[rohrpost] Email Interview mit Tilman Baumgärtel zur Lage der Netzkunst
Chris Köver
chris at ifoi.net
Son Jan 2 12:51:37 CET 2005
Ein Email-Interview mit Tilman Baumgärtel. 3.12.2004.
Chris Köver: In den vergangenen Jahren, eigentlich schon seit Ende der
90er, wird immer wieder vom „Tod“ oder Ende der Netzkunst gesprochen. Du
wehrst dich gegen diese These und sprichst dagegen von einer Krise. Wo
liegen deiner Meinung nach die Ursachen für diese Krise? Sind das
einfach normale „Wachstumsbeschwerden“ eines neuen künstlerischen Mediums?
Tilman Baumgärtel: Im Augenblick ist tatsächlich ein Mangel an guten,
neuen net.art-Arbeiten zu beobachten. Darüber wundern sich alle, die
sich mit diesem Thema beschäftigen. Viele Künstler aus dem Bereich der
Medien- und Netzkunst konzentrieren sich inzwischen auf die Arbeit mit
Software und Computerspielen. Das ist auch nicht falsch, denn es setzt
den Ansatz der Netzkunst fort, mit den Mitteln des Mediums über das
Medium nachzudenken. Gleichzeitig ist es aber auch ein Rückschritt, weil
diese Arbeiten meist doch wieder in sich abgeschlossene, fertig
konsumierbare Werke sind. Die Netzkunst ist da immer radikaler gewesen.
Sie lässt sich nicht nur auf die Unwägbarkeiten und Risiken der nach wie
vor störungsanfälligen und teilweise unkontrollierbaren
Internet-Technologie ein, sie muss für die verschiedensten Browser-Typen
mit den verschiedensten Plug-Ins "interpretierbar" sein, kann z.T. durch
ihre User nachhaltig verändert werden, Links gehen nicht mehr etc.
Sie kann auch nicht auf Diskette oder CD verkauft werden, obwohl das ja
ein paar Mal versucht worden ist. Ich will keinem Künstlern
unterstellen, dass er mit Software oder Games arbeitet, weil er glaubt,
damit ein verkäufliches Kunstwerk zu schaffen, und ich würde auch
niemandem den Versuch verübeln. Ich will auch nicht sagen, dass
unverkäufliche Kunst wie die Netzkunst per se einen höheren
künstlerischen Wert hat als "warenförmige" Kunst. Aber dass sich die
Netzkunst nicht im Kunstbetrieb durchsetzen kann, liegt ganz sicher zum
Teil daran, dass Galerien und Kunsthandel daran überhaupt kein Interesse
haben. Und dass die öffentlich geförderten Museen heute viel stärker als
in den 70er Jahren Erfüllungsgehilfen von Kunstmarkt und
Sammlerinteressen sind.
C.K.: Du machst eine kunsthistorische Parallele auf zwischen den
derzeit zu beobachtenden Institutionalisierungs- und auch sonstigen
Alterungs-Prozessen der Netzkunst und denen des damals neuen Mediums
Video in den 70er Jahren. Ich finde so einen Vergleich auch sehr
sinnvoll, weil er eine Möglichkeit bieten kann, das, was im Moment mit
der Netzkunst passiert, besser zu verstehen und mit mehr Gelassenheit zu
beobachten. Kannst du noch mal genau beschreiben, was für Parallelen du
siehst und welche Schlüsse du daraus für die weitere Entwicklung von
Netzkunst ziehst?
T.B.: Dass die Videokunst nach ihrer ersten Blüte Ende der 60er Jahre
die nächsten zehn Flautenjahre überlebt hat, lag zum großen Teil an
einigen, wenigen Museumsleuten, die immer wieder Video gezeigt haben.
Und die vor allem, was viel wichtiger ist, Videoarbeiten in größere
Gruppenausstellungen einbezogen haben. Das waren namentlich Wulf
Herzogenrath und John Hanhardt. Das zwang den Kunstbetrieb, solche
Künstler zur Kenntnis zu nehmen. Ich will damit nicht die Bedeutung von
Independents wie Gerry Schumm mindern, ohne die es ja viele der besten
frühen Videoarbeiten gar nicht geben würde. Aber die Museumskuratoren
hatten ganz andere Ressourcen, um an dem Projekt Videokunst
längerfristig zu arbeiten. Und vor allem konnten sie Videokunst als Teil
größerer künstlerischer Zusammenhänge zeigen. So eine Lobby hat die
Netz- und sonstige Computerkunst heute leider nicht mehr.
