[rohrpost] FW: [attac-d] Amerikas Selbstbetrug (aus der FAZ!!!)
Thomas Mank
thomas.mank@herzfleisch.de
Sun, 16 Sep 2001 15:39:10 +0200
Liebe Gr=FCsse,
Thomas Mank
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> Von: "Immoseek" <immoseek@gmx.net>
> Antworten an: "Immoseek" <immoseek@gmx.net>
> Datum: Sun, 16 Sep 2001 13:03:10 +0200
> An: <attac-d@attac-netzwerk.de>
> Betreff: [attac-d] Amerikas Selbstbetrug (aus der FAZ!!!)
>=20
> Eine Nachricht der Mailingliste des ATTAC-Netzwerks
> zur demokratischen Kontrolle der Finanzmaerkte
> --
>=20
> "Unsere St=E4rke wird uns nicht helfen" - Susan Sontag =FCber Amerikas
> Selbstbetrug
>=20
> Amerika unter Schock: Die falsche Einstimmigkeit der Kommentare / Von Sus=
an
> Sontag
>=20
>=20
> Als entsetzter und trauriger Amerikanerin und New Yorkerin scheint es mir=
,
> als sei Amerika niemals weiter von der Wirklichkeit entfernt gewesen als =
am
> letzten Dienstag, dem Tag, an dem ein =DCberma=DF an Wirklichkeit auf uns
> einst=FCrzte. Das Mi=DFverh=E4ltnis zwischen den Ereignissen und der Art und
> Weise, wie sie aufgenommen und verarbeitet wurden, auf der einen Seite un=
d
> dem selbstgerechten Bl=F6dsinn und den dreisten T=E4uschungen praktisch aller
> Politiker (mit Ausnahme von B=FCrgermeister Giuliani) und Fernsehkommentato=
ren
> (ausgenommen Peter Jennings) auf der anderen Seite, ist alarmierend und
> deprimierend. Die Stimmen, die zust=E4ndig sind, wenn es gilt, ein solches
> Ereignis zu kommentieren, schienen sich zu einer Kampagne verschworen zu
> haben. Ihr Ziel: die =D6ffentlichkeit noch mehr zu verdummen.
>=20
> Wo ist das Eingest=E4ndnis, da=DF es sich nicht um einen "feigen" Angriff auf
> die "Zivilisation", die "Freiheit", die "Menschlichkeit" oder die "freie
> Welt" gehandelt hat, sondern um einen Angriff auf die Vereinigten Staaten=
,
> die einzige selbsternannte Supermacht der Welt; um einen Angriff, der als
> Konsequenz der Politik, Interessen und Handlungen der Vereinigten Staaten
> unternommen wurde? Wie vielen Amerikanern ist bewu=DFt, da=DF die Amerikaner
> immer noch Bomben auf den Irak werfen? Und wenn man das Wort "feige" in d=
en
> Mund nimmt, dann sollte es besser auf jene angewandt werden, die
> Vergeltungsschl=E4ge aus dem Himmel ausf=FChren, und nicht auf jene, die bere=
it
> sind, selbst zu sterben, um andere zu t=F6ten. Wenn wir von Mut sprechen, d=
er
> einzigen moralisch neutralen Tugend, dann kann man den Attent=E4tern - was
> immer sonst auch =FCber sie zu sagen w=E4re - eines nicht vorwerfen: da=DF sie
> Feiglinge seien.
>=20
> Unsere politische F=FChrung redet uns entschlossen ein, alles sei in Ordnun=
g.
