[rohrpost] Tagung zu "Kunst und Wissenschaft" in Kiel
Ingeborg Reichle
Ingeborg.Reichle at culture.hu-berlin.de
Sam Mai 1 22:41:09 CEST 2004
"Kunst und Wissenschaft"
Tagung an der Muthesius-Hochule in Kiel
5.5. Eröffnungsabend ab 18 Uhr in der Aula
6. + 7.5. Tagung in der Aula
Alle Vorträge sind öffentlich und finden in der Aula der
Muthesius-Hochschule; Lorentzendamm 6-8, 24103 Kiel statt.
Programm
Mittwoch, 5.5.2004
18 Uhr
Manfred P. Kage: Science - Art - Performance
Der Terminus “Science Art” wurde von Herbert W. Franke und Manfred Kage
1966 kreiert, wobei es um eine Integration von künstlerischen und
wissenschaftlich-technischen Praktiken ging. Bei dieser
Science-Art-Performance stehen Entwicklungsphasen der apparativen Kunst
von Manfred P. Kage seit ZERO 1963 bis heute im Mittelpunkt. Dabei wird
eine Direktprojektion von gesteuerten Kristallwachstumsvorgängen sowie
Kaleidoskop-Projektionen realisiert. In einem Videofilm wird die
Video-Synthesizer-Art sowie ein Life-Video-Feedback mit einer
kinetischen Metallplastik vorgeführt. Den Abschluß bilden
Video-Sequenzen von den Filmprojekten “Ozeangalaxie” und
“Fluoride-Art”, die gemeinsam mit seiner Frau Christina Kage entstanden
sind.
Manfred P. Kage, Schloss Weißenstein, Chemiker, Künstler, Gründer und
Leiter des Instituts für wissenschaftliche Fotografie www.institut-kage.de
anschließend
roundtable mit
Manfred P. Kage, Herbert W. Franke, Elke Bippus, Peter Bexte.
Moderation: Dieter Mersch
Donnerstag, 6.5.2004
10 Uhr
Herbert Franke: Science Art: Grenzbereiche der Kunst
Unter Science Art versteht man eine Randzone der Kunst im
Übergangsbereich zu Naturwissenschaft und Mathematik. Motive aus den
Wissenschaften werden in Bilder oder Töne umgesetzt. Schon früh fiel
auf, dass manche Resultate solcher Versuche bemerkenswerte ästhetische
Qualitäten haben, was es nahe legte, sie aus dem Blickwinkel der Kunst
zu betrachten. Dieser Effekt ist dort besonders auffallend, wo mit Hilfe
von Visualisierungstechniken Räume erschlossen wurden, die sich zuvor
der Sichtbarkeit entzogen. Durch die Faszination der neu erschlossenen
Formenwelt angeregt, verlagerte sich bei manchen Anwendern die
Zielsetzung von der wissenschaftlichen Erkenntnis zur Erweiterung des
Vorstellungsraums selbst. Noch deutlicher ist diese Abwendung von der
Wissenschaft dort, wo die Geräte des wissenschaftlichen Labor so
umfunktioniert werden, dass sie eigenständigen Gestaltungsinstrumenten
gleichkommen. Einen besonderen Fall bilden Computergrafiksysteme mit der
Möglichkeit zur Ausdruckserweiterung durch Animation und Interaktivität.
11 Uhr
Ingeborg Reichle: Kunst im Zeitalter der Technoscience
Das Verhältnis von Kunst und Wissenschaft war immer vielschichtig und
ist heute im Zeitalter der Technosciences überaus prekär, wie durch den
Einsatz von ethisch umstrittenen Technologien in der zeitgenössischen
Kunst deutlich wird. So wurden Verfahren der Gentechnik vor einigen
Jahren von Künstlern aufgegriffen und lebende Biomasse zum Material der
Kunst erklärt. Insbesondere Künstler der Transgenic Art, wie der
Brasilianer Eduardo Kac oder die Künstlergruppe um das australische
SymbioticA Labor haben das Atelier schon vor geraumer Zeit gegen das
Arbeiten im Labor der Lifesciences eingetauscht und bioluminiszierende
Kaninchen und transgene Lebewesen zu Kunstwerken erklärt. Doch mit der
Herstellung transgener Organismen, techno-organischer Hybriden und
rekombinanter DNA sind die Künstler an einem neuralgischen Punkt der
Technosciences angelangt, an dem sich die Artefaktizität der Natur der
Artefaktizität der Kunst gegenüber gestellt sieht und das Verhältnis von
Kunst und Natur zu implodieren scheint.