Für die Netzkunst standen als erste Adresse Festivals wie ars
electronica und Transmediale bereit. Diese Festivals sind zwar
theoretisch eine gute Sache, aber sie entbinden eben auch den "normalen"
Kunstbetrieb von der Verpflichtung, sich mit den Sachen, die da gezeigt
werden, beschäftigen zu müssen. Ich will gar nicht sagen, dass das
höchste Ziel jeder Kunst sein muss, vom normalen Kunstbetrieb zur
Kenntnis genommen zu werden. Aber die Krise der Netzkunst zeigt für
meinen Begriff, dass es für meisten Künstler auf die Dauer nicht
befriedigend ist, nur für Festivals und eine verschworene Szene zu
produzieren. Von ökonomischen Fragen mal ganz abgesehen.
Und man darf natürlich nicht vergessen, dass diese erste Blütezeit der
Netzkunst auch die Zeit des Internet-Hypes war. Das war spätestens mit
dem Platzen der New-Economy-Blase vorbei. Kunst ist auch von solchen
Phänomenen abhängig, besonders sowas wie Netzkunst, weil die zum Teil ja
genau diese Dinge thematisiert hat.
C.K.: In früheren Artikeln und Texten machst du immer wieder deutlich,
dass deiner Meinung nach eine Spaltung zwischen traditionellem
Kunstbetrieb und der Netzkunst besteht. Die Ursache dafür, so meinst du,
sei beim Kunstbetrieb selbst zu suchen, welchem du vorwirfst, die
Netzkunst nicht beachtet und so aus dem Diskurs ausgeschlossen zu haben.
Diese Haltung ist sicher verständlich vor dem Hintergrund, dass aus dem
entgegengesetzten Lager auch gerne mit Argumenten geschossen wurde, es
sei die Netzkunst gewesen, welche aus dem Kunstbetrieb
„ausgestiegen/ausgeschert“ ist, indem sie sich in den Kontext und die
Infrastruktur ihres eigenen Mediums zurückzog. Allerdings ist in den
vergangenen Jahren dennoch ein langsamer Institutionalisierungsprozess
zu beobachten. Hältst du nach wie vor an deiner Position fest? D.h.
waren die Documenta 1997, der slowenische Pavillon auf der Venedig
Biennale 2001 mit Vuk Cosic, die vergangenen drei Whitney Biennalen mit
Netzkunstbeiträgen usw. alles nur Ausrutscher und Ausnahmefälle?
T.B.: Nach wie vor gibt es bei den meisten Biennalen und sonstigen
Kunstspektakeln im Regelfall keine Netz- oder Software-Kunst, Ausnahmen
bestätigen diese Regel. Dass die Beispiele, die du nennst, so präsent
sind, liegt auch daran, dass es nicht mehr gab. Die Whitney-Biennale ist
in der Tat eine interessante Ausnahme, weil die solche Sachen irgendwie
auf einer Liste der zu bedienenden Genres zu haben scheint. Oder die
Kuratoren sind offener. Ich sehe es aber nicht als Selbstzweck an,
Netzkunst zu zeigen. Wenn es keine interessanten Arbeiten gibt, muss man
auch nichts zeigen. Das Problem ist, dass die traditionelle Kunstszene
und die Medienkunstszene nicht miteinander kommunizieren. Dabei könnte
das fruchtbar für beide Seiten sein - gerade auch für die
Medienkunstszene, die es sich auch gerne bequem macht und der Impulse
von außen nie schaden können.
Was diese ewige Aus-Dem-Kunstbetrieb-ausbrechen-Debatte betrifft: Die
interessiert wirklich nur Leute aus dem Kunstbetrieb. Mich langweilt
diese Nabelschau inzwischen zu Tode. Ich weiß nicht, warum bei der
Netzkunst ununterbrochen nur auf diesem einen Thema herumgeritten wird.
Ich habe das zwar bei den Interviews immer brav mitgeschrieben, aber es
gibt wirklich Interessanteres an der Netzkunst. Die Opposition zum
Kunstbetrieb ist ein Dauerthema der Moderne seit den Impressionisten.
Gerade in den 90er Jahren war die "Institutional Critique" DAS Thema der
Kunstwelt. Ich verstehe also nicht, warum ausgerechnet eine
Kunstrichtung, die tatsächlich zunächst mal über ein eigenes
Distributionssystem verfügt, diese Tatsache nicht thematisieren soll.
Lies mal das Gästebuch von Kriesches "Telematic Sculpture" oder den
"Worlds Longest Sentence" von Douglas Davis. Da kann man schon
verstehen, woher diese Euphorie darüber kam, dass man direkt mit seinem
Publikum kommunizieren kann.
