[rohrpost] Interview mit Jordan Crandall von R. Altstatt
Andreas Broeckmann
abroeck@transmediale.de
Tue, 28 May 2002 11:04:02 +0200
[Dieses Interview erschien aus Anlass der Ausstellung "Jordan Crandall:
Trigger Projekt" vom 6. April - 9. Juni im Edith-Russ-Haus fuer Medienkunst
in Oldenburg. Die Publikation ist bei Revolver - Archiv fuer Aktuelle Kunst
zu erhalten. http://www.edith-russ-haus.de - Jordan Crandall haelt am
Donnerstag, 30. Juni, 20.00 Uhr, im transmediale-salon im Podewil einen
Vortrag zum Thema der Ausstellung und zeigt ausgewaehlte Video-Arbeiten.
http://www.transmediale.de ]
Schuss/Gegenschuss
Interview mit Jordan Crandall von Rosanne Altstatt
Rosanne Altstatt: Obwohl du mehr fuer deine Film- und Videoarbeiten bekannt
bist, moechte ich dieses Interview doch mit einer Frage zu deinen
Diagrammen beginnen, deren Dynamik sich so grundlegend von dem glatten
Eindruck, den deine bewegten Bilder machen, unterscheidet. Die
Bleistiftzeichnungen wirken viel intimer, als wuerde ihnen eine wirbelnde
Kraft innewohnen. Wie stehen die beiden zu einander im Verhaeltnis?
Jordan Crandall: Mit den Diagrammen beginnt meine Arbeit. Sie sind der
Schluessel zu allem. Sie bilden die Prozesse ab, aus denen die Struktur,
der Inhalt und das Tempo resultieren. Und viele von ihnen bewegen sich in
einem sehr persoenlichen Bereich, nah am Koerper - sie handeln von dem Raum
zwischen Auge, Bildsucher und Ausloeser. Da ich immer tiefer in
psychologisches Gebiet eindringe, bin ich froh, dass die Diagramme eine
solche Intimitaet evozieren, gerade weil auch sie mit groesseren
militarisierten Systemen zu tun haben. Darueber hinaus zeigen sie echtes
Handwerk, was ebenso aktuell ist wie alles technisch Vermittelte.
RA: In der ersten Woche unserer Ausstellung im Edith-Russ-Haus fuer
Medienkunst willst du einen Workshop ueber die Entstehung deiner neuesten
Arbeit, Trigger, durchfuehren. Was erhoffst du dir von diesem Workshop?
JC: Um diese duale Projektionsinstallation praezise zu inszenieren, muessen
zahlreiche Tests durchgefuehrt werden. Die Raumgroesse des Edith Russ
Hauses ist perfekt, um die Dynamik zwischen den Akteuren auf der Leinwand,
den Projektionsmassstab und die Sehgewohnheiten des Publikums zu
ueberpruefen. Wir werden in einer Improvisation des eigentlichen Filmsets
verschiedene Testszenen drehen und diese dann direkt auf die Waende
projizieren, um zu sehen, wie sie funktionieren. Anhand dieser Tests wird
waehrend der Ausstellung laeuft ein endgueltiges Storyboard entwickelt.
RA: Trigger wird auf zwei gegenueberliegende Waende projiziert werden.
Warum hast du diese Form gewaehlt?
JC: Ich moechte die Zuschauer in das Drama zwischen den beiden Gestalten,
die einander jagen, einbeziehen. Man wird sich ganz umdrehen muessen, um
die eine oder die andere Leinwand vor Augen zu haben. Auf diese Weise wird
man nie die gesamte Produktion von einem komfortablen externen Standort aus
als Ganzes erfassen koennen. Das ist viel schwerer, als sich nur auf eine
Leinwand zu konzentrieren. Das Video laeuft schnell, und man wird es jedes
Mal anders erleben, weil man koerperlich genauso hellwach sein muss wie die
Akteure auf der Leinwand. Du musst schnell, konzentriert und behaende sein
wie ein guter Soldat.
RA: Ziehst du wirklich eine Parallele zwischen den Faehigkeiten eines
Soldaten und den Faehigkeiten des Betrachters?
JC: Insoweit, als sich beide in einem Zustand der Hyper-Wachsamkeit
befinden, in dem alle Sinne geschaerft sind.