12 Uhr
Peter Bexte: Kot d'Azur
Der Vortrag handelt von einer Körpermaschine namens CLOACA. Der
belgische Künstler Wim Delvoye hat sie gemeinsam mit Medizinern
entwickelt. Die Maschine tut exakt das, was barocken Körpermaschinen
unmöglich war: Sie emuliert einen Verdauungstrakt mit naturidentischem
Output. Es geht dabei um den doppelbödigen Begriff des Naturidentischen
sowie um eine Tradition der Anti-Kunst, die hier zu Ende gebracht wird.
Mit CLOACA ist die 'Merda d'Artista' im Zeitalter ihrer technischen
Reproduzierbarkeit angekommen.
Mittagspause
15 Uhr
Frieder Nake, zusammen mit Susanne Grabowski und Matthias Krauß:
Allenthalben Algorithmen. Von Ästhetik und von Zeichen, Projektionen &
Wörter
Wir werden dem Symposiums-Thema ”Kunst und Wissenschaft” eine
assoziationsreiche, etwas kryptische und anregende Reflexion bieten. Sie
wird aus Sätzen, Thesen, Bildern und Interaktionen bestehen, die
gleichzeitig projiziert, gesprochen und dargestellt werden. Ihr Thema
wird das Algorithmische sein, das in wissenschaftlichen Modellen und in
ästhetischen Objekten längst Unterschlupf gefunden hat. Wir werden es an
Beispielen ein wenig hervorkitzeln.
16 Uhr
Simone Mahrenholz: (Wie) Lässt sich Kreativität in Künsten und
Wissenschaften systematisieren?
Theorien der Kreativität verkörpern auf den ersten Blick eine
Unmöglichkeit. Lassen sich doch die kreative Leistung wie das kreative
"Produkt" weder steuern noch antizipieren: begegnen im Modus des Zufalls
und "Zufallens". Ergebnissen der Philosophiegeschichte im Zusammenhang
mit zeitgenössischen symbol- und medientheoretischen Überlegungen lassen
sich jedoch Hinweise auf herausgehobene logische Konstellationen in
menschlichen Denkprozessen entnehmen, die zu jenem a-logischen "Sprung"
führen, dessen Ergebnisse wir "kreativ" nennen.
Pause
17 Uhr
Elke Bippus: Poetologie des Wissens. Künstlerische Praxis in den
Wissenschaften
Wie die moderne Wissenschaftstheorie darlegt, besinnen sich tradierte
Wissenschaften bei der Suche nach Kreativität verstärkt auf
künstlerische Verfahren. Von ihnen scheint das Versprechen einer
produktiven, erfahrungs- und handlungsorientierten Vermittlung
auszugehen, in welcher der Erwerb von Wissen mit sinnlicher Erfahrung
und einem anschaulichen Denken verknüpft ist. Künstlerische Verfahren
bergen allerdings gleichermaßen verstörende Momente, insofern die
Hervorbringung von Wissen und die Methoden der Wissensstrukturierung
ebenso sichtbar werden wie die Wissensinhalte selbst. Sie offenbaren so
die Bedingtheit der episteme und machen die Repräsentationsweisen
sichtbar, die den Wissensordnungen zugrunde liegen. Unter einer
Poetologie des Wissens wird dabei eine offene Wissensstruktur ohne
Primat eines erkennenden, sprechenden oder schöpferischen Subjekts
verstanden, die zu einer aktiven Beteiligung an wissensbildenden
Prozessen einlädt und Raum für Selbstverfehlung, Kontingenz und
Nichtwissen lässt.
18 Uhr
Wolfgang Knapp: Künstlerinnen und Künstler als Forscher.
Wissenschaftliche Methodik und künstlerische Recherche
Künstlerinnen und Künstlern öffnen sich in ihren Arbeitsweisen
wissenschaftlichen Forschungsmethoden, um für eigene Arbeiten zu
recherchieren. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler reüssieren mit
visuellem Material aus ihrer Forschung auf dem Kunstmarkt. Einige von
ihnen sind in beiden Bereichen ausgebildet. Worin liegen die Gründe für
die disziplinübergreifende Annäherung? Der Vortag stellt Beispiele und
Arbeitsweisen aus diesem Feld vor: künstlerische Bearbeitung
wissenschaftlicher Ergebnisse, Integration von Forschungsmethoden in die
künstlerischen Arbeitsprozesse, Transfer von Visualisierungsmethoden und
-techniken aus der Forschung in die Künste, paralleles Arbeiten zu
verwandten Fragestellungen in Kunst und Wissenschaft, Zusammenarbeit in
Teams aus beiden Berufsgruppen zur Vorbereitung, Durchführung und
Präsentation von gemeinsamen Projekten
Pause
20 Uhr Abendvortrag
Florian Rötzer: Doch zwei Kulturen?
Bilder, die nicht wegen ihrer Ästhetik gemacht, aber wahrscheinlich doch
wegen dieser ausgesucht wurden, kommen in großer Zahl aus der
Wissenschaft. Auf Bilder haben Künste und Künstler schon längst kein
Monopol mehr, seitdem die Fotografie erfunden wurde und immer neue
Bildtechniken entstanden sind, die uns die oft faszinierende Welt des
bislang für das menschliche Auge Unsichtbaren erschlossen haben. Aber
was haben ästhetisch ansprechende Bilder, wie sie beispielsweise im
Rahmen astronomischer Forschung gemacht werden, mit Kunst zu tun?
Freitag, 7.5.2004
10 Uhr
Rainer Gruber: Imaginationen des Leeren im Wechselspiel von Physik und
Mathematik
Irrationale Zahlen, geboren aus dem Nichts der Löcher der virtuellen
Zahlenachse und zu ihrer Zeit Anlass für heftigste Kontroversen; die
imaginäre Einheit, imaginierte Lösung der nicht existenten Wurzel aus
einer negativen Zahl, die als Funktionentheorie komplexer Variable die
elektrische Ingenieurskunst explosiv bereichert hat und ohne die eine
Quantentheorie nicht zu denken wäre; Antiteilchen, diese Gestaltwerdung
unausgefüllter Löcher eines imaginären Sees negativer Energie; das Leere
des physikalischen Vakuums, seit Entstehen der Quantenfeldtheorie als
Getümmel virtueller Elementarteilchen auferstanden: Imaginationen des
Leeren bezeichnen die Bruchstellen, die wesentliche Fortschritte des
physikalisch-mathematischen Verständnisses von Welt ermöglichten.
11 Uhr
Rolf Elberfeld: Bewegungssinn zwischen Wissenschaft und Kunst
Der erste, der ausreichend begründend konnte, dass es neben den fünf
Sinnen auch einen “Muskelsinn” gibt, war Charles Bell in einem Aufsatz
von 1826 - H. C. Bastian ersetzte später den Ausdruck durch das Wort
“Kinästhetik”. Die Entdeckung und Neudefinition eines solchen
kinästhetischen Sinns durch die Sinnesphysiologie ist in Philosophie und
Ästhetik noch nicht wirklich aufgenommen worden. Noch immer geht man von
fünf Sinnen aus. Der Vortrag versucht, die leibliche Bewegung des
Menschen nicht als motorisches, sondern als sinnliches Geschehen
auszulegen, zu dem bestimmte Wahrnehmungsformen gehören, wie sie vor
allem im Tanz erforscht und entwickelt werden.
12 Uhr
Gerhard Gamm: Vom Wandel der Wissenschaft(en) und der Kunst
So überzeugend es auf den ersten Blick erscheinen mag, die moderne Welt
nach relativ autonomen, funktional differenzierten Sphären wie Recht und
Wirtschaft, Politik und Erziehung, Wissenschaft und Kunst zu betrachten,
so wenig angemessen ist es auf den zweiten. Da zeigt sich eine geradezu
unheimliche, fast primitive Verwandtschaft und Parallelität zwischen den
unterschiedlichen Bereichen. Jean Baudrillard greift gar zu einer
medizinischen Metapher; er spricht von einer “viralen
Ununterscheidbarkeit”. Danach hält es keine Sphäre mehr in den Grenzen
der ihr eigenen Logik. Dieser Prozess wechselseitiger Durchdringung von
Wissenschaft und Kunst soll in einigen Aspekten beleuchtet werden, nicht
ohne den Dritten im Bunde, die Gesellschaft und ihr Verhältnis zu
Wissenschaft und Kunst mitzubedenken.
Mittagspause
15 Uhr
Christian Schicha: Gefälschte Politiker. Formen der Bildmanipulation von
der Retusche bis zur digitalen Bildbearbeitung
Die Bildmanipulation hat eine lange Tradition. Dazu gehört das Löschen
und Einfügen von Bildelementen, die Fälschung, die Fotomontage, die
falsche Beschriftung, die Veränderung des Bildausschnittes, die
Ästhetisierung von Bildern, die fehlerhafte Benennung von visuellen
Elementen, die Veränderung von Ton und Schärfe sowie das Stellen von
Szenen. Bereits am Beginn des 20. Jahrhunderts haben politische
Machthaber totalitärer Systeme ihre Gegner auf Fotos wegretuschieren
lassen. Im Zeitalter der digitalen Bildbearbeitung dokumentieren
Spielfilme wie Forest Gump die technisch ausgereiften Möglichkeiten der
Fälschungsoptionen. Im Rahmen des Vortrages sollen historische wie
moderne Bildbearbeitungen am Beispiel von Politikerfotos vorgeführt und
analysiert werden.
16 Uhr
Susanne Deicher: Sigmund Freuds Auseinandersetzung mit den Grenzen der
Erkenntnis bei der Betrachtung mikroskopischer und anderer Bilder
Ausgehend von der frühen, kritischen Auseinandersetzung Sigmund Freuds
mit den Ergebnissen bildgebender Verfahren in der Neurologie, wie sie in
seinen neuropathologischen und theoretisch physiologischen Arbeiten der
70er bis 90er Jahre des ausgehenden 19. Jahrhunderts erfolgte, soll nach
einer (skeptischen) Theorie des Visuellen im Werk Freuds gefragt werden.
Pause
17 Uhr
Theresa Georgen: Die Kunst des Schnitts
Schneiden, Sezieren, Präparieren und Konservieren gehören zu unserem
kulturellen Umgang mit dem toten Körper. Angesichts pseudobarocker
Inszenierungen präparierter Leichen in Ausstellungen stellt sich die
Frage nach dem aktuellen Verhältnis der Kunst zu diesen
wissenschaftlichen und ökonomischen Verwertungen der Toten in unserer
Zeit. Am Beispiel des englischen Künstlers Damien Hirst, der zerlegte
und konservierte Tierleichen ausstellt, werden die vom ihm gelegten
Spuren hin zu Kunstkammern, Anatomiedarstellungen und medizinischen
Konservierungspraktiken aufgenommen und kommentiert.
18 Uhr - 20 Uhr
Eduard Thomas, Nadja Franz, Ralph Heinsohn und Dominic Bünning: Der
Mediendom in Kiel
Mit dem Mediendom verfügt die Fachhochschule Kiel neuerdings über eine
europaweit herausragende Technik für immersive Kuppelpräsentationen. Das
neuartige Gestaltungsfeld lädt zu Experimenten und Leitprojekten ein und
soll in Kooperation mit Partnern aus Wissenschaft, Wirtschaft und Kultur
erschlossen werden. Eduard Thomas wird in einem einführenden Vortrag die
Einrichtung vorstellen, Nadja Franz wird anschließend einige Denkanstöße
zur historischen Einordnung von illusionsschaffende Medien im
360°-Format sowie zur ästhetischen Weiterentwicklung der Technik geben.
Ralph Heinsohn und Dominic Bünning stellen anschließend konkrete
studentische Projekte vor.
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Konzeption: Dieter Mersch, Vertretung der Intendanz
Veranstalter: Forum der Muthesius-Hochschule, Legienstraße 35, D-24103 Kiel
Organisation: Heike Carstensen, Sabine Multhaup
Postadresse: Lorentzendamm 6-8, D-24103 Kiel
Fon: 0431 5198-195
Fax: 0431 5198-320
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