[rohrpost] Prekäre Perspektiven: Vierteilige Veranstaltungsreihe der NGBK von September bis Dezember 2004
Matthias Reichelt
presse at ngbk.de
Don Sep 2 11:06:49 CEST 2004
Prekäre Perspektiven
...in der Neuen Gesellschaft
Vierteilige Veranstaltungsreihe der NGBK von September bis Dezember 2004.
Zusammengestellt von Claudia Burbaum und Christine Kriegerowski
Die erste Veranstaltung findet am Dienstag, den 7. September, um 20 Uhr im
Veranstaltungsraum der NGBK, Oranienstr. 25, 10999 Berlin, 1. OG statt.
Kleines Postfordistisches Drama: Kamera läuft!
mit Mona Kuschel, Brigitta Kuster, Isabell Lorey, Katja Reichard und Marion
von Osten
Die Gruppe »Kleines Postfordistisches Drama« stellt ein Filmprojekt vor, das
die Arbeits- und Lebensverhältnisse von KulturproduzentInnen untersucht.
Vor dem Hintergrund, dass kulturelle und in der Regel un- oder unterbezahlte
Tätigkeiten und kreative Berufe - ehemals als Ausnahmetätigkeiten zur
Lohnarbeit angenommen - in postfordistischen Gesellschaften zu Modellen
selbstbestimmter Arbeit stilisiert worden sind, thematisiert der Film
Prekarität wie auch Widerspenstigkeit am Arbeitsplatz Kulturproduktion.
Als Grundlage des Films dienen fünfzehn Interviews mit in Berlin lebenden
KulturproduzentInnen, die von Pauline Boudry, Brigitta Kuster, Isabell
Lorey, Katja Reichard und Marion von Osten durchgeführt wurden. Diese
Interviews waren die Basis für das Video, in der die prekären Lebenslagen
und Veränderungswünsche in einer Probesituation eines Castings re-inszeniert
wurden. In Zusammenarbeit mit SchauspielerInnen und einem Filmteam sollte
die ambivalente Situation des »Castings« genutzt werden, um das bearbeitete
Interviewmaterial in einem sozialen Raum zu rekontextualisieren, der die
Frage nach Selbstvermarktung und damit verbundenen Selbsttechniken zuspitzt.
Die Fragen an die KulturproduzentInnen lauteten:
WIE SIEHT DEIN ARBEITSLEBEN AUS? /// 2. WAS GEFÄLLT DIR DARAN UND WAS SOLLTE
SICH ÄNDERN? /// 3. WANN UND WARUM WIRD DIR ALLES ZUVIEL, UND WAS MACHST DU
DANN? /// 4. WAS STELLST DU DIR UNTER EINEM »GUTEN LEBEN« VOR? /// 5.
SOLLTEN KULTURPRODUZENTINNEN SICH AUF GRUND IHRER GESELLSCHAFTLICHEN
VORZEIGEROLLE MIT ANDEREN SOZIALEN BEWEGUNGEN ZUSAMMENTUN, UM AN NEUEN
FORMEN DER ORGANISIERUNG ZU ARBEITEN?
"Prekäre Beschäftigung zeichnet sich der hier vorgeschlagenen Definition
zufolge dadurch aus, dass die Betroffenen in dreierlei Hinsicht aus dem
Kreis der "regulär" beschäftigten Inhaber von "Normalarbeitsverhältnissen"
ausgeschlossen sind:
Durch Unterschreitung
- der durch "Normal-Arbeit" gesetzten materiellen Standards,
- der durch Arbeits- und Sozialrecht, Tarifvertrag oder
Betriebsvereinbarung festgelegten rechtlichen Standards von "Normal-Arbeit"
sowie
- der "normalen" betrieblichen Integrationsstandards, die vor allem in
der geringeren Einbindung in kollegiale Strukturen und der eingeschränkten
Repräsentanz durch betriebliche und gewerkschaftliche Interessenvertretungen
zum Ausdruck kommt."
Nicole Mayer-Ahuja: "Wieder dienen lernen? Von westdeutschen
'Normalarbeitsverhältnis' zu prekärer Beschäftigung seit 1973", Berlin
(Edition Sigma) 2003
Die Veranstaltungsreihe befasst sich mit Prekarisierung, wie sie u.a. von
Kultur-produzentInnen erlebt wird, die auch in der Neuen Gesellschaft für
Bildende Kunst arbeiten und dort Projekte durchführen. Unser Blick richtet
sich dabei auf Diskussionen und Handlungsbeispiele aus der Kunstwelt, denn
die im Kunstbetrieb Tätigen liefern das Vorbild und Glamourmodell für
prekäre Arbeit. Auf der anderen Seite gibt es in der Kunst zunehmend eine
theoretische und praktische Auseinandersetzung mit Prekarität.
Neben der Bestandsaufnahme sollen in der Reihe Handlungsmöglichkeiten
betrachtet werden, insbesondere Vorschläge und Ansätze, gegen das Problem
der Vereinzelung anzugehen: prekäre Perspektiven.
Ziel der Abende ist nicht so sehr die kontroverse Auseinandersetzung und die
Polarisierung der jeweiligen TeilnehmerInnen, sondern die inhaltlich
forschende und sich ergänzende Auseinandersetzung. Die Kontroverse findet
bereits in uns selber statt, Autoritäten lehnen wir ab, Organisationen oder
Hierarchien sind uns ein Gräuel, dennoch wissen wir, dass Einzelne,
Prekarisierte nicht viel ausrichten werden.