[rohrpost] Re: def. medien und medienwissenschaft (florian cramer)
Martin Lindner
Martin.Lindner at uibk.ac.at
Mit Jul 16 15:01:51 CEST 2003
hallo,
erstmal herzlichen dank für die rückmeldungen. nur ein bisschen schade, dass
matze schmidt, dessen beiträge ich schätze, sich damit begnügt hat, die
urlaubsvertretung für signifikant at signifikat.de als scherzkeks-vom-dienst zu
übernehmen.
(nebenbei: diese in der rohrpost doch recht ausufernde
medien=pop=gegenteil-von-big-sinn=lässige-polemik-von-medienkunst-hipstern-gegen
-fade-akademiker-nerds - attitüde NERVT gelegentlich doch ein wenig.)
antwort an florian cramer (6 jul 2003):
deine kritik beruht, wie mir scheint, auf einem von dir aufgebauten, allzu
schlichten gegensatz zwischen verschwurbelter geisteswissenschaft auf der einen
seite ("geschichtsmetaphysik", unexaktes hermeneutisches auslegen von letztlich
beliebigen "konnotationen") und exakter, no-nonsensehafter IT-theorie, die sich
letztlich am guten alten telegrafischen kommunikationsmodell von shannon/weaver
orientiert.
dabei sind wir uns offenbar weitgehend einig, wenn es um den tatsächlich
wuchernden (metaphorischen und metonymischen) missbrauch des medienbegriffs
geht. das problem ist bloß, dass du mich in die selbe ecke drängst, wo ich
natürlich nicht hin will.
ich glaube aber, dass letztlich alles, was an dem phänomen und dem begriff
"medien" interessant ist, in deiner simplen opposition keinen platz hat bzw.
"dazwischen" steht. ich bin kulturwissenschaftler: mich interessieren medien als
komplexes kulturelles phänomen. und ich will "medien" definieren, weil ich
tatsächlich glaube, dass unsere vorwissenschaftliche rede von den "medien" einen
sinn hat, der wissenschaftlich aufzuklären wäre. das ist zugegeben einfach eine
prämisse. insofern du die prämisse (zumindest in dieser antwort, ansonsten habe
ich da zweifel) nicht teilst, ist natürlich alles weiter sofort "tautologisch"
und "zirkulär".
ansonsten weise ich den vorwurf der zirkularität zurück: alle angekreideten
sätze enthalten eine nicht-triviale zuspitzung des medienbegriffs. und "was ich
genau als medien definiere", hatte ich doch gehofft, gegen ende gesagt zu haben.
noch mal stark verkürzt: ein eigendynamisches (rekursives, autopoietisches ...)
system im zeichenzirkulationsprozess mit (1) einer technischen, (2) einer
semantischen und einer (3) sozial-systemischen dimension. man muss das übrigens
dann nicht unbedingt "medien" nennen, aber ich finde das aus mehreren gründen
sinnvoll.
du vertrittst, wenn ich das recht verstehe, die reduktionistische position, dass
medienwissenschaft eigentlich kanalwissenschaft bzw. codewissenschaft im sinn
der komplexeren IT-entwicklungen der letzten jahre sein sollte. ich bin dagegen,
wie du richtig erkannt hast, dem klassischen strukturalismus / der semiotik der
60er und 70er jahre verpflichtet. konsequenz ist, "die sprache" und "die kultur"
als exakt analysierbare "struktur" bzw. eben in diesem sinn eben als "code"
aufzufassen. dabei ist es tatsächlich so, dass ich von der existenz kultureller
(quell-)codes ausgehe, die allerdings substanzieller und komplexer sind als die
formalen, logischen, IT-technischen "codes". abC++ sozusagen. diese codes
sprengen insbesondere die überholten schablonen von "denotation" und
"konnotation".
das ist m.e. die pointe von "medienwissenschaft" (wenn es eben überhaupt eine
gibt), die in der vorwissenschaftlichen verwendung bereits mitschwingt: dass das
mediale an den "medien" (eben das, was diesen besonderen begriff überhaupt nötig
macht) genau das ist, was in zeichenzirkulationsprozessen über das triviale
kommunikationsmodell hinausgeht, das ich inzwischen für untauglich halte, unsere
kulturelle umwelt zu beschreiben.
> Dann legst aber wiederum einen empirischen und soziologischen
> Medienbegriff zugrunde: "Medienwissenschaft" legimitiert sich also
> dadurch, daß wir in einer Epoche leben, in der beständig von "Medien"
> die Rede ist.
ja, genau. als kulturforscher will ich wissen, was dieses keyword bzw. dieser
mythos bedeutet: "die medien". und ich bin daran ehrlich (nicht nur
polemisch-ethnologisch) interessiert. aber dieser "empirisch-soziologische"
medienbegriff ist eben vorwissenschaftlich. tatsächlich schließe ich die
empirischen medienwissenschaften gar nicht aus, wie du irrtümlich einmal
unterstellst, sondern stufe sie - wegen theorielosigkeit - auf den status von
hilfswissenschaften zurück.
bleibt noch der vorwurf der "geschichtsmetaphysik": ich möchte doch daran
festhalten, dass theorien über kulturelle "epochen" zwar selbstverständlich
angreifbar, aber grundsätzlich doch metaphysikfrei aufstellbar und im gelungenen
fall auch nützlich sind. zugegeben: das wir hier einfach apodiktisch gesetzt.
wieso ich die entscheidende grenze mit 1850/1900 ansetze