> Amerika f=FCrchtet sich nicht. Unser Geist ist ungebrochen. "Sie" werden
> aufgesp=FCrt und bestraft werden (wer immer "sie" sind). Wir haben einen
> Pr=E4sidenten, der uns wie ein Roboter immer wieder versichert, da=DF Amerika
> nach wie vor aufrecht steht. Von vielen Personen des =F6ffentlichen Lebens,
> die die Au=DFenpolitik der Regierung Bush noch vor kurzem heftig kritisiert
> haben, ist jetzt nur noch eines zu h=F6ren: da=DF sie, gemeinsam mit dem
> gesamten amerikanischen Volk, vereint und furchtlos hinter dem Pr=E4sidente=
n
> stehen. Die Kommentatoren berichten, da=DF man sich in psychologischen Zent=
ren
> um die Trauernden k=FCmmert. Nat=FCrlich werden uns keine gr=E4=DFlichen Bilder
> davon gezeigt, was den Menschen zugesto=DFen ist, die im World Trade Center
> gearbeitet haben. Solche Bilder k=F6nnten uns ja entmutigen. Erst zwei Tage
> sp=E4ter, am Donnerstag (auch hier bildete B=FCrgermeister Guiliani wieder ei=
ne
> Ausnahme), wurden erste =F6ffentliche Sch=E4tzungen =FCber die Zahl der Opfer
> gewagt.
>=20
> Es ist uns gesagt worden, da=DF alles in Ordnung ist oder zumindest wieder =
in
> Ordnung kommen wird, obwohl der Dienstag als Tag der Niedertracht in die
> Geschichte eingehen wird und Amerika sich nun im Krieg befindet. Nichts i=
st
> in Ordnung. Und nichts hat dieses Ereignis mit Pearl Harbor gemein. Es wi=
rd
> sehr gr=FCndlich nachgedacht werden m=FCssen - und vielleicht hat man ja dami=
t
> in Washington und anderswo schon begonnen - =FCber das kolossale Versagen d=
er
> amerikanischen Geheimdienste, die Zukunft der amerikanischen Politik
> besonders im Nahen Osten und =FCber vern=FCnftige milit=E4rische
> Verteidigungsprogramme f=FCr dieses Land. Es ist aber klar zu erkennen, da=DF
> unsere F=FChrer - jene, die im Amt sind; jene, die ein Amt begehren; jene, =
die
> einmal im Amt waren - sich mit der willf=E4hrigen Unterst=FCtzung der Medien
> dazu entschlossen haben, der =D6ffentlichkeit nicht zuviel Wirklichkeit
> zuzumuten. Fr=FCher haben wir die einstimmig beklatschten und selbstgerecht=
en
> Platit=FCden sowjetischer Parteitage verachtet. Die Einstimmigkeit der
> fr=F6mmlerischen, realit=E4tsverzerrenden Rhetorik fast aller Politiker und
> Kommentatoren in den Medien in diesen letzten Tagen ist einer Demokratie
> unw=FCrdig.
>=20
> Unsere politischen H=E4upter haben uns auch wissen lassen, da=DF sie ihre
> Aufgabe als Auftrag zur Manipulation begreifen: Vertrauensbildung und
> Management von Trauer und Leid. Politik, die Politik einer Demokratie - d=
ie
> Uneinigkeit und Widerspruch zur Folge hat und Offenheit f=F6rdert, ist durc=
h
> Psychotherapie abgel=F6st worden. La=DFt uns gemeinsam trauern. Aber la=DFt nic=
ht
> zu, da=DF wir uns gemeinsam der Dummheit ergeben. Ein K=F6rnchen historischen
> Bewu=DFtseins k=F6nnte uns dabei helfen, das Geschehene und das Kommende zu
> verstehen. "Unser Land ist stark", wird uns wieder und wieder gesagt. Ich
> finde dies nicht unbedingt tr=F6stlich. Wer k=F6nnte bezweifeln, da=DF Amerika
> stark ist? Aber St=E4rke ist nicht alles, was Amerika jetzt zeigen mu=DF.
>=20
> Aus dem Amerikanischen von Julika Griem.
>=20
> Die amerikanische Schriftstellerin Susan Sontag, Jahrgang 1933, wurde dur=
ch
> ihre Essaysammlung "Against Interpretation" (1966) bekannt. Im letzten Ja=
hr
> erschien ihr Roman "In America". Sie geh=F6rt derzeit zu den G=E4sten der
> American Academy in Berlin, wo sie sich am 11. September aufhielt. W=E4hren=
d
> sie auf die M=F6glichkeit, nach New York zur=FCckzureisen, wartet, hat sie ih=
re
> Eindr=FCcke zusammengefa=DFt.
>=20
> Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.09.2001, Nr. 215 / Seite 45
>=20
>=20
> --
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