[rohrpost] Interview mit Michael Hardt und Toni Negri
Alexis Waltz
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Sun, 17 Mar 2002 21:45:33 +0100
"Es herrscht noch zu wenig Globalisierung"
Ist Widerstand zwecklos? Toni Negri und Michael Hardt
=FCber ihre politische Theorie eines Imperiums im
Weltma=DFstab, das kein Au=DFen mehr kennt, =FCber das neue
Verh=E4ltnis von Markt und Politik, =FCber Alternativen im
System, die Kurzsichtigkeit rein lokalen Protests
sowie die Potenz der Vielen
Von MICHAEL BRAUN
taz: Herr Negri, Herr Hardt, Ihr gemeinsames Buch
"Imperium" wird viele Leser =FCberraschen, die sich
wom=F6glich eine Streitschrift mit dem Thema USA, ein
Pamphlet gegen die einzige verbliebene Weltmacht
erwartet haben =85
Toni Negri: Es geht mir mittlerweile auf die Nerven,
dass von unserem Buch behauptet wird, es sei nicht
antiamerikanisch. Es ist weder anti- noch
proamerikanisch. Wenn wir sagen, dass der Ort, von dem
die imperiale Herrschaft ausgeht, ein Nicht-Ort ist,
dass er eben kein Nationalstaat ist, dann darf diese
Negierung ihrerseits nicht in ein positives Urteil
umgedreht werden. Nat=FCrlich schlie=DFen wir keineswegs
aus, dass die Amerikaner Sachen anstellen, die mehr
als unsch=F6n sind.
Michael Hardt: Zum Antiamerikanismus ist zweierlei zu
sagen. Erstens tendiert er dahin, die USA komplett auf
einen Nenner zu bringen und damit zugleich auch die
positiven, demokratischen Traditionen des Landes zu
negieren. Andererseits aber tendiert er auch dahin,
gn=E4diges Schweigen =FCber andere M=E4chte auf dieser Welt
zu breiten. Unser Buch kann durchaus als
antiamerikanisch gelesen werden, aber es reicht eben
nicht, gegen die Vereinigten Staaten zu sein. Unser
Buch ist genauso antifranz=F6sisch, antiitalienisch,
antiindonesisch.
Imperium - das erinnert sofort an Imperialismus.
Dennoch dementieren Sie entschieden, die x-te
Imperialismustheorie vorgelegt zu haben.
Toni Negri: Der Imperialismus war ein Gesch=F6pf der
Nationalstaaten, und er bewegte sich entlang von
Freund-Feind-Definitionen, da es ja jeweils andere
Imperialismen gab, die opponierten. Nach innen lebte
der Imperialismus von der Verherrlichung der Tradition
der staatlichen Souver=E4nit=E4t, und nach au=DFen war er
eine Form des Exports von Macht, von Kultur, von
wirtschaftlichen Interessen, ein Export, der nat=FCrlich
den Anderen zerst=F6rte.
Der Imperialismus unterscheidet sich deshalb
grundlegend von der neuen Form der Macht, die sich als
ein Zusammen von Formen der Beherrschung darstellt.
Das Imperium begreift ein B=FCndel sehr
unterschiedlicher Herrschaftstechniken in seiner
"Governance" ein, in diesem kontinuierlichen Strom der
Herrschaft, die es =FCberall aus=FCbt. Es ist eine
dynamische Form, vor allem aber eine alles vereinende
Form, das kein Au=DFerhalb mehr kennt.
Was hei=DFt das - es gibt kein Au=DFerhalb mehr?
Michael Hardt: Es hei=DFt ganz gewiss nicht, dass das
Drinnen homogen verfasst w=E4re. Auch heute leben in der
Welt Differenzen fort, die genauso wichtig sind wie
fr=FCher, Differenzen in der Macht, im Reichtum usw.
Aber diese Differenzen sind heute im Inneren eines
Herrschaftssystems eingeschlossen.
Zugleich meinen wir mit der Aussage, es gebe kein
Au=DFerhalb mehr, ganz gewiss nicht, dass keine
Alternative mehr existiert. Aber die Alternative
entsteht aus dem Inneren des Imperiums heraus. Statt
eines Au=DFerhalb, das widersteht, haben wir heute ein
produktives Innerhalb. Widerstand ist heute kein
tauglicher Begriff mehr f=FCr die Schaffung einer
Alternative.
