[rohrpost] betrifft: deutsche medientheorie

Claus Pias claus.pias at ruhr-uni-bochum.de
Don Okt 14 11:15:26 CEST 2004


Am 13.10.2004 um 23:05 schrieb Florian Cramer:

> Diese Kombination - mit ihren impliziten Paarungen wie Kittler &
> Theweleit oder Sloterdijk & Luhmann - ist wirklich fantastisch.

> Seit den 1990er Jahren nennt jeder
> Geisteswissenschaftler, der etwas auf sich hält, auch "Medien" als sein
> Forschungsgebiet.


Lieber Florian,
völlig d'accord: "die" deutsch(sprachig)e 
Medientheorie/Medienwissenschaft stellt sich als Sammlung von 
Eigennamen dar (ganz ähnlich wie seinerzeit 
Poststrukturalismus/Postmoderne), die eine gewisse Evidenz aus der 
Alltagsperspektive der Tagungen und Sammelbände gewinnt. Welche 
Diagnosen das erlaubt, wäre wahrscheinlich einen eigenen thread wert. 
In dem Moment jedenfalls, in dem die akademische Gründungswelle langsam 
ausläuft, setzen (auch das ist nicht besonders neu) Phänomene wie 
Guidenliteratur, Kanonbildungen, Schul(re)konstruktionen, nationalitäre 
Unterscheidungen usw. ein. Eine Erklärung, die über eine Aufzählung des 
status quo hinausgeht, müßte -- auch da schließe ich mich an -- allemal 
historisch sein. Und es müßte daher auch von Bereichen die Rede sein, 
die dank aktueller Umbenennungsstrategien nun scheinbar 
unterscheidungslos unter "Medien" firmieren, wie z.B. der Publizistik 
(die sich m.W. in den 1910ern als Ableger der Wirtschaftswissenschaften 
institutionalisierte) oder der Film- und Fernsehwissenschaft post '68. 
Ohne Freund/Feind-Unterscheidungen wird man die historischen 
Besonderheiten einer 'deutschen' Medientheorie wohl nicht verstehen.
Herzlich, C.


Am 13.10.2004 um 22:34 schrieb Florian Cramer:

> der Mensch also "den Medien" ohnmächtig ausgeliefert sei,

PS dazu: Als Nachkriegsstrategie, die die medialen 'Verführungen' und 
'Manipulationen' des 'Dritten Reichs' als übermächtig deklariert, damit 
die Verführten als ohnmächtig entschuldet und zugleich auch die 
institutionelle Macht der Publizistik plus die exorbitanten 
Gehaltsforderungen der Werbefuzzis begündet, ist das allemal 
einleuchtend und vielleicht sogar 'deutsch'...