[rohrpost] "Empire" - Kritik

Boris Ewenstein b.ewenstein@btinternet.com
Wed, 29 May 2002 13:51:19 +0100


Holgers Position macht Sinn und ist ein interessantes 'Riposte' an die
Empire Kritik aus 'der Zeit'.

Allerdings finde ich die Porno/ Literatur; Empire/ Gesellschaftskritik
Analogie stark uebertrieben.

Das wuerde sich deutlicher herausstellen, wenn wir auf der Liste mehr ueb=
er
die Ideen in Empire diskutieren wuerden, als von Anfang an das Buch auf
einer uebergeordneteren Ebene zu kritisieren, die implizit ausdrueckt 'Wa=
s
da drin steht hab ich eh gecheckt; darum gehts gar nicht mehr'.

[einen Schritt zurueck tretend]
Was das Buch ganz gut macht, ist folgende Anschauungen zu popularisieren
(ja, es erreicht auch die in der 'Zeit' benannte "jeunesse doree" und die=
 in
einer vorigen Kritik angesprochenen "Kaffeekraenzchen" und Lesezirkel):
Was fuer Implikationen hat die trans-nationale Zirkulation von Kultur,
Kapital und Produktionsmitteln?
Unter welchen Bedingungen fuehrt diese zu einem Empire, unter welchen
Bedingungen fuehrt sie zu einem counter-Empire?
Wie funktioniert Imperialismus, der nicht als Kolonialisierung und
traditionelle Ausweitung von Nationalstaaten verstanden werden kann?
Wie tritt man politisch einem solchen de-zentralisierten Imperialismus
entgegen?
Welche Diskurse kann man entwickeln und anwenden, um einen
neo-liberal-kapitalistischen Weltmarkt nicht ausschliesslich als
endgueltigen und natuerlichen, historischen 'Telos' zu begreifen?
Und: Wer oder was ist Teil der widerstaendischen "Multitude", die Hardt u=
nd
Negri als Element eines moeglichen counter-Empires skizzieren?

Sicherlich nicht nur die "Proletarier aller Laender", sondern auch die
buergerlichen Studenten, Kaffeehausliteraten und Armchair-Intellektuellen=
,
die dabei sind Hardt und Negris Thesen zu promoten und von der "echten"
Linken schoen dafuer gedisst werden.

Boris




----- Original Message -----
From: "holger schulze" <schulze@udk-berlin.de>
To: "rohrpost" <rohrpost@mikrolisten.de>
Sent: Wednesday, May 29, 2002 2:00 PM
Subject: Re: [rohrpost] "Empire" - Kritik


> dazu dreierlei :
>
>
> 1. es hat mich schon seit mitte der 90er jahre irritiert wie pl=F6tzlic=
h
> wieder immer mehr leute ganz ohne scheu, ohne peinlich zu wirken,
> wieder von _kapitalismus_ sprechen konnten. ein wort, das zwischen
> 85 und 95 kaum mehr unironisch auszusprechen war, sondern seinem
> sprecher eher als ein zeugnis von geistiger verwirrung und
> absurdem sektierertum ausgelegt wurde.
>
>
> 2. ich teile die diagnose von j=F6rg lau - halte dies aber nicht unbedi=
ngt
> f=FCr ein argument _gegen_ empire. es spricht sogar eher _f=FCr_ dessen
> wirkung & bedeutung.
>
> gerade weil empire einen kursierenden jargon, eine nur
> halbverstandene und vage rezipierte terminologie, einen
> satz von quellen und denkfiguren zusammenfasst (der vergleich
> mit _anti-oedipe_ ist treffend) und zu einem rhetorisch
> beeindruckend lesbaren, wenn auch eher rhapsodisch als
> logisch verstehbaren text zusammenf=FCgt, schafft es einen
> referenzpunkt, den viele versprengte rebellionsw=FCtige seit
> mitte der 90er gesucht haben.
>
> empire ist von vorneherein - rhetorisch und theorie-marktm=E4=DFig -
> als _das_ fehlende buch konzipiert. als die theoriewichsvorlage,
> das revolutionsmanifest, die messianische schrift. dass sie dies
> inhaltlich nur in selbstreferenz auf ein bestehendes theorie-
> kontinuum argumentativ st=FCtzen kann, ist nicht ungew=F6hnlich,
> sondern =FCblich. dies =E4ndert nichts an wirkung und bedeutung
> von empire, sondern st=E4rkt diese, wirkt als theorieverst=E4rker
> und gro=DFe revolutionserz=E4hlung, die all das zusammenfasst, was
> latent schon l=E4nger kursiert.
>
> j=F6rg laus kritik in der zeit folgt einem muster nach dem noch alle
> rhetorischen manifestschriften (und welches manifest w=E4re nicht
> rhetorisch?) abgewiesen wurden.
>
> wirksam waren diese dennoch. bedeutung haben sie bis heute.
>
>
> 3.
>
> >Empire
> >verh=E4lt sich zu ernsthafter Gesellschaftskritik und Politikwissensch=
aft
> >"wie Pornografie zu Literatur".
>
> dies scheint mir vollkommen korrekt. aber auch hier gilt :
> eben weil es eher pornografie als literatur ist, wird es wirkung
> haben. im gegenw=E4rtigen umfeld der theoriediskussionen und
> des symposions-zirkus auf internationaler ebene geschieht eine verst=E4=
rkung
> der reize automatisch - nicht anders als in anderen m=E4rkten der
> internationalen unterhaltungsindustrie.
>
> empires bedeutung liegt genau darin :
>
> ein rhetorischer theorie-porno zu sein, der eine stimmung
> aufheizen hilft. dass seine dennoch bestehenden argumentativen st=E4rke=
n
> darin untergehen, ist bedauerlich - aber ebenso nicht ungew=F6hnlich.
> historisch gesehen ist es eher der normale preis einer schnellen,
> weitreichenden wirkung.
>
> war die historische bedeutung einer theorieschrift jemals
> abh=E4ngig von ihrer theoretischen redlichkeit oder gar
> =FCberzeugungskraft?
>
> empire hat eine historische bedeutung.
> und die ist jetzt schon sp=FCrbar.
>
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