[rohrpost] Die Nachrichten, lesbar [sorry]
mv
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Wed, 12 Sep 2001 06:20:01 +0200
Die Nachrichten
Zu Beginn der Ausschusssitzung wurde zunaechst gar nicht nach den
Fluegen gefragt, sondern nach dem Mazedonieneinsatz. Jetzt kocht die
Geruechtekueche ueber. Es hat eine Stunde gedauert, doch nun brodelt
es in den Newsgroups. "Das deutsche Volk steht in dieser schweren
Stunde an der Seite der Vereinigten Staaten von Amerika", schrieb
Schroeder. Zahlreiche Diskutanten rufen nach Krieg. Man wisse zwar
nicht, wer die Taeter seien, aber das Attentat haette die USA als
Freunde Israels getroffen, wurde argumentiert. Nur Hollywood wusste es
besser, seine Produzenten, seine Drehbuchautoren. "Die Freiheit selbst
wurde heute Morgen von einem gesichtslosen Feigling angegriffen, und
die Freiheit wird verteidigt werden." Vor laufenden Fernsehkameras,
vor den Augen von vielen hundert Millionen Menschen, hat eine
ungeheuerliche und extrem skrupellose Terrororganisation die
Supermacht USA direkt und in ihrem Herzen angegriffen. "Diese
barbarischen Akte stellen eine nicht zu tolerierende Aggression gegen
die Demokratie dar und unterstreichen die Notwendigkeit, dass die
internationale Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten der Allianz ihre
Kraefte vereinigen, um die Geissel des Terrorismus zu bekaempfen."
Sprecher Rainer Kueppers sagte am Dienstag in Muenchen, die
Schadenslast der Anschlagswelle in den USA koenne fuer die Muenchener
Rueck erheblich sein. Er hatte das Geschehen am Fernsehbildschirm
verfolgt. Lichtblick: Die OPEC verspricht stabile Oelpreise. Im
Libanon schossen radikale Palaestinenser dagegen Freudensalven in die
Luft. Die Eroeffnung des Juedischen Museums sollte jedoch wie geplant
am Abend stattfinden. Fuer die zigtausend Mitarbeiter der zahlreichen
amerikanischen Sicherheitsdienste hat sich etwas ereignet, das in
ihren Augen eigentlich voellig unmoeglich war. Die Webcams sind
offline, die Chatraeume leer. Auch AmyKathren hat nur den Fernseher,
das Radio. "Das Pentagon soll brennen", sagt sie. "Welches Volk auch
immer dafuer verantwortlich ist", schreibt ein Diskutant, "sollte in
Grund und Boden gebombt werden!" Die Frage, welche fanatischen Hirne
hinter dieser barbarischen Terrorwelle stecken, ist noch nicht
beantwortet. "Es besteht kein Zweifel daran: Die Vereinigten Staaten
werden die, die fuer diese feigen Taten verantwortlich sind, zur
Strecke bringen und bestrafen." Doch noch ist nicht klar, ob die USA
zurueckschlagen werden - und gegen wen. Wahrscheinlich haben sie das,
wenn diese Zeitung ausgeliefert ist, bereits getan. Der
Vergeltungsschlag kann schon bald beginnen. Auch der ehemalige
US-Aussenminister Henry Kissinger forderte waehrend seines
Berlin-Besuchs eine konsequente Vergeltungsaktion. Er sei bei seinem
Besuch in Mazedonien am 30. August von Journalisten mit
Pressemeldungen konfrontiert worden, in denen bereits der Weg der
Soldaten nach Mazedonien geschildert worden sei. Die Pressekonferenz
erfolgte auch vor dem Hintergrund, dass Afghanistan fuerchtet, Ziel
eines schnellen US-Vergeltungsschlags zu werden. Auch die aegyptische
Regierungszeitung "El Ahram" mahnte Ende August, dass der
israelisch-arabische Konflikt zu einem "umfassenden und
gefaehrlicheren US-arabischen Konflikt" geworden sei. "Es ist Zeit,
die Palaestinenser aus Jerusalem herauszuwerfen. Sofort." Schreibt
einer - und faellt damit als moderate Stimme auf. Der franzoesische
Praesident Jacques Chirac hielt am Abend eine kurze Fernsehansprache,
um Aengste zu beruhigen. "Ich gebe alle Auskuenfte, um die man mich
bittet." Vor wenigen Minuten noch habe er mit einer Frau gesprochen,
die den Einschlag des zweiten Flugzeuges habe sehen koennen. "Gott
segne Amerika." Ein Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Aussenwirtschaft
der Deutschen Wirtschaft sagte, drei deutsche Firmen seien in den
