[rohrpost] ZKM/Ausstellungseröffnung P h o n o r a m a
Andrea Buddensieg
buddensieg at zkm.de
Die Sep 14 15:39:31 CEST 2004
Einladung zur Ausstellungseröffnung
P h o n o r a m a
Eine Kulturgeschichte der Stimme als Medium
(19. September bis 30. Januar 2005)
Eröffnung: Samstag, den 18. September 2004, 18 Uhr
Ort: ZKM | Museum für Neue Kunst, Lorenzstraße 19, 76135 Karlsruhe
Die menschliche Stimme auszustellen, scheint ein paradoxes Unterfangen.
Was an Stimme und Hören sichtbar gemacht werden kann, sind zunächst
Symbole, Lautschriften, anatomische Modelle, Sprechmaschinen, technische
Geräte vom seltenen Phonographen bis zum stimmgesteuerten
Navigationssystem. Was aber die erlebte und gehörte Stimme faktisch
erzeugt, ist der Raum unserer Wahrnehmungswelt. Für das unmittelbare
Raumerleben ist der »gehörte Raum« zumindest so konstitutiv wie der
durch das Auge wahrgenommene Visuelle. Die akustische Kultur wird
gegenüber der visuellen Kultur im öffentlichen Bewusstsein
vernachlässigt, obwohl sie beinahe ebenso bestimmend für unsere
Erfahrung der Wirklichkeit ist wie diese. Die Ausstellung »Phonorama«
ist die erste große Ausstellung zu diesem Thema. In der Ausstellung zu
hören sind u. a. Bestände aus Stimmarchiven in Berlin oder Wien, die
seit Beginn des 20. Jahrhunderts »Stimmporträts« bedeutender
Persönlichkeiten angelegt haben. Stimmliche Experimente werden
vorgestellt, die Lautdichter, Schauspieler bzw. Performance-Künstler
umgesetzt haben, um die Bedeutung eines gesprochenen Textes über seinen
bloßen sprachlichen Gehalt hinaus vokal zu erweitern und zu profilieren.
Außerdem hört man die ersten Versuche, Stimmen künstlich herzustellen,
so zum Beispiel die Stimme aus der Sprechmaschine Wolfgang von Kempelens
(1734–1804), eines hohen Beamten am Hofe Maria Theresias. Mit seiner
Maschine wollte er gehörlosen Menschen zu einem Instrument verhelfen,
Lautsprache zu erzeugen.
Vernehmen wird man auch die eindringliche Stimme von Ingeborg Bachmann,
die in den Frankfurter Vorlesungen das »schreibende Ich« als
»Platzhalter der Stimme« beschreibt. Die singende Stimme vermittelt, wie
sehr die sich laufend ändernden Möglichkeiten von Aufzeichnungs- und
Studiotechnik auch die ästhetische Stimmwahrnehmung prägen. Seltene
Beispiele aus der beginnenden Schallplattenindustrie bis zu aktuellsten
Technologien veranschaulichen die Manipulationsmöglichkeiten
menschlicher Stimmen. Neben dem Einfangen und Hörbarmachen der Stimmen
Verstorbener, illustrieren Beispiele aus dem europäischen Kirchengesang
– von der Faszination für die hohe Männerstimme vatikanischer Kastraten
bis zur Bassstimme Maxim Mikhailovs sowie Ausschnitte aus bald 100
Jahren Radiogeschichte die erstaunlichen Möglichkeiten stimmlicher
Darbietungen. Die Gestaltung der Ausstellung ist unkonventionell. Ein
gleichsam akustischer Film wird erzeugt, der die dargebotenen Stimmen
verräumlicht, die Besucher durch die Ausstellungsräume begleitet und so
eine Raumwahrnehmung ermöglicht, die von der Umgebung, die sonst
hauptsächlich über das Auge wahrnehmbar wird, überraschend abweicht.
Zu sehen sein werden frühe Sprechmaschinen aus dem 18. und 19.
Jahrhundert, die hier erstmals ausgestellt werden; kostbare
Phonographen; die ersten sprechenden Puppen und Gegenstände; Instrumente
und Meßgeräte, die menschliche Artikulation und Stimmbildung beschreiben
und rekonstruieren; künstlerische Arbeiten; Dokumente aus frühen
Expeditionen, die den ersten Kontakt isoliert lebender Menschen mit
europäischen Sprechmaschinen voyeuristisch verfolgen. Dargestellt wird
auch die geheimnisvolle Bedeutung der Bauchrednerei, so zum Beispiel der
legendäre Edgar Bergen, der Vater von Hollywood-Star Candice Bergen, der
mit der Stimme, die er seiner berühmten Puppe lieh, konservative
Moralvorstellungen geschickt zu unterlaufen wusste. Eine Auswahl
kostbarer Druckwerke dokumentiert die Geschichte der Gehörlosenerziehung.
Nicht zuletzt sind die Versuche erwähnenswert, stimmliche
Ausdrucksmöglichkeiten zu notieren: das Spektrum reicht von
mittelalterlichen Spruchbändern über die politische Karikatur bis zu
aktuellen Beispielen aus der Comicliteratur oder den Notationssystemen
zeitgenössischer Musik. Der Bogen der ausgestellten Stimmen und Objekte
reicht bis zu innovativen Projekten und Prototypen, die sich mit
Synästhesie, Stimmsynthese und stimmlichen Steuerungen auseinandersetzen
und stellt diese in einen Kontext technischer Faszinationsgeschichte. In
der Ausstellung vertreten sind künstlerische Arbeiten und Installationen
u.a. von Judith Barry, Joseph Beuys, Christian Boltanski, Marcel
Broodthaers, Carlfriedrich Claus, Jonah Brucker-Cohen, Gustav Deutsch,
VALIE EXPORT, Asta Gröting, Pierre Huyghe, Golan Levin, Katarina
Matiasek / Scanner, Tony Oursler, Guillaume Paris, Dieter Roth und
Gerhard Rühm.
Kuratiert wird die Ausstellung von der Kunstdozentin und Kuratorin
Brigitte Felderer. Im Rahmen eines langjährigen Forschungsprojekts hat
sie sich mit der Geschichte, Erzeugung und Darstellbarkeit von Stimme
auseinandergesetzt. Wolfgang Dorninger, Musiker, Elektroniker,
Soundexperte, entwickelt die Partitur zur Ausstellung.
Wissenschaftliches Team: Charlotte Martinz- Turek, Katharina Sacken.
Ausstellungsgestaltung: Markus Pillhofer.
Der Katalog zur Ausstellung erscheint in deutscher Sprache bei Matthes &
Seitz Berlin. Er ist während der Ausstellung im Museumsshop für 28,40 €
erhältlich, im Buchhandel und nach Beendigung der Ausstellung kostet er
34,80 €, ISBN 3-88221-844-4.
Kontakt:
ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe
Lorenzstraße 19
76135 Karlsruhe
www.zkm.de
info at zkm.de