C.K.: Diese Diskussion um das Ausscheren mag dich zwar langweilen. Ich
schaue nun aber mal aus der Kunstbetriebs-Perspektive und aus diesem
Blickwinkel ist für mich das Funktionieren bzw. Nicht-Funktionieren der
Netzkunst innerhalb desselben eine der interessantesten Fragen (auch
gerade weil es viel über die Funktionsweisen des Betriebs selber
aussagt). Ich bin allerdings der Ansicht, dass auch du dir nicht
erlauben kannst, diese Fragen zu ignorieren, zumindest wenn es dir mit
deinem Anliegen, die Netzkunst in die Institutionen hineinzubringen -
eine Notwendigkeit, die du immer wieder betonst und der ich mich
vollkommen anschließen würde – wirklich ernst ist.
T.B.: Es stimmt einfach nicht, dass die Netzkunst sich dezidiert von der
Kunstwelt abgesondert hat. Heath Bunting, Jodi, Alexei Shulgin etc haben
sich alle an ganz normalen Ausstellungen beteiligt - auch wenn sie immer
zu Recht darauf hingewiesen haben, dass für sie die Darstellungsmethoden
einer konventionellen Ausstellung eigentlich nicht funktionieren. Mitte
der 90er Jahre waren das Internet als Medium noch so neu, dass die
meisten Leute - auch die Kuratoren - die spezifischen Pointen vieler
Arbeiten gar nicht verstanden haben, weil sie noch mit der Technik
gerungen haben. Browser Art kapiert man halt nur, wenn man weiß, was ein
Browser ist und worin seine Einschränkungen bestehen. Das Verständnis
wäre inzwischen vielleicht da. Aber jetzt sind solche formalistischen
Arbeiten nicht mehr aktuell.
Dann gab es diese ganzen praktischen Probleme: Wie zeigt man diese
Arbeiten? Wie verhindert man, dass die Leute von den Terminals ihre
Emails abrufen oder die Mouse klauen? Woher bekommt man überhaupt die
Computer oder den Internetzugang in der Ausstellungshalle etc. Die
Ausstellungen, die ich gemacht habe, waren immer der Versuch, andere
Ausstellungsmethoden für solche Arbeiten zu entwickeln. Dass man in den
solchen Institutionen präsent ist, finde ich nämlich auch wichtig. Aber
das ist nach wie vor schwierig, denn viele Arbeiten brauchen den
physischen Raum für ihre Präsentation schlicht und einfach nicht.
C.K.: Der eingangs erwähnte Vorwurf, es sei die Netzkunst selbst, die
sich „qua Medium“ aus dem Kunstkontext entfernt habe, wurde 1998 von der
Kritikerin Isabelle Graw in den Texten zur Kunst formuliert. Auch sonst
ist die Netzkunst in der Kritik von Graw nicht sehr gut weggekommen. Du
hast damals in einem Artikel auf Telepolis mit dem kämpferischen Titel
„Das Imperium schlägt zurück!“ öffentlich auf diesen Artikel reagiert
und nicht nur Graws Argumente, sondern auch ihre Kompetenz, was das
Gebiet Netzkunst betrifft insgesamt in Zweifel gezogen (Sie hatte
schlecht recherchiert und es war recht leicht, das aufzuzeigen). Damit
bist du freudig in den von Geert Lovink so genannten „Bandenkrieg“
zwischen „Contemporary-Art-Mafia“ und “Medienkunst-Mafia“ eingestiegen.
Mich würde interessieren, ob Graw oder irgendjemand anders aus dem
traditionellen Kunstbetrieb auf deine Kritik später in irgendeiner Form
reagiert hat.
T.B.: Isabelle Graw wusste ganz genau, dass die "Institutional Critique"
DAS Thema der 90er Jahre war und dass viele Leute, die heute etablierte
Künstler sind, diese Zeit damit verbracht haben, in ungeheizten
"selbstorganisierten Räumen" herum zu sitzen und über den Kunstbetrieb
zu lästern. Aus diesem Impuls heraus sind auch viele frühe Netzprojekte
entstanden, zum Beispiel The Thing. Gleichzeitig waren diese
selbstorganisierten Webserver aber auch ganz pragmatische Versuche, sich
die Infrastruktur und den Kontext zu schaffen, die es damals schlicht
noch nicht gab. Dadurch hatte sich das schnell von dieser Kritik am
Kunstbetrieb auf ein anderes Gleis verlagert. Den Netzkünstlern hat
sicher ein gewisser Kunst-Betriebsstallgeruch gefehlt. Das hat sie
suspekt gemacht, und das meinte ich in dem Artikel von Isabelle Graw
gespürt zu haben.