RA: In der Geschichte geht es um zwei Soldaten, die sich gegenseitig durch
ihr Visier beobachten. Ein Thema, das man aus vielen Hollywood-Kriegsfilmen
kennt. Hattest du bei der Konzeption von Trigger bestimmte Filme im Kopf?
JC: Ja, es gibt Unmengen Vorlaeufer aus Hollywood, zahllose Kriegsfilme,
die ich gesehen habe. Die Punkte, auf die ich mich beziehe, sind kurze,
meist strukturelle Momente, in denen es zu irgendeiner subtilen Einmischung
der Kamera kommt. Man bemerkt sie gar nicht, solange man nicht gezielt
danach sucht. Beispielsweise die Szene in Kubricks Full Metal Jacket, in
der die Kamera mit dem Gewehr des Soldaten nach oben schwenkt und sich am
Visier des Soldaten auszurichten versucht. Die Kamera, das Auge des
Publikums, Kimme und Korn am Gewehr des Soldaten und der Blick des Soldaten
muessen zur Deckung gebracht werden, damit der Schuss sitzt - der Schuss,
der die Aufnahme ausloest und gleichzeitig das Leben seines menschlichen
Ziels ausloescht. Durch die lineare Ausrichtung von Auge, Zielvorrichtung
und Bildsucher bricht eine Art Artillerie hervor, zusammengefuehrt durch
die Hand am Ausloeser beziehungsweise am Abzug, in dem der Herzschlag von
Mensch und Maschine eins werden. Ich suche die Kamera, die niemals
unschuldig ist, die Suchereinrichtungen, die stets Kontrolltechnologien und
Konventionen unterliegen, und die Beschaffenheit des Aufnahme/Schuss-Opfers.
RA: Ich bin mir nicht ganz sicher, ob sich jeder, der im Bildsucher einer
Kamera auftaucht, gleich als Opfer empfindet - aber wie saehe dann die
Beschaffenheit eines Aufnahme/Schuss-Opfers aus?
JC: Ich meine nicht unbedingt, dass das immer der Fall sein muss. Aber es
gibt immer eine Dynamik der Macht. Das Aufnahme/Schuss-Opfer ist ein Opfer
der Suchervorrichtung und/oder der Waffe. Ich versuche einen Begriff zu
finden, aus dem die ganze Gewalt spricht, die auch von der Kamera und
allem, wofuer sie steht, ausgeuebt wird.
RA: Im Anschluss an die Schauspielschule hast du angefangen, selbst Filme
und Videos zu drehen. Was hat dich veranlasst, die Seite zu wechseln?
JC: Mir macht es Spass, beide Seiten der Kamera kennen zu lernen.
Allerdings gibt es viel mehr als nur diese zwei Seiten. Ich moechte mich in
allen versuchen.
RA: Du spielst damit wahrscheinlich auf den Einsatz unterschiedlicher
Kameratechnik und Kameraperspektiven an - so etwas wie eine
postkinematografische Sprache. Ich habe in frueheren Interviews von dir
darueber gelesen.
JC: Ja. Mit dem Einsatz von UEberwachungs- und Verfolgungssystemen und
urspruenglich militaerischen Zwecken dienlichen Aufnahmen, etwa von
Nachtsichtkameras oder von mit Kameras ausgeruesteten "Smart-Bomben",
stehen uns alle moeglichen neuen Bildformate zur Verfuegung. Mich
interessiert, wie diese neuen Systeme verinnerlicht und inwiefern sie Teil
neuer Bildsprachen werden, die die Kinokonventionen vor neue
Herausforderungen stellen, sowie die diesem Prozess innewohnende
Machtdynamik. Ausserdem interessieren mich die Unterschiede zwischen Boden-
und Luftsprachen und das gesamte Lexikon der Analyse und Rekonstruktion am
Boden stattfindender Bewegung von der Luft aus.
RA: Wie sieht dein visuelles Vokabular fuer Trigger aus?
