[rohrpost] Tiamat Verlag verbietet link auf einem Internetseminar

Florian Cramer cantsin at zedat.fu-berlin.de
Die Aug 16 00:45:41 CEST 2005


Sascha:

> > abgeleiteten Produkte zu behalten. Das beste heutige Beispiel einer
> > solchen Umwandlung freier Arbeit in ein proprietäres Designerprodukt ist
> > ja Apples MacOS X in seiner Umwidmung von freiem BSD-Code.  
> 
> stimmt so nicht, florian. der freie code in mac os x ist nach wie vor frei,
> da ist nichts umgewidmet (ein grenzfall dabei ist konqueror/safari und der
> damit zusammenhängende streit, der aber afaik mittlerweile beigelegt wurde).

Ich hatte mich nicht präzise genug ausgedrückt. Der modifizierte
BSD-Code, bzw. das "Darwin" getaufte nichtgraphische
Basis-Betriebssystem wird zwar von Apple unter der "Apple Public Source
License" <http://www.opensource.apple.com/apsl/> freigegeben, deren
aktuelle Version mittlerweile auch von Free Software Foundation als
freie Lizenz anerkannt ist. Trotzdem ist die APSL wesentlich
restriktiver als die BSD-Lizenz und verhindert so, daß Apples
BSD-Modifikationen in die freien BSDs zurückfließen. Und da sie auch zur
GPL und allen anderen freien Softwarelizenzen inkompatibel ist, bleibt
der Code faktisch in Darwin und OS X eingesperrt. Hinzu kommt, daß die
gesamte graphische, für den Normalanwender relevante Ebene von MacOS X
(Quartz + Aqua + Carbon + Cocoa + der Finder) proprietär ist, so daß
MacOS X in der Summe ein proprietäres Betriebssystem auf dem Fundament
freier, aber zu restriktiveren Bedingungen relizenzierter Software ist.

Nichts daran ist illegal oder anrüchig, denn die BSD-Lizenz erlaubt es,
BSD-Code unter beliebigen anderen, auch proprietären Lizenzen zu
recyclen. Allerdings zeigt sich genau daran die Schwäche des
BSD-Lizenzmodells, und implizit auch die Schwächen der public domain.
(Die BSD-Lizenz entspricht faktisch einer public domain-Freigabe, mit
der symbolischen Einschränkung, daß der Code das Copyrightvermerk der
Originalentwickler beibehalten muß.) Hätte Apple die Darwin-Ebene von
MacOS X auf Linux und GNU statt auf BSD aufgebaut, wäre es verpflichtet
gewesen, seine Weiterentwicklungen wieder unter die Originallizenz GPL
zu stellen und somit zur GNU/Linux-Weiterentwicklung beizutragen.

> > Modell-Anspruch angetreten und weitgehend gescheitert. Letztlich kamen
> > die wichtigen netzkulturellen Impulse, von der Urheberrechtsdebatte bis
> > zu Techniken wie Weblogs und Wikis, aus der Freien Software-Szene und
> > nicht von Künstlern und Medienkritikern.
> 
> zur ehrenrettung(?) der kunst muss man aber sagen, dass technische impulse
> im grunde noch nie sache der künstler waren. auch was gesellschaftliche
> impulse im allgemeinen betrifft, habe ich da eher so meine zweifel... in
> beiderlei hinsicht sind z.b. die naturwissenschaften vermutlich wesentlich
> relevanter. der rest riecht eher nach selbstüberschätzung
> ("allmachtsfantasien in kunst und design" wäre mal ein nettes thema.)

Klar. Doch wenn ich mir die PDF-Faksimiles der alten Nummern von
"Radical Software" aus den frühen 70er Jahren durchlese
<http://www.radicalsoftware.org> oder den "Radio Alice"-Band von Merve,
gewinne ich zumindest die Illusion, daß die experimentellen Künste
damals erheblich mehr zur Entwicklung unabhängiger Medien beigetragen
haben, als dies heute im Internet der Fall ist. Andererseits könnte man
argumentieren, daß die heute viel breitere, nichtkünstlerische
Partizipation an solchen Entwicklungen genau das ist, was die
experimentellen Künste und Medienutopien damals erreichen wollten. Die
Medien-Experimentalkünste arbeiteten, wenn man so will, damals
hegelianisch an ihrem eigenen Ende und hatten damit erstaunlicherweise
sogar Erfolg. ;-)

-F

-- 
http://cramer.netzliteratur.net