Panoptikon, Derridas Dekon, Barthes Semiologie
etc.) und niemals exklusive Medientheorien wie bspw. McLuhan. Das ist
gerade der bezeichnende Unterschied zu typischen Medientheorien wie sie
der deutschsprachige Kittler appliziert. Ihm geht es um die
bellizistische Beweisführung – der Trieb (welcher) zu ungunsten des
Geistes??? – und das Spiel mit dieser intellektuellen Munitionskiste;
deshalb verstehe ich ihn auch den französischen Theorien – vielleicht
mit Ausnahme Virillos – entgegengesetzt als anti-epistemologiekritisch.
Dies trifft teilweise leider auch auf Luhmann zu.
Ich komme aus dem Kunstfeld, das will ich nicht vertuschen.
Weshalb nicht die Kunst als Medium begreifen? Ich schlage vor, die Kunst
wie sie in bestimmten Bereichen seit den frühen 1990er Jahren im
deutschsprachigen Raum praktiziert wird, als eine mediale Strategie zu
verstehen, die sich aller erdenklichen Medien bedient und vor allem das
integriert, womit Öffentlichkeit oder die Sphäre des Öffentlichen
erzeugt wird, nämlich die Verkettung von diversen Kommunikationsfunktionen.
Die Kunst ist die Paradedisziplin, die traditionell nach Medien
(Malerei, Plastik, Zeichnung, Fotografie, Computergrafik, Coding etc.)
unterteilt wird. Und: Diese Diskussion findet in einem Feld statt, das
vor allem durch Diskussionen über Brechts und Benjamins Theorien in den
90ern entstanden ist. Viele der hier Beteiligten trafen sich in der
Botschaft e.V. oder bei b-books in Berlin zum ersten Mal und nicht nur dort.
Eine kritische Denkweise, wie sie sich seit den frühen 90ern formuliert,
geht anders vor. Man nimmt hier medienübergreifend Phänomene oder
Inhalte/Themen als Rahmen/Rahmung als eine Synthese französischer und
deutscher Denktraditionen. Damit passieren ganz unvorhersehbare Dinge.
Allerdings kann man dabei ganz schnell wieder zu Derridas Theorie vom
Parergon gelangen, aber warum nicht. Immerhin hat der Mann auch ganz
schlau formuliert, dass jedes Ereignis schon seine eigene Dokumentation
enthält.
Das Ereignis DTM auch, oder.
Liebe Grüße
Stefan Römer