[rohrpost] SZ über geplantes Medien
kunstzentrum in München
Florian Cramer
cantsin@zedat.fu-berlin.de
Thu, 18 Jul 2002 11:43:46 +0200
Aus der heutigen SZ:
Ora et Labor Gefangen im Medienkunstnetz: Wie Kulturreferentin Lydia
Hartl sich die Zukunft Münchens als Kunst-Metropole vorstellt
Es war einmal ... die Medienkunst. Was das eigentlich ist, wusste
am Anfang niemand so recht. Als "Medien" galten damals, also in
den Sechzigern, vor allem die magischen Kanäle des Fernsehens und
ihre Manipulationsstrategie, die auch prompt zur Zielscheibe einer
vornehmlich medienkritischen Kunst avancierte. Diese, alarmiert von
der vermeintlich drohenden Übermacht medialer Weltzurichtungsmodelle,
machte selbst vor der Zerstörung von Hardware nicht Halt. Nam
June Paiks "TV Buddha", der gelähmt auf eine brennende Kerze in
einer ausgehöhlten Bildschirmruine starrte, wurde zum Sinnbild
einer Generation von Verschwörungstheoretikern, die tagsüber die
Springer-Presse geißelten und sich abends doch vor dem Empfangsgerät
versammelten, um in der "Tagesschau" das Neueste über den Vietnamkrieg
zu erfahren.
Inzwischen sind wir etwas weiter. "Medienkunst", dieser seltsame
Hybrid aus einer Utopie vom besseren Leben, künstlerischer Kritik an
den herrschenden Verhältnissen und verkabelten Apparaten, der immer
wieder den gleichen Raum zwischen Kamera, Monitor und Betrachter
definiert, dient mittlerweile als Zulieferbetrieb für die IT-Branche
und wird als "wirtschaftliches Innovationsinstrument" gefeiert. So
steht es zumindest im "Konzept zur Förderung der Medienkunst in
München - Lab21. Labor für digitale Kunst und Kultur, München",
das Lydia Hartl heute im Münchner Kulturausschuss vorstellt. Die
Münchner Kulturreferentin hat ihre Vision von einer Neugeburt der
Stadt als Zentrum der Medienkunst zum Hauptanliegen ihrer Amtszeit
gemacht: Monatelang wollte sie sich nicht in die Karten blicken lassen,
verschob Details ihres großspurig angekündigten Konzepts immer wieder
nach hinten und ließ so die Erwartungen ins Unermessliche wachsen.
Nun hat der Berg gekreißt ... und eine Maus geboren, so klein und
mickerig, dass sie kaum Überlebenschancen haben dürfte. Atemlos
hetzt Hartl, die durch besondere Kommunikationsfreudigkeit bislang
nicht aufgefallen war, von einem Modeschlagwort der frühen Neunziger
zum nächsten, verschaltet "poetische Interfaces", "Spin-Offs",
"interaktive Environments" und "Cluster" zu einem euphorisch klingenden
Worthülsennetzwerk und strebt dabei nichts Geringeres an als ein
"weltweites Novum": ein "profiliertes Produktionslabor und Think Tank"
im neuen "Medienkunstnetz" München.
Das klingt vermessen - und ist es auch. Zunächst einmal geht es bei
"Lab21" um die Behebung eines tatsächlichen Mangels: des Fehlens einer
übergreifenden Infrastruktur in der IT- und Software-Stadt München für
zeitgenössische ästhetische Produktionen, die nicht mehr mimetisch,
also rein abbildend strukturiert sind, sondern selbstreflexiv - indem
sie die analogen oder digitalen Visualisierungstechniken, derer sie
sich bedienen, gleichzeitig zum Thema und zum Medium ihrer Arbeit
machen. Die Orte, an denen in München vornehmlich Medienkunst gezeigt
wird, sind bislang über die Stadt verstreut: das Literaturhaus,
der vielfach bespielbare Raum "lothringer 13", die "t-u-b- e" im
Einstein-Kulturzentrum oder etwa das "i-camp" im Neuen Theater. Das
mag so in Ordnung sein oder auch nicht - eine zentrale Instanz
wie etwa das Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe
oder die Kunsthochschule für Medien in Köln fehlt jedenfalls in der
Stadt, die doch so viel auf ihre Medienunternehmen hält - 11500 sind
es insgesamt -, deren Umsätze, bezogen auf den Großraum München,
bundesweit an der Spitze liegen.
Dass Hartl hier Abhilfe schaffen will - mit großzügiger Unterstützung
sowohl der Münchner Rückversicherung, die einen Kubus in der Nähe
der Pinakotheken kostenlos zur Verfügung stellen will, als auch
der Media Arts and Research Studies am Fraunhofer Institut für
Medienkommunikation bei Bonn, die eine Internetplattform und die
neue Leiterin sozusagen frei Haus zu liefern beabsichtigen -, dass
dies alles initiiert werden soll, ist an sich lobenswert. "Lab21"
soll Medienkunst fördern und archivieren, Forschungen und Lehre
im Bereich der digitalen Kultur und Informatik ermöglichen
und vor allem "marktfähige Produkte" entwickeln. Da aber liegt
der Hase im Pfeffer. Denn Hartl achtet deshalb so genau auf die
Wirtschaftlichkeit ihres Lieblingsprojektes, weil es in einer Zeit
drastischer Kürzungen vorgestellt wird. Für das Restjahr 2002 sind
für das "Lab21" 105000 Euro, für die Folgejahre bis 2005 jährlich
350000 Euro veranschlagt. Der Stadtkämmerer will diese Ausgaben
nicht bewilligen. Nun soll es der Kulturausschuss heute richten -
Oberbürgermeister Christian Ude will seine glücklose Referentin in
jedem Fall halten. Hartl beabsichtigt, auch im Falle eines Scheiterns
ihrer Finanzierungspläne am kommenden Mittwoch vor den Stadtrat zu
treten - und einen Showdown zu riskieren, der auch Ude beschädigen
könnte.
Bevor es so weit kommt, lohnt es sich, Hartls Konzept noch einmal
genauer in Augenschein zu nehmen. Erstens wird die Medienkunst
in München kaum je gedeihen können, wenn sie immer nur als
Vorstufe des corporate designs verstanden wird, statt etwa in ihren
politische Dimensionen erkannt zu werden. Zweitens wagt es Hartl, das
renommierte Karlsruher ZKM, die wichtigste Instanz für Archivierung von
Medienkunst, als "obsolet" zu bezeichnen - bald gebe es ja das "Lab21".
Ein krasses Fehlurteil. Und drittens - hier schließt sich der Kreis
- muss sie sich erst einmal darüber klar werden, wie sie eigentlich
"Medienkunst" zu definieren gedenkt: Als "neueste Entwicklung" hat
Hartl die "sog. Netzkunst" ausgemacht, also Kunst, die im Internet
entsteht. Die aber spielt schon seit Jahren kaum mehr eine prägnante
Rolle in der Kunst.
HOLGER
LIEBS
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