Toni Negri: Wir gehen dabei von einer Konzeption des
Seins aus, der Existenz. Und das ist keine Konzeption,
die auf das Elend des Seins abhebt, sondern auf seinen
Reichtum. Manche werfen uns zum Beispiel vor, dass wir
den Begriff des Exodus gebrauchen. Der habe doch gar
keinen Sinn mehr, wenn das Imperium kein Au=DFerhalb
mehr kennt. Das ist es ja eben: Gerade dann hat der
Exodus, haben die Wanderungen der Menschen eine neue
Potenz.
Das Gleiche gilt f=FCr die Befreiung: Es habe keinen
Sinn mehr, von ihr zu reden, wenn es kein Au=DFerhalb
mehr gebe. Wir meinen dagegen, dass die Befreiung die
Hervorbringung von etwas anderem, etwas M=E4chtigem im
Inneren dieses Rahmens ist. Wir verfolgen damit eine
Philosophie vollkommener Immanenz.
"Imperium" ist also kein "No Global"-Buch?
Toni Negri (lacht): Das kann man so sagen, wenn man
die Anf=FChrungsstrichelchen wegl=E4sst. Wir haben ein
Global-Buch geschrieben, aber es ist zugleich "No
Global", wenn wir mit dem Terminus die Bewegung der
Globalisierungskritiker meinen.
Auf jeden Fall aber beurteilen wir Formen des
lokalistischen Widerstands gegen die Globalisierung
als rein reaktiv; sie reagieren auf die Schaffung
dieser neuen Welt des Imperiums, ohne Auswege angeben
zu k=F6nnen, die hin zu mehr Freiheit f=FCr alle f=FChren.
Michael Hardt: Wir wollen unterstreichen, dass heute
nicht ein Zuviel, sondern ein Zuwenig an
Globalisierung existiert. Die heutige Globalisierung
st=F6=DFt an enge Grenzen. Man muss die Macht
globalisieren, den Reichtum, die
Bewegungsm=F6glichkeiten f=FCr die Arbeitskr=E4fte.
Globalisierung allein hei=DFt eben gar nichts. Nat=FCrlich
sind wir gegen die aktuelle Form der Globalisierung,
aber auch gegen eine lokalistische oder
nationalistische Linke, die argumentiert, man m=FCsse
einem global agierenden Kapital lokalen Widerstand
entgegensetzen oder man m=FCsse gegen ein die nationale
Souver=E4nit=E4t zersetzendes Kapital die Nation
verteidigen.
Sie beanspruchen mit Ihrem Buch, Globalisierung nicht
blo=DF auf der Oberfl=E4che zu beschreiben, sondern auch
die letztlich f=FCr die heutigen Ver=E4nderungen
konstitutiven Formen der Produktion und der
Reproduktion zu erfassen. Zwei Begriffe, die dabei
immer wieder auftauchen, sind "Bio-Politik" und "Bio-
Macht".
Toni Negri: Die Globalisierung, verstanden als reine
Ausdehnung der M=E4rkte, ist so alt wie der
Kapitalismus. Das vollkommen neue Element unseres
Buches - das uns auch viel Kritik einhandelt, da wir
angeblich zu wenig von der =D6konomie reden - ist die
These, dass es den Markt ohne die Politik nicht gibt,
dass beide im Gleichklang marschieren. Das galt
fr=FCher, als sie sich parallel bewegten, als zwei
gegen=FCber anscheinend externe Gr=F6=DFen.
Aber zunehmend hat die kapitalistische Entwicklung zu
einer weitgehenden gegenseitigen Durchdringung
zwischen den Elementen politischer Lenkung und den
konstitutiven Elementen des Marktes gef=FChrt. Und
dieses Gemisch betrifft zunehmend nicht nur die
Individuen, die nicht mehr blo=DF diszipliniert werden,
sondern die Bev=F6lkerungen, die sich als Akteure des
Produktions- wie des Reproduktionsprozesses
umfassender Kontrolle unterworfen sehen.
Hinzu tritt ein weiteres zentrales Element: Die
Unterscheidung zwischen dem Arbeitstag - den acht der
Produktion gewidmeten Stunden - und dem Leben - sprich
den anderen 16 Stunden -l=F6st sich zunehmend auf. Auch
hier gibt es kein Au=DFerhalb mehr, und dies meinen wir
mit Bio-Politik: Die Unterscheidung zwischen
Produktion und Leben verschwindet.
