[rohrpost] Praktikum in der e-Xploitation
ulrich gutmair
supertxt at zedat.fu-berlin.de
Mit Nov 10 00:59:19 CET 2004
>Die Künstlergruppe e-Xplo, Berlin/New York (public
>projects, social spaces, site related work) sucht
>
>eine Praktikantin / einen Praktikanten
>
hier könnte eine medientheorie, deutsche, welsche oder welsche auch
immer, die sich mit aktuellen entwicklungen in der bis in den letzten
winkel mediatisierten gesellschaft beschäftigen will, doch eigentlich
mal ansetzen:
"künstlergruppe sucht praktikanten."
das schöne an den medien ist heute ja, dass wir alle gerne mitmachen
an der medialen produktion der welt. die betriebliche medientheorie
hat ja auch schon einen schönen namen dafür gefunden, sie nennt den
glücklichen teilnehmer "prosumer". diese betriebliche medientheorie
hat heute theoretisch offenbar die nase vorn, weshalb es im übrigen
vielleicht sinnvoller wäre zu fragen, welche medientheorie heute in
den entsprechenden departments der unternehmen und den an ihnen
angeschlossenen universitären fakultäten entworfen wird, als danach,
was deutsche medientheorie wohl wäre.
aber zurück zum prosumer und damit zum praktikanten. egal, ob
rohrpost oder rtl 2: mitmachen mittels, bei oder in den medien ist
heute - da die teilhabe an gesellschaft via arbeit oder politische
organisationen irgendwie nicht mehr so recht zu funktionieren
scheint, und insofern auch die frage der anerkennung, die so ein
modernes subjekt ja ausmacht, nicht mehr traditionell beantwortet
werden kann - ist also heute offenbar eine der wenigen möglichkeiten,
sozial irgendwie tätig zu werden. das ist per se noch nicht
beklagenswert, die frage ist nur, wer macht wo unter welchen
bedingungen eigentlich mit?
wer bei "big boss" oder wie diese lustige sendung auch heißen mag,
mitmacht, kriegt geld dafür, und vielleicht nachher einen job,
vielleicht eher auch grade nicht, man weiß es ja wirklich nicht. das
sind die bedingungen unter reality tv, und das ist ja desöfteren
schon diskutiert worden. dass dem mehr oder weniger freiwilligen
mitmachen in und vor den medien immer ein ordentlicher deal zugrunde
liegt, ist allen klar, die mitmachen. der prosumer etwa weiß, dass er
dafür bezahlt, die arbeit der medienanbieter mitzumachen, aber er
bekommt auch das eine oder andere dafür. befriedigung, eine reziproke
dienstleistung, was auch immer. beim anheuern der ausnahme-prosumer
von reality tv, die ja von allen eigentlich am wenigsten prosumer und
vielleicht sogar am ehesten noch arbeiter sind, sind ganz
professionell rechtsanwälte involviert, die den austausch von
leistungen bis ins kleinste detail regeln.
auch leute, die von journalisten vor der kamera befragt werden, haben
die marktregeln heute intus, so dass es heute nicht ausnahmsweise,
sondern regelmäßig vorkommt, habe ich mir sagen lassen, dass leute,
die für einen bericht interviewt werden, ganz selbstverständlich
nachher fragen, wieviel sie denn eigentlich dafür bekommen, dass sie
ihre nase in die kamera halten. das ist ja auch korrekt. wer seinen
körper, sein statement, womöglich seinen guten ruf den medien zur
verfügung stellt, soll auch dafür bezahlt werden. in den medien sein
ist die wahre arbeit. der ort, an dem diese tauschgeschäfte
stattfinden, ist der, den man früher "öffentlichkeit" genannt hat.
bekanntermaßen kommt die idee des medialen mitmachens ja im
wesentlichen aus einer praxis, die sich im sinne dieser alten
öffentlichkeit als emanzipatorisch verstanden und daher versucht hat,
sich medien anzueignen, um an dieser, doch die meiste zeit der
menschheitsgeschichte ziemlich hierarchisch angelegten öffentlichkeit
teilnehmen zu dürfen. jetzt haben wir access für alle, aber
vielleicht anders, als man sich das damals vorgestellt hat.
die paradigmatische figur dieser nun endgültig zentral gewordenen
kategorie des zugangs befindet sich auf der rückseite der medien: der
praktikant, der in nie gekanntem ausmaß die ökonomie und nicht nur
die medienökonomie, die aber im besonderen, trägt. ohne praktikanten
gäbe es ja praktisch gar nichts mehr. keine zeitung, keine
werbeagenturen, kein gar nichts. wer sind diese praktikanten? sie
sind leute, denen der der bloße zugang zu den produktionsstätten
einleuchtenderweise als absolut wichtiges gut erscheinen muss. jobs
bekommen sie ja nicht, sie dürfen aber immerhin an der veranstaltung,
die man zwar noch arbeit nennt, und auch immer noch arbeit ist, aber
immer öfter nicht mehr entlohnt wird, teilnehmen.
der praktikant hängt am ende der fahnenstange, die der medienaktivist
oder der net.artist aus gutem grund mal aufgestellt hat, der in
selbstausbeutung immerhin noch an einem projekt arbeitete, das
selbstbestimmung UND anerkennung verheißt.
dem alten arbeiter blieb nichts anderes übrig, als seine arbeitskraft
zu verkaufen, der praktikant als arbeiter-der-keiner-mehr-werden-kann
muss es sich leisten können, "leider ohne aufwandsentschädigung"
>für die Bereiche Research, Organisation,
>Kontaktpflege, Archiv und diverse
>Büro/Ateliertätigkeiten mit weitgehend freier
>Zeiteinteilung
zu arbeiten.
wo also zumindest idealerweise einmal bürger waren, die miteinander
kommunizierten, verdingen sich heute laiendarsteller gegen geld.
hinter den kameras und an den office-anwendungen sitzen währenddessen
die praktikanten als die wahren und eigentlichen prosumer. sie
"konsumieren" die erfahrung von arbeit, dürfen am bürgerlichen leben
wenigstens virtuell teilnehmen und bezahlen mit lebenszeit und
arbeitskraft dafür.
um ordnung ins definitorische chaos zu bringen, wäre mein vorschlag
also: spätestens ab dem tag, an dem eine global agierende
künstlergruppe die bereiche research und org outsourcen will und
deswegen hier eine praktikantenstelle ausschreibt - anstatt wie
früher zu fragen: wer macht mit, kriegt kein geld, ist aber fortan
künstler? - ist eine medientheorie, in der das wort "praktikant"
nicht vorkommt, keine medientheorie mehr. dasselbe gilt dann
natürlich auch für jedwede form der kunstkritik.
gruß,
ulrich
>
>Weitere Informationen finden sich auf der Webseite:
>www.e-xplo.org
>Bewerbungen können an folgende Adresse gemailt
>werden:heimo at e-xplo.org
>Bei weiteren Fragen siehe unten stehende
>Telefonnummer:
>0049 - 30 - 44 30 84 26
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