[rohrpost] Re: SMS-Encounters

Krystian Woznicki krystian@snafu.de
Tue, 22 Jan 2002 12:23:00 +0100


Hi,

vielleicht hilft es weiter, wenn ich auf unser Konzept verweise,
denn darin werden einige Deiner Fragen behandelt.

Hier ein Auszug:

Inzwischen sind nicht nur =E4ltere Generationen von der SMS-Leidenschaft
ergriffen, wie Marktforscher der Mobilfunkanbieter vermelden. Seit Ende des
vergangenen Jahrzehnts wird auch die Frage aufgeworfen, ob die von
technischen Normen bestimmte Reduktion der SMS auf 160 Anschl=E4ge zum
literarischen Stilph=E4nomen werden k=F6nne: Anfang 2001 wurde ein=
 j=E4hrlicher
Literaturwettbewerb des D=FCsseldorfer Uzzi Verlages ausgerufen, der sich
einfach nur "160 Zeichen" nennt; der Literaturkritiker Andreas Bernard
versuchte das Ph=E4nomen des SMS-Stils historisch einzuordnen und k=FCndigte
eine Renaissance des so genannten "Telegrammstils" an:

 >>In ihrer notwendigen Verdichtung der Sprache, in ihrem parataktischen
Lakonismus erinnern die 160-Zeichen-Texte deutlich an ein vergessenes
Medium, das die Geschichte der Literatur wie kaum ein anderes beeinflu=DFte:
die Telegraphie. Am Ende des 19. Jahrhunderts offenbarte sich in der
Bezeichnung >Telegrammstil< - von im- bzw. expressionistischen Lyrikern
genauso wie von Friedrich Nietzsche zur Charakterisierung des eigenen
Schreibens gebraucht - die untrennbare Verkn=FCpfung von Medientechnologie
und Literatur.<<

SMS als Stil? SMS als literarische Gattung? War die Novelle nicht auch
einmal eine Antwort auf den Neuigkeitendurst eines literarischen Publikums?
Spiegelt die SMS also den fragmentarischen Kommunikationsalltag der
Endneunzigerjahre so wie fr=FCher einmal der b=FCrgerliche Roman das
Kontinuit=E4ts- und Ganzheitsgef=FChl einer ganzen sozialen Schicht? Wird=
 aus
SMS die Lyrik der E-Speed-Kultur? Hat die Parzellierung gesellschaftlicher
Kommunikationsr=E4ume eine strukturelle Analogie im Neo-Telegrammstil=
 gefunden?

Zu bedenken ist, dass es sich bei dem momentanen Massenph=E4nomen SMS um=
 Text
handelt, der unver=F6ffentlicht bleibt, nicht archiviert wird und daher
hochgradig ephemer ist. Dar=FCber hinaus werden viele der zwei Milliarden
SMS-Nachrichten, die in Deutschland monatlich verfa=DFt werden, an
=F6ffentlichen Orten produziert, zumeist aber privat adressiert und gelesen.
Es handelt sich also um =93Literatur=94 zwischen zwei Personen. Wann und auf
welchem Weg aus dieser dichterischen Gewohnheits=FCbung der Massen Literatur
werden kann, ist erst noch zu kl=E4ren - die Rhetorik des kurzen und=
 b=FCndigen
Mediums ist zumindest ihren Urspr=FCngen nach demokratisch. Doch wird das
Ph=E4nomen auch demokratisch enden?

Willkommen im elektronischen Kurznachrichtensystem

Zehn Prozent seines Umsatzes bezieht der gr=F6=DFte deutsche=
 Mobilfunkanbieter
aus SMS und das Ziel der Industrie ist nicht Literatur f=FCr alle, sondern
die Ausweitung der mobilen Dienste. Textbasierte Handy-Spiele zum Beispiel
sind eine Vor=FCbung f=FCr das Lesen von komponierten SMS-Texten. Die
"Text-Adventures" machen aber auch die =F6konomischen Rahmenbedingungen
sichtbar: Zum einen l=E4uft nichts ohne ein entsprechendes Abo, zum anderen
bereiten sie den Leser auf den so genannten M-Commerce vor; Text-Adventures
sind die Einstiegsdroge fuer das mobilfunkgest=FCtzte Internet.

Neben dieser fortschreitenden Kommerzialisierung der SMS, die an die
Vereinnahmung textbasierter Medien des fr=FChen Internets erinnert, zeichnet
sich ein Trend ab, die SMS mit traditionelleren Medien zu verkn=FCpfen.
Kultur- und Medienproduzenten experimentieren mit dem privaten Medium, um
es als Eingabeinstrument f=FCr =F6ffentliche Sendeformen zu benutzen.
Handy-User bekommen so das Gef=FChl, einen direkten Zugang zur=
 =D6ffentlichkeit
in der Hand zu haben.

Handelt es sich dabei nur um einen Dienst am Marketing? Schliesslich hatten
auch die Online-Dienste, als es dem WorldWideWeb an Inhalten mangelte, mit
Hinweisen auf Netzkunst Kunden geworben. Oder erh=E4lt die SMS unbemerkt
politische Relevanz? Nicht nur, dass der Afghanistan-Krieg bereits die
Truppenbetreuung durch SMS hervorgebracht hat. Seit geraumer Zeit nimmt
sogar ein halb-=F6ffentliches Kommunikationsnetz vage Konturen an.

Alles weitere bei <Nachrichten> unter www.berlinergazette.de

Viele Gruesse,

Krystian

- http://www.berlinergazette.de
- http://www.tonspion.de/tv_digital07.php3


At 10:59 22.01.02 +0100, you wrote:
 >mich wuerde interessieren, wie das nun mit dieser neuen theoriemode=
 laeuft.
 >nach dem selben schema wie beim internet: das ist so super und ueberhaupt=
 die
 >zukunft der demokratie etc? um dann in zwei jahren enttaeuscht=
 festzustellen,
 >war leider nichts. so als ideologische unterfuetterung des mcommerce?
 >affirmativer geht's nimmer?
 >
 >die versteigerung der umts-lizenzen legt beispielsweise auch wirklich=
 nahe,
 >dass die grossen konzerne schon sehr bald ihre "redaktionelle macht=
 abgeben"
 >werden.
 >
 >"Open-Source-Projekte f=FCr dritte Generationsserver", wo "vielleicht auch=
 die
 >Kommunikation selber .. aus den H=E4nden von Vodafone .. genommen wird"??
 >
 >auch sehr wahrscheinlich. vermutlich mit open-source sendemasten, die auf=
 der
 >ganzen welt von fleissigen idealisten betrieben werden, waehrend konzerne=
 und
 >regierungen dabei zuschauen ...
 >
 >hoppala, das ist wohl schon wieder die klage der 68er-generation. das=
 wollte
 >ich nun wirklich nicht
 >
 >ciao
 >oliver