So wie Sie das kapitalistische System in ver=E4nderten
Termini beschreiben, so f=FChren Sie einen neuen
Terminus f=FCr die Kraft der Ver=E4nderung ein. Manchmal
noch taucht der Begriff "Proletariat" auf, meist aber
reden Sie von "Vielheit" "multitude". Wer ist das?
Michael Hardt: Wenn wir Proletariat in weitem Sinne
auffassen - als alle die, die arbeiten - dann sind wir
bei der Vielheit. Ich m=F6chte die Wahl dieses Begriffs
aber auch aus amerikanischer Sicht erkl=E4ren.
Sp=E4testens seit den Achtzigerjahren haben wir mit zwei
Formen politischer Organisation zu tun. Die eine
basiert auf einer umfassenden Identit=E4t; das sind vor
allem die unitarisch oder hierarchisch verfassten
Parteien. Die andere, seit den Achtzigern entstandene
Organisationsform basiert dagegen auf der Politik der
Differenz, will jeder Gruppe ihren spezifischen
Ausdruck verschaffen.
Diese Alternative zwischen Identit=E4t und Differenz ist
unserer Meinung nach eine Sackgasse. Wir wollen dieser
Alternative mit dem Begriff der "Vielheit" ausweichen:
das ist die Vielfalt, die zu gemeinsamem Handeln
findet. Eben dies tun meines Erachtens die Bewegungen
nach Seattle. Sie organisieren sich in dieser Weise
und entfliehen der Alternative Identit=E4t-Differenz.
Toni Negri: In Italien ist in vielen St=E4dten ein
"Social Forum" entstanden; da finden jeweils ganz
unterschiedliche Identit=E4ten zusammen. Wir finden
Gewerkschafter, Vertreter der Arbeiterklasse also,
neben Umweltgruppen, neben Gruppen, die gegen die
Ausl=E4ndergesetzgebung k=E4mpfen, und so weiter.
Aber wir haben "Vielheit" noch aus einem weiteren
Grund gew=E4hlt. Traditionell steht "Proletariat" f=FCr
die Klasse der Ausgeschlossenen, wir dagegen wollen
die Potenz der Vielen unterstreichen. Die Vielen
verm=F6gen sehr viel, auch wenn sie materiell wom=F6glich
=E4u=DFerst arm sind, schlicht weil sie in die bio-
politischen Mechanismen der Reproduktion der Welt
eingebunden sind. Deshalb sehen wir den =DCberfluss, den
Reichtum an Imagination, an Gef=FChl, an F=E4higkeit sich
zu bewegen - das ist f=FCr uns ein erstrangiges Element.
Vielen werden die Schlusskapitel des Buchs, in denen
Sie die Szenarien der Ver=E4nderung darlegen, recht
utopisch erscheinen. Meinen Sie nicht?
Michael Hardt: Zun=E4chst einmal ist es sehr positiv,
dass die Linke wieder beginnt, utopisch zu denken -
sprich zu denken, dass eine Alternative m=F6glich ist -
und die existenten M=F6glichkeiten zu erblicken, statt
in der Welt immer nur die gegen uns ausge=FCbte
=DCbermacht aufzusp=FCren und sich dann zu arrangieren.
Toni Negri: Unser Buch ist alles andere als utopisch -
die Vorschl=E4ge, die wir machen, sind mehr als
realistisch.
Wenn wir zum Beispiel von der Notwendigkeit eines
universellen B=FCrgerrechts reden, verweisen wir auf das
Fl=FCchtlingsdrama, das sich in den Meeren rund um
Italien abspielt. Wenn wir ein gesellschaftliches
Grundeinkommen fordern, dann sprechen wir ganz einfach
von der verbreiteten Arbeitslosigkeit und von den
kontinuierlichen Versuchen, die Arbeitskosten zu
dr=FCcken, gegen das alte, dreckige Spiel des Kapitals,
die Leute auf ein Hungerniveau runterzubringen. Und
wenn wir davon reden, dass das Eigentum immer mehr zu
einer gemeinschaftlichen Angelegenheit wird und dass
wir es uns in seinen neuen Formen wieder aneignen
m=FCssen, dann reden wir von etwas, das auch dem
Internetnutzer jeden Tag pr=E4sent ist.
Das alles hat mit Utopie nichts zu tun - lassen Sie
uns die Zeit f=FCr unser n=E4chstes Buch, um dann unsere
Utopie zu Papier zu bringen.
die tageszeitung Nr. 6703 vom 18.3.2002, Seite 15
http://www.taz.de/pt/2002/03/18/a0147.nf/text