beiden Buerotuermen untergebracht gewesen. Die Namen der Firmen
wuerden aber zunaechst nicht bekannt gegeben. "Ein Land, dass diesen
Schurken Unterschlupf gewaehrt, traegt auch einen entsprechenden
Anteil an der Verantwortung." Verteidigungsminister Rudolf Scharping
hat im Verteidigungsausschuss eine Liste seiner saemtlichen 349
Flugreisen seit seinem Amtsantritt vorgelegt. "Europaeer, die USA und
alle friedliebenden Menschen der Welt halten zusammen und verurteilen
und widerstehen dem Terrorismus mit aller Kraft." Das Auswaertige Amt
hat eine Hotline eingerichtet: 01888/174600. Der Euro stieg
unmittelbar nach den Anschlaegen zwischenzeitlich um bis zu einen Cent
auf ueber 0,91 Dollar. "Hier geht das Menschliche vor", sagte der
Sprecher. CDU und CSU sowie FDP und PDS hielten an ihren Forderungen
fest, dass Scharping zuruecktreten muesse. Die UNO und Holland mahnen
dagegen vor Ueberreaktionen. Die Grenzen zu Aegypten und Jordanien
wurden geschlossen. Die Staaten muessten zudem besser bei der
Umsetzung von Anti-Terror-Vertraegen kooperieren. Die London Stock
Exchange wurde evakuiert, der Handel aber fortgesetzt. Innensenator
Ehrhart Koerting wollte den Regierenden Buergermeister Klaus Wowereit
(beide SPD) und die Kabinettsmitglieder darueber informieren, wie die
innere Sicherheit in der Stadt zu gewaehrleisten ist. Das Land muesse
wachsam sein und ruhig die Lage eroertern. Derweil tobt in den
Newsrooms der Ruf nach Rache. "Unsere Armee zu Hause und in der ganzen
Welt steht in hoher Alarmbereitschaft, und wir haben die noetigen
Sicherheitsmassnahmen getroffen, um die weitere Funktionsfaehigkeit
Ihrer Regierung sicher zu stellen." So habe Paris Massnahmen
ergriffen, die die Sicherheit in Frankreich erhoehen sollen. "Die
Entschlossenheit unserer grossen Nation wird geprueft." Um Hunderte
Passagiere einfach und bequem von einem Ort zum anderen zu
transportieren, benoetigt ein Flugzeug gewaltige Mengen Energie.
Unmittelbar nach den Terroranschlaegen auf das WTC und
Regierungsgebaeude war der Oelpreis um bis zu 4 US-Dollar auf 31
Dollar je Barrel (159 Liter) in die Hoehe geschossen. Sie sind
Anschlaege auf die eine, freie und offene Welt. Bei der Bundeswehr
wurden zunaechst keine Sondermassnahmen ergriffen. Ruehe habe binnen
18 Monaten die Flugbereitschaft fuer 361 Fluege in Anspruch genommen.
Dies mache im kommenden Jahr zwei Milliarden Mark aus, sagte Eichel.
Er koenne nicht ausschliessen, dass die umliegenden Strassen im
beliebten Szeneviertel am Abend gesperrt werden. Alle Fluege Richtung
USA wurden zurueckbeordert oder umgeleitet. Die Zwillingstuerme des
World Trade Center, in denen taeglich 40.000 Menschen arbeiten, gingen
nach den schweren Explosionen in Flammen auf. Die Muenchener
Rueckversicherung ist an der Feuerversicherung des World Trade Centers
beteiligt. 50 000 Menschen sollen im World Trade Center arbeiten. Sie
richten sich gegen eine Welt, in der man zwar in dem einen oder
anderen Fall einander uebers Ohr haut, sich aber nicht die Schaedel
einschlaegt. Israels Ministerpraesident Sharon forderte in einem
Interview Reaktionen, "die genauso radikal sind, wie diese Teufel es
selbst gewesen sind." Es gehe nicht um einzelne Fluege, sondern um das
Gesamtbild. Die Sicht in New York war vollkommen klar, und die Zone im
Sueden Manhattans war nicht fuer Fluege zugelassen. Nur wenig spaeter
fiel auch der zweite Turm in sich zusammen. Am 11. September 2001
wurde der Kampf gegen den internationalen Terrorismus und gegen die,
die ihn unterstuetzen oder auch nur nicht bereit sind, den Kampf gegen
ihn zu unterstuetzen, auf Platz Eins der Agenda der Weltpolitik
gesetzt. Kuriosum: Euro stieg als Terrorfolge. Ein amerikanischer
Albtraum ist wahr geworden.
[Eine Montage aus Beitraegen in Spiegel online, BerlinOnline, SZ
online vom 11./12.09.2001]
http://www.woerterberg.de/archiv/2001_09_09_index.html#5628592