Ich glaube nicht, dass man sich qua Medium aus der Kunstwelt entfernen
kann. Höchstens aus dem, was "Texte zur Kunst" unter der Kunstwelt
versteht. Das ist aber nicht die einzige Kunstwelt. Dass diese Version
der Kunstwelt als absolut und unhintergehbar dargestellt wurde, hat mich
begreiflicherweise geärgert. Schließlich hatten wir zu dieser Zeit schon
eine eigene Debatte und eine eigene Szene. Es ist auf jeden Fall immer
verdächtig, wenn man Leuten in so einer Form das Recht abspricht,
Künstler zu sein. Da geht es in der Regel um den Erhalt von
Definitionsmacht. In "Texte zur Kunst" hat es danach noch eine lange
Rezension meines ersten Netzkunst-Buchs gegeben, die differenzierter
argumentierte und die ich interessant fand.
C.K.: Aber wäre es vor dem Hintergrund deines Anliegens, Netzkunst in
den Kunstbetrieb hineinzubringen, nicht taktisch klüger gewesen, sich
mit Graw als einer einflussreichen Kritikerin des Kunstbetriebs an einen
Tisch zu setzen, anstatt öffentlich zurückzufeuern? Ich meine, ihr
symbolisches Kapital gekoppelt mit deinem Wissen über Netzkunst (das ihr
damals ganz offensichtlich fehlte...) hätte vielleicht zu positiven
Effekten in Hinblick auf die Anerkennung von Netzkunst im deutschen
Contemporary-Art-Lager führen können. Oder geht es letztendlich doch
auch um Distinktionsspiele von beiden Seiten?
T.B.: Das ist eine total hypothetische Frage. Und ich bin ein schlechter
Taktiker... ;-)
Diese drei Artikelchen waren aber weiß Gott nicht die gesamte Debatte in
diesem Bereich. Die war on-going, es waren viele Leute daran beteiligt,
und es hat auch wesentlich differenziertere Auseinandersetzungen
gegeben. Wenn ich etwas organisiere, sehe ich immer zu, dass da auch
Leute aus der "richtigen Kunstwelt" dabei sind, damit es nicht zu
gemütlich wird. Akzeptanz schafft man wahrscheinlich nicht dadurch, dass
man dort antichambriert, wo eh schon polarisiert wird, sondern indem man
an anderen und ganz verschiedenen Stellen weitermacht. Aber wie gesagt -
ich bin kein guter Taktiker. Polemik hat manchmal schon ihre
Berechtigung. Solche Feuilleton-Debatten haben aber immer auch etwas
aufgeregtes und zweifelhaftes - besonders wenn sie nachher als DIE
Materialisierung einer längerfristigen Diskussion gelesen werden.
Isabelle Graw habe ich übrigens neulich in einer Ausstellung mit Malerei
der Gruppe Spur mal persönlich kennen gelernt, und da waren wir beide
sehr nett zueinander. :-)
Um aber mal diese ganzen alten Hüte ad acta zu legen: Ich glaube nicht,
dass man auf die Dauer Arbeiten ignorieren wird, die sich in praxi mit
den Realitäten einer vernetzten und mediatisierten Welt auseinander
setzen. Dass das mit den herkömmlichen Methoden "kritischer" Kunst nicht
mehr richtig geht, steht schon in Frederic Jamesons Postmoderne-Aufsatz.
Die Netzkunst hat seine Forderungen von damals eigentlich mustergültig
erfüllt. Es ist bloß nicht so vielen Leuten aufgefallen. Kann passieren.
Aber die alte Garde ist ja immer noch aktiv: Heath Bunting hatte gerade
im New Museum in New York eine Einzelausstellung, Jodi machen eine neue
Arbeit nach der anderen, Alexei Shulgin hat wimp.ru. Und es gibt immer
noch interessante neue Arbeiten, zum Beispiel Christoph Brunos "Google
Adwords Happening" oder "Der Reisende" oder die Yesmen. Die letzteren
haben es übrigens geschafft, mit ihrem Film ein ganzes anderes Publikum
zu finden als es ihnen die Galerien und Museen geboten hätten.
Hoffentlich regt sich darüber jetzt keiner auf. Oder ist so
philisterhaft zu behaupten, dass deren Arbeit dann aber keine Kunst mehr
sein darf...