JC: Es ist ein Spiel zwischen filmischer (bodengestuetzter) UEberwachung
und Satellitenaufnahmen. Ausserdem verwende ich ein "Eye-Tracking"
Synchronisationssystem, das Waffe und Blick des Kaempfers automatisch in
UEbereinstimmung bringt, selbst wenn sie nicht miteinander in Verbindung
stehen. Dadurch werden filmische Konventionen in Bezug auf Kontinuitaet und
innere Logik hinterfragt und gleichzeitig aktuelle Fragen der vernetzten
Verkoerperung aufgeworfen. Ich verwende bestimmte Zielerfassungsformate,
die eine neue Art der Perspektivkonstruktion ermoeglichen - sicherlich in
einem mehr militaerischen Zusammenhang, jedoch auch als allgemein genutzte
Kontrolltechnologien. Insgesamt inszeniere ich das Aufbrechen und
Verknuepfen von Blickpunkten verschiedener Mensch- und Maschinensysteme,
die mit ganz speziellen - politisierten - Kameraeinstellungen verbunden
sind. Die Geschwindigkeit und Effizienz der vernetzten und durch die
logischen Datenbankstrukturen sortierten Stroeme bilden eine
artillerieartige Kraft. Da stellt sich heute mehr denn je die Frage, woraus
eine Kamera besteht und was die "agency" dahinter ist - wie man ein
komplexes und oft aeusserst non-visuelles System visuell darstellen kann.
RA: Was meinst du in diesem Fall mit "agency"? Den, der die Kamera fuehrt,
oder den Zweck, der hinter dem Einsatz der Kamera steckt?
JC: Beides. Die Art und die Beobachtungsgabe des Sehers zusammen mit seiner
Intention und seiner Handlungsfaehigkeit. Beim Einsatz einer Filmkamera
stellen wir uns diese Fragen komischerweise nicht, weil die Filmtechnologie
inzwischen etwas Normales ist. Deswegen ist es unter anderem so
interessant, mit Militaertechnologie zu arbeiten. Da wir sie noch nicht
verinnerlicht haben, fragen wir sofort nach der "agency" dahinter. Worin
unterscheidet sich der Blick eines UEberwachungssystems von unserem Blick?
Der Blick des Militaers von dem Blick der Medien? Das wirft auch die Frage
auf, inwiefern unser Blick durch die sehr normal gewordenen Technologien
der Massenmedien bestimmt ist und wir unsere eigenen persoenlichen
UEberwachungsmethoden einfuehren. Wir sagen, "Ich muss mich hier gegen
'sie' behaupten", und befestigen eine Grenze. Wir rechtfertigen einen
persoenlichen oder anderweitigen Angriff auf einen Gegner, gegen den wir
uns behaupten muessen. Es gibt alle moeglichen Kampfsituationen im Alltag,
alle moeglichen Abgrenzungsprozesse, die deutlich machen, wer wir sind und
wohin wir uns entwickeln. Das Bunker-Bauen beginnt zu Hause. Das Szenenbild
von Trigger beinhaltet Bauten, die an hybride Heimbunker in verschiedenen
Baustadien erinnern, womit metaphorisch auf diesen Prozess der
Grenzbefestigung an der Heimatfront hingewiesen werden soll.
RA: Du sprichst von den drei Bauten, die du als Filmset in der
Ausstellungshalle errichten wirst: einen Bunker, eine Holzwand mit Fenster
und ein Haus aus Hohlblocksteinen. Aber du verweist auch auf
Kampfsituationen im taeglichen Leben und auf persoenliche UEberwachung. Wie
sehen die privaten Bunker aus, die wir deiner Meinung nach als Folge
zunehmender UEberwachung des Alltaglebens errichten?
JC: UEberwachung kann dazu beitragen, eine Art Sicherheitsblase zu erzeugen
- einen Bereich, indem wir uns vor Verbrechen geschuetzt fuehlen. Befestigt
wird sie durch Ideologien und Gewohnheiten. Sie ist ausserdem Teil eines
Subjektivierungsprozesses, eine Blase der Verinnerlichung, die hilft, die
Konturen der eigenen Identitaet festzuschreiben. Da besteht auch ein
Zusammenhang zur Ausbildung von Gruppenidentitaeten. Dem Ganzen ist eine
mobile und vielgestaltige Architektur eigen. Wir haben alle unsere kleinen
Befoerderungsmittel, in denen wir wie in Autos umherfahren, in einer
Kultur, die zwischen der Atomisierung in kleinste Einheiten und grossen
Vereinheitlichungen oszilliert, wobei sich letztere in Konzepten wie dem
nationalen Raketenabwehrsystem niederschlagen.
