[rohrpost] Surveillance 1976 in Polen

Ruine der Kuenste Berlin ruine-kuenste.berlin@snafu.de
Fri, 7 Sep 2001 12:34:57 +0200


Hallo Matze Schmidt,
vielleicht nicht uninteressant zum Thema Video-Überwachung, ein altes
Problem:

Im Dezember 1976 machte Wolf Kahlen im sozialistischen Lublin/Polen
anlässlich einer internationalen Performance-Woche die
Video-Live-Performance NOLI ME VIDERE (heisst soviel wie :Sieh mich nicht
an, in Anlehnung an das biblische Noli me tangere), in der er sich in eine 3
x 3 x 4 Meter hohe Holzbox, die oben offen war und von allen Seiten aussen
über Treppen zugänglich, die den Besuxcher an den Rand, über den er in die
Box hineinsehen konnte, einschliessen liess. Über der Box hing eine
Beobachtungskamera, die closed circuit mit einem Monitor auf dem Boden der
Box verbunden war. Sie übertrug nun Wolf Kahlen's fruchtlose Bemühungen
herauszufinden, wo an welchen Stellen oder in welchen Ecken er vielleicht
der Beobachtung entgehen konnte. Die frustrierenden Bemühungen Kahlen's
endeten nach ca. 209 Minuten Suche damit, dass er sich über den Monitor
legte, weil er sonst sich überall beobachtet fand. Das war ein heisser
Beitrag im schneematschkalten und politisch eiskalten Polen von damals. Ist
aber und das war typisch polnisch symapthisch, politiklos und mit grosser
Symapathie der Beuscher 'über die Bühne gegangen'. Nicht so wie Kahlen's
andere Einzelausstellung HUNDE-TERRITORIUM im Jahr 1977 in der Galerie
Repassage in Warschau,  zu der nur Hunde geladen waren (die acht
verschiedene Geruchswahrnehmungen als unsichtbare 'Geruchsskulpturen' im für
den Besucher uneinsichtigen Raum begeisterten) und deren Herrchen in einem
Warteraum per Videoüberwachung das Verhalten ihrer 'Kinder' nur auf einem
Live-Monitor unter dem Tisch auf den Knieen beobachten konnten: Die Galerie
wurde danach geschlossen und der Galerist musste daraufhin das Land, wie er
sich schon immer gewünscht hatte, verlassen. Wer mehr wissen will, siehe:
Katalog: Wolf Kahlen : Fotos Video Performