[rohrpost] betrifft: deutsche medientheorie

miss.gunst at gmx.net miss.gunst at gmx.net
Mon Okt 18 22:55:38 CEST 2004


> > warum zum beispiel sieht es ganz danach aus, als sei fuer menschen auf
> > einer in einer mailingliste zur netzkultur, die auf eine frage
> > antworten, die ihnen auf dieser mailingliste gestellt wurde und die
> > beim antworten vielleicht doch auch jene medientheorie(n) mit
> > einbezogen wissen wollen, die sich auf netzkulturen beziehen,
> 
> Mir fällt, ehrlich gesagt, keine solche Medientheorie ein. Vielleicht
> habe ich einen zu eingeschränkten (zu deutschen?) Begriff von
> "Medientheorie" als etwas, das zumindest in seinem Ansatz oder Anspruch
> systematisch ist und sich darin von einer kursorischen und
> unsystematischen Medienkritik unterscheidet. 

gebe zu: meine frage war vielleicht schon zuteilen eine rhetorische. sie
ging jedenfalls nicht von der vorstellung aus, dass die einzig wahre
medientheorie oder auch nur die wesentlichen beitraege zu
medientheorien, welche netzkulturen zum gegenstand haben, 'eigentlich'
auf mailinglisten zu finden sein muessten. [eine andere, von dir in
anderem zh. ja schon angesprochene frage waere die nach der aktiven
kenntnisnahme respektive nutzung von/erfahrung mit systemen,
technologien + kulturtechniken, ueber die man schreibt. wieviele derer,
die sich in ihren texten auf sherry turkle berufen und sie fuer ihre
theoriebildung zitieren, haben muds/moos von innen angeschaut? ob das
fuer die jeweiligen ausfuehrungen wesentlich gewesen waere, steht aber
dann noch mal auf einem anderen blatt.]
die frage als solche sollte aber v.a. ein hinweis darauf sein, dass man
dann, wenn man ueber 'deutsche medientheorie' oder 'medientheorie in
deutschland' nachdenkt, nicht nur mit dem namenaufzaehlen nicht
besonders weit kommt. sondern zugleich immer auch nach den konditionen
von theorieproduktion und -rezeption fragen muss.
letzteres schliesst u.a. die frage nach den voraussetzungen fuer die
wahrnehmung von etwas als 'beitrag zur [deutschen] medientheorie' usw.
ein - zu denen ich nicht nur, im sogenannten internationalen kontext,
die sprache zaehlen wuerde, in der etwas publiziert wird, sondern auch
den publikationsort, die zahl der referenzen in anderen publikationen,
wer wo wie auf den beitrag referiert usw. usf.
mit dem anspruch an den text (etwa auf: die systematik der ebd.
angestrengten ueberlegungen) muss das nicht unbedingt etwas zu tun
haben.

> sind mir keine bekannt, die Netzkulturen reflektieren,
das kommt nun wahrscheinlich schon stark auf den definitionsrahmen von
dem an, was man unter 'medientheorie(n)' versteht. und ob - vom anspruch
auf systematik und der definition von 'systematisch' mal abgesehen
(s.u.) - nur die zaehlen, die mit einen grosser geste als solche
funktionieren wollen. welche perspektive angelegt wird. waere die
auseinandersetzung mit bestimmten aspekten von netzkulturen etwa
auszuschliessen? da koennte man doch einiges nennen
[btw: wuerdest du deinen eigenen beitraegen vorneweg absprechen wollen,
dass sie als beitraege zur medientheorie gelesen werden koennen?]

jedenfalls: die frage nach einer "deutschen medientheorie" ist
offensichtlich nicht nur deshalb schwierig, weil ihr weitere (auf der
liste implizit oder explizit) schon gestellte nachfolgen wie:
meint 'deutsche' medientheorie deutschsprachige oder ueber hier lebende
und arbeitende personen 'in deutschland' verortete medientheorie? was
wuerde eine solche 'deusche medientheorie' bestimmen? ob das etwa
eigenschaften waeren? oder doch wohl eher: referenzbegriffe,
referenzsysteme, arten und weisen der verortung in sogenannten
denktraditionen...?
und muesste man wenn, dann nicht von deutschen medientheorien (plural)
sprechen?
usw.usf.

schwierig ist sie auch, weil ihr neben einer definition von 'deutsch'
weitere vorausgehen und anhaengen:
- von welchem begriff von 'medien' geht man aus?
- von welchem begriff von 'theorie' geht man aus?
darueber muss/muesste man sich doch vorneweg eingehender
auseinandersetzen.

wenn du schreibst:
> Vielleicht habe ich einen zu eingeschränkten (zu deutschen?) Begriff von
> "Medientheorie" als etwas, das zumindest in seinem Ansatz oder Anspruch
> systematisch ist und sich darin von einer kursorischen und
> unsystematischen Medienkritik unterscheidet. 

dann wuerde ich zwar zustimmen: theorie ist sicher nicht gleich kritik
et vice versa. aber, mal am anderen ende angefangen: kritik ist doch
nicht per se "kursorisch und unsystematisch" - sie sollte im besten
falle auf systematischen und kontinuierlichen ueberlegungen basieren.
auch dann wenn sie letztere gelegenheitsweise an einem ausgewaehlten
gegenstand exemplifiziert oder auf letzteren basierend in einer
bestimmten situation artikuliert wird.
ob eine theoretisch fundierten kritik zugleich als systematisch
wahrgenommen wird, haengt dann auch wiederum von verschiedenen faktoren
ab. u.a. von ihrer verortung, vom selbstverstaendnis der menschen, die
sich im feld der kritik betaetigen.

[hier boete sich dann gleich die moeglichkeit fuer einen eigenen thread:
wie ist es eigentlich um "medienkritik" im deutschsprachigen raum
bestellt: denken wir allein an mailinglisten, so werden ambitionierte
beitraege im klassischen format auch von deutschsprachigen menschen nach
wie vor tendenziell eher auf englischsprachigen listen publiziert:
nettime, new media curating, cream... usw.; die einzige zeit, die ich
erinnere, in der das mal ein kleines bisschen anders gewesen ist, war
die von thing bbs. medienkritik in zeitungen und zeitschriften ist noch
immer primaer solche, die sich auf: film, fernsehen, vergleichsweise
selten: netzkulturen bezieht. unter den deutschsprachigen
kunstzeitschriften wuerde ich dann noch auf den netzteil der springerin
verweisen; da gibt es immerhin eine kontinuitaet seit mitte der
neunziger jahre; und "unsystematisch" und "kursorisch" ist das dort
publizierte sicherlich auch nicht pauschal zu nennen.]

aber zurueck zur medientheorie: "von seinem ansatz oder anspruch her
systematisch" bedeutet - meine ich - doch nicht notwendigerweise den
gestus: ich erklaere euch mal, wie das alles mit 'den' medien
funktioniert und mit dem weltganzen in allen seinen teilen
zusammenhaengt, oder?
dieser gestus als gestus hat natuerlich eine
(wissenschaftsgeschichtliche) tradition, und die kann man in deutschland
durchaus als solche verfolgen.
vom gegenstand her gesehen waere aber doch zu fragen:
muss "eine medientheorie", die systematisch ist, den anspruch haben, auf
alle medien (und medienverbuende) gleichermassen 'anwendbar' zu sein?

zum publikationsort (netztheorie im metz?) - wie schon geschrieben, mir
gings nicht um die frage nach dem grossen gegenentwurf.

> Es wäre ja schön, wenn es dazu Alternativen gäbe. Ich sehe sie nur
> nicht. Was Foren wie Nettime und diese Liste in ihren besten Momenten
> zustandebringen, ist ein kritischer Diskurs über Medien bzw.
> Computernetze, der wiederum nur in seinen besten Momenten
> Theorie-Ansätze oder -Denkanstöße liefert. 

auf nettime gabs ja doch schon mal den einen oder anderen essay. dass
dort selten und auf rohrpost keine verschickt werden, heisst aber nicht,
dass listen prinzipiell als forum fuer die publikation von
entsprechenden beitraegen ungeeignet waeren. ich wuerde vermuten, dass
es ganz andere gruende gibt, warum derlei nicht passiert: persoenliche
bedenken gegenueber dem status des publikationsortes (die von 'dann
druckt mir's niemand mehr' ueber 'das wird bestenfalls von einer
halbanonymen meute zerrissen' bis 'wenn ich jetzt meine wertvollen
gedanken hier freilasse, kann ich sie uebermorgen unter anderem namen
anderswo abgedruckt nachlesen' reichen koennen) und weniger persoenliche
(real existierende oder auch nur angenommene verpflichtungen gegenueber
verlegern, redaktionen usw.) zum beispiel.

was die medientheorieproduktion _auf_ mailinglisten angeht, gibts aber
natuerlich noch ganz andere, wesentlichere gruende, die ihr hinderlich
sind. allen voran: zeit bzw. die kommunikationsstruktur und -oekonomie
von mailinglisten in ihrem zeitlichen ablauf betrachtet.
die arbeitet nun mal (je nach mailingliste und listenbiotop) eher dem
format talk show zu: schnell und schlagfertig funktioniet in diesem
rahmen allemal besser als: 
ausformulieren, differenziertere gedanken weiterverfolgen.
laenger ueber etwas nachdenken? oder zwischendurch noch etwas anderes zu
tun/zu denken/zu schreiben haben? bis dahin hat sich der thread bereits
sonstwohin entwickelt, wenn es ihn uebehaupt noch gibt.

was nun nicht generell verhindert, dass auf mailinglisten gute gedanken
formuliert und ausgetauscht werden koennen (kommt ja doch auch auf der
rohrpost vor).
nur: fuer das systematische verfolgen von gedanken und
diskussionsstraengen, eine gemeinsame arbeit an so etwas wie theorie
sind mailinglisten (ungeachtet von vorzuegen wie: schriftlichkeit,
anlage/dokumentation von straengen) wohl in der tat nicht der beste ort,
dem stehen ungleichzeitigkeit und nachtraeglichkeit entgegen. 

wie es umgekehrt ja auch bestimmter (oekonomischer etc)
rahmenbedingungen bedarf, um theorie produzieren zu koennen; etwa, ueber
hinreichend zeit zu verfuegen, konzentration etc. was wiederum u.a. auch
erklaert, warum es traditionell eher das akademische umfeld war und
teilweise noch ist, aus dem man theoriebildung erwarten konnte/kann.
mittlerweile sind allerdings die meisten hochschullehrer mehr mit
angewandter antragsprosa und drittmitteltreibjagden beschaeftigt. da
wundert es dann nicht, dass auch die 'suhrkamp'etc-baende duenner werden
(ich meine nicht die seitenzahl) und an die stelle von systematischen
ueberlegungen essaysammlungen treten.
[womit ich allerdings nichts gegen die kleinere form gesagt haben will.
eine systematische reflexion laesst sich imhop eben durchaus auch ueber
mehrere essays verfolgen].

laengst jenseits des mediengerechten formats, daher hier schnitt.

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