RA: In frueheren Interviews hast du erklaert, in den Projekten Drive
(1998-2000) und Heatseeking (1999-2000) ginge es hauptsaechlich um
Bewegung, Stroemungen und die Rhythmen des Koerpers. Obwohl auch diese
beiden Serien einen Gewaltaspekt aufweisen, scheint Trigger viel mehr noch
vom Sehen als Waffe zu handeln. Eine jahrzehntelange Zunahme der
Kameraueberwachung hat dazu gefuehrt, dass sich die Menschen inzwischen mit
dem Gedanken angefreundet haben, staendig beobachtet zu werden. Hat sich
die Situation entspannt?
JC: Ja. Deswegen sind in diesem Zusammenhang zwei Dinge fuer mich
interessant: Erstens die Erotik, denn es gibt eine sinnliche Lust,
beobachtet zu werden, die wir gerade erst entdecken und die mit bestimmten
politischen Themen, beispielsweise dem Recht auf Privatsphaere, schwer zu
vereinbaren ist. Beobachtet zu werden, das eigene Privatleben dem Blick
eines anderen auszusetzen, kann etwas entschieden Erotisches haben, vor
allem fuer eine juengere Generation. Das Zweite ist die Politik. Denn wir
duerfen nicht die Augen verschliessen vor den Kraeften, die diese
Entspannung foerdern. Wann immer UEberwachung mit mehr Schutz oder
Sicherheit gerechtfertigt wird, ist hoechste Alarmbereitschaft angezeigt.
Diese kuschelige, freundliche UEberwachung - gerechtfertigt im Namen von
Annehmlichkeit, Sicherheit, Effektivitaet und Zuverlaessigkeit und stilvoll
kaschiert mit einem modernen Dekor - ist eine gefaehrliche Sache, wenn sie
ihre politischen Aspekte verloren hat. Wir reden hier groesstenteils nicht
mehr von UEberwachungskameras, sondern von an Datenbanken angeschlossene
Verfolgungsnetzwerke, die in ihrer zunehmenden Omnipraesenz genau so
eindringlich sind.
RA: Trigger hat etwas entschieden Erotisches und doch hast du einige Szenen
mit explizit sexuellem Charakter gestrichen.
JC: Diese geplanten Szenen werden alle noch da sein. Ich habe lediglich die
Erklaerungen gestrichen, weil es so schwierig ist, diesen erotischen Aspekt
in Worte zu fassen. Ich habe beschlossen, das erotische Spiel visuell und
strukturell durchzufuehren, ohne den Wunsch zu verspueren, darueber zu
schreiben. Ich moechte darueber keine Theorien aufstellen - es soll
vielmehr etwas sein, das die Theorie aufhebt, etwas, das sich unterhalb der
Oberflaeche abspielt und all die sauberen Schluesse, die wir ziehen, in
=46rage stellt. Die Erotik ist gewissermassen der grosse Andere. Wir muessen
darauf achten, was sie uns erzaehlt, doch was sie uns erzaehlt unterliegt
nicht unserer Rechtsordnung. Die Frage ist, wie soll man diese Spannung
aufrechterhalten und daraus eine Politik ableiten - eine Politik, die
scheinbar ihre genaue Antithese beinhaltet.
RA: Eine Politik des Erotischen? Da kann ich dir nicht mehr folgen.
JC: Ich weiss auch nicht genau, was das bedeutet. Es ergibt keinen Sinn,
aber ich schaetze, genau darum geht es. Es ist eine Politik, die sich
selbst aufloesen wuerde. Irgendwie versuche ich das durch Bilder und
Diagramme deutlich zu machen. Es ist wie Lyotards Figur der Matrix - eine
"Form", die Wiederholungen errechnet, die letztendlich aber keine richtige
=46orm, sondern eine Art Antiform ist. Grundlegend koennte man sagen, wenn e=
s
einen Eros der Macht gibt, dann gibt es auch eine Politik dieses Eros.
RA: Die Erotik ist nicht nur der grosse Andere, sie ist auch die Variable
in der systematisierten Maschine. Wenn ich ueber die Rolle des Erotischen
in einem moeglichen elektronischen menschlichen System nachdenke, kommen
mir allerlei romantische Vorstellungen in den Sinn wie die "Liebe", die
Gesetze bricht und das Netzwerk kurzschliesst.
JC: Schoen gesagt! Kurzschliesst, aber auch neu vernetzt, auf eine
vielleicht nicht ganz funktionelle Art.
RA: Im Storyboard zu Trigger bezeichnest du den Soldaten als eine
integrierte Waffenplattform. Seit Anbeginn der Zeit versuchen Armeen, ihre
Soldaten durch Erweiterung ihrer Faehigkeiten effizienter zu machen - in
juengster Zeit mit elektronischen Waffen. Doch seit dem 11. September
erscheint Hightech eher als Schwaeche denn als Staerke. Schliesslich sind
die terroristischen Angriffe auf deinen Wohnort New York durch "Lowtech"
aber "High Concept" gekennzeichnet. Und das erwies sich als ausgesprochen
effizient. Hast du deine Ansichten zur integrierten Waffenplattform dadurch
in irgendeiner Form veraendert?
JC: In allen Bereichen des Militaers werden Anstrengungen unternommen, um
das menschliche Netzwerk enger mit dem Ruestungs- und Kampfnetzwerk zu
verknuepfen. Im "Land Warrior"-Programm der Armee beispielsweise, das sich
zurzeit noch in Entwicklung befindet, sind die Soldaten mit einem
Spezialhelm ausgeruestet, der es ihnen ermoeglicht, bei allen
Wetterbedingungen, Tag und Nacht und mit 360=B0-Rundumsicht zu sehen. Sie
sind an Kommunikationsnetzwerke angeschlossen und erhalten ueber ein
Helmdisplay Echtzeitinformationen, die vor ihrem Gesichtsfeld ablaufen. Das
Ziel ist eine effizientere, toedliche, vernetzte Kampfmaschine. Fast schon
ein "Borg", der Soldat als Teil eines "Bienenstock-Bewusstseins". Es gibt
sogar den militaerischen Begriff der "Schwaermer": kleine, wendige, hoch
mobile Soldatengruppen, bewaffnet mit einer Fuelle von Kommunikationsgeraet
und vernetzten Waffen und in direkter Verbindung mit schwerer
Luftunterstuetzung. In Afghanistan feuerten Soldaten Handlasergeraete auf
feindliche Ziele, die gleichzeitig von Flugzeugen aus mit lasergelenkten
Raketen beschossen wurden. Bodentruppen, Satellitensysteme, Flugzeuge und
Praezisionswaffen bilden einen nahtlosen Fluss, der von verschiedenen
Befehlszentralen aus gesteuert wird. Das ist der Soldat als integrierte
Waffenplattform. Ich glaube nicht, dass der 11. September etwas an dieser
Idee oder an dem unerschuetterlichen Glauben der USA an die Hochtechnologie
geaendert hat. Was sich dadurch geaendert hat, sind die Gruende, mit denen
wir verstaerkte Militaerpraesenz, und verstaerkte Polizeipraesenz ganz
allgemein, rechtfertigen - bis hin zu einer Art integrierter
UEberwachungsplattform. Die OEffentlichkeit ist derart veraengstigt, dass
die Machtinstanzen des Militaers, FBI und CIA, und diverse andere
UEberwachungs- und Kontrollbehoerden zunehmend ein Beduerfnis befriedigen.
Ich glaube kaum, dass die USA zugeben wuerde, dass Hochtechnologie in
irgendeiner Hinsicht eine Schwaeche darstellt. Es bedeutet einfach nur,
dass die Technologie noch nicht gut genug ist.
RA: Was ist mit "menschlichen Aufklaerern" alias Spionen? Wie in den Filmen
ueber den Zweiten Weltkrieg, wo sich Spione in dunkler Nacht auf Bruecken
treffen, die Lager der Gegenseite infiltrieren und unter Decknamen agieren.
Es scheint, als gaebe es mehr als genug Daten, aber nicht genuegend
menschliche Ressourcen, um all diese Daten auszuwerten.
JC: Ja, aber der Mensch ist dazu da, um in die Technologie eingespeisen zu
werden. Er ist ein Teil von ihr. Die menschliche Aufklaerung ist mit der
Maschine verbunden. Sie wird durch maschinelle Systeme weitergegeben. Der
Mensch wird zu einer notwendigen Komponente - er bleibt nie aussen vor.
Aber sein Wert besteht darin, fuer eine Integration mit den Aufklaerungs-
und Kommunikationssystemen anpassungsfaehig zu sein (und vice versa). Die
Technologie legt die Bedingungen fest, sie modifiziert die Faehigkeiten des
Menschen. Doch letztendlich ist Technologie nur eine Erfindung des
Menschen, sein verlaengerter Arm. Menschen, Maschinen und Kampfsysteme sind
untrennbar miteinander verbunden, und es ist nicht unbedingt klar, wo eine
Komponente aufhoert und die andere anfaengt. Du hast voellig Recht, wenn du
sagst, dass es nicht genuegend menschliche Ressourcen gibt, um die Daten zu
verarbeiten und auszuwerten. Doch wie lautet unsere Antwort darauf? Noch
mehr und noch bessere Maschinen zu bauen.
RA: Was waere die Grundlage fuer eine "integrierte Kontrollplattform"? An
Stelle von geladenen "Einzelagenten" haetten wir ...
JC: ... ehemals isolierte Datenbanksysteme in einem Netzwerkverbund.
Gemeinsame Schnittstellen, um Daten verschiedenen Aufklaerungs- und
UEberwachungsbehoerden moeglichst gleichzeitig zugaenglich zu machen,
wodurch das Misstrauen zwischen einzelnen Regierungsbehoerden, die
traditionell von einander abgeschirmt waren, schwinden wuerde. Neue
Allianzen zwischen Polizei, Militaer und der Industrie. Neue Kooperationen
zwischen verschiedenen Laendern, um Wissensdaten gemeinsam zu nutzen.
RA: Denkst du da an die Privatisierung des Militaers? Ist das
Sciencefiction, oder finden tatsaechlich Bemuehungen in diese Richtung
statt, die ueber die Traditionen der Miliz hinausgehen?
JC: Militaer und Industrie sind bereits sehr eng miteinander verwoben.
Ausserdem herrscht zwischen diesen beiden Sektoren eine starke symbiotische
Kraft, die es nicht gaebe, wenn sie vollstaendig ineinander aufgingen. Das
Militaer ist "Business" mit anderen Mitteln. Es muessen immer noch
Alternativmassnahmen bereit stehen. Wir werden von einem Kriegs- und
Arbeitsapparat gestuetzt. Im Arbeitsleben haben wir ein Werkzeug, im Krieg
eine Waffe.
RA: Um bei der Frage einer Integration von Polizei, Militaer und Industrie
zu bleiben: Was haette dies fuer Auswirkungen fuer die
Persoenlichkeitsrechte? Werden sie deiner Meinung nach obsolet? Dazu fallen
mir alle moeglichen Schlagworte ein wie "Neue Weltordnung",
"Globalisierung", "Kampf gegen den Terror" usw.
JC: Es hat im Internet so viele Diskussionen zum Recht auf Privatsphaere
gegeben, und es wurden zahlreiche Versuche unternommen, dieses ueberaus
dringliche Thema zum Politikum zu machen. Gleichzeitig haben einige Leute
versucht, die Scheidelinie zwischen 'privat' und 'oeffentlich' neu zu
formulieren, indem sie unter anderem vorschlugen, eine vereinheitlichte
Vorstellung von Privatsphaere durch eine heterogene wie "Intimitaetszonen"
zu ersetzen. Doch zumindest in den USA ist diese Diskussion erfolglos
geblieben, das Thema draengt nicht mehr. Die Leute sind bereit, auf
Privatsphaere zu verzichten, wenn es fuer sie ein groesseres Mass an
Bequemlichkeit, Zeitersparnis und Sicherheit bedeutet - gerade jetzt nach
dem 11. September. Die Sorge um Sicherheit laesst jede Sorge hinsichtlich
einer bedrohten Privatsphaere vergessen. Damit hat sich dieses strapazierte
Thema gewissermassen erledigt. Es muss daher dringend zum Politikum
erklaert werden, gerade in Anbetracht einer fehlenden Opposition zur
Ausweitung staatlicher Macht, die einzelne Buergerrechte bedrohen koennte.
Allerdings bedarf die Begrifflichkeit dieser Diskussion einer
UEberarbeitung. Der Ausdruck "Privatsphaere" muss differenziert werden: er
hat zu viele Facetten.
RA: Muss Privatsphaere neu definiert werden?
JC: Es geht darum, zu entscheiden, was unbedingt geschuetzt werden sollte
und wogegen. Das veraendert sich mit der Zeit und den wechselnden Kulturen,
es ist keine feste Groesse.
RA: Stellen wir uns ein Worst-Case-Szenario vor: In zwanzig Jahren ist
absolut alles vernetzt, es gibt keine Schlupfloecher mehr. Was dann? Kannst
du irgendwelche Voraussagen treffen, wie sich die Menschen verhalten
werden? In deiner Arbeit laden die verschiedenen Kameraperspektiven die
Atmosphaere auf. Glaubst du, das haette denselben Effekt auf den Alltag?
JC: Neue Ermittlungsmethoden werden immer mit neuen Taeuschungsmethoden
gekontert. Es ist ein ewiger Tanz zwischen den beiden Strategien. Ich halte
eine totale UEberwachung fuer unmoeglich. Es wird immer Dinge geben, die
unter dem Radar durchschluepfen. Im Kosovo-Krieg haben wir teure
praezisionsgelenkte Raketen auf billige Scheinpanzer abgefeuert. Genau wie
das serbische Militaer als strategischen Schachzug seinen Radar
abgeschaltet hat, um ihre Bodenstationen fuer die elektronische
Luftaufklaerung der NATO-Streitkraefte unkenntlich zu machen. Man kann
sogar beobachten, wie sich dieser Tanz zwischen Entdeckung und Taeuschung
in neuen Materialformen niederschlaegt. Das beste Beispiel ist die Form des
Tarnkappenbombers, der als eine Baureihe von Flachflugzeugen gebaut wurde,
um der feindlichen Radarerfassung zu entgehen. Wir selbst wollen alles
sehen und gleichzeitig der Entdeckung durch andere entgehen; und unsere
Gegner wollen genau dasselbe. Daher bewegt sich der Fortschritt in der
Ortungstechnologie weniger wie ein Vektor in eine Richtung, sondern eher
wie eine Matrix. Fortschritt verlaeuft in Matrizen des Entdeckens und
Entgehens unter aggressiven Akteuren, die jeweils versuchen, dem anderen
einen Schritt voraus zu sein. Daher interessiert es mich mehr, die
leistungsfaehigeren UEberwachungsformen plastisch darzustellen, als nur
daran zu denken, dass wir vor der totalen UEberwachung stehen. Mich
interessieren die genialen Methoden, die wir erdenken, um das Signal zu
stoeren. Es zu uebernehmen, es auf eine oft weiche und wogende und gar
nicht kantige Art umzuformen. Es ist viel ueber Voyeurismus geschrieben
worden, ueber die Erotik des Sehens. Doch mich interessiert viel mehr die
Erotik des Gesehenwerdens - von einem Beobachter, dessen man sich bewusst
ist - und die Frage, wie diese mit den Ermittlungsmethoden und der
Auflockerung der Aktionsfelder zusammenhaengt. Das Spielfeld ist oft nicht
dort, wo wir es erwarten, oder nicht den uns bekannten Codes gemaess
strukturiert. Trotz des exponentiellen Machtzuwachses der
UEberwachungstechnologie muessen wir letzten Endes noch immer wissen, wohin
wir schauen, und das ist der Raum, der von den Spielern staendig neu
formuliert wird.
RA: Kommen wir noch einmal zum klassischen Erzaehlkino zurueck. Jeder haelt
sich an die Regeln, aber die Liebe setzt sich darueber hinweg. In deiner
Arbeiten gibt es jedoch keine richtige "Geschichte", oder?
JC: Eigentlich nicht, obwohl sie eine gewisse erzaehlerische Zugkraft
besitzen und man alle moeglichen Geschichten in sie hinein interpretieren
kann. Doch ich hoffe, das zu verhindern, genau wie ich hoffe,
Gegensatzpaare wie Konstruktion/Anarchie oder Anziehung/Abstossung zu
verhindern. Meine Arbeiten sind wie Systeme aufgebaut, entlang der Linien
verschiedener Schaltkreisdiagramme und ich denke, sie haben eher eine
matrixartige Struktur, beinahe wie eine Datenbank. Doch ich muss zugeben,
dass Trigger fuer mich - auf einer gewissen Ebene - auch eine
Liebesgeschichte ist. Es ist ein Werben zwischen den beiden Akteuren,
zumindest in einer Datenbankrealitaet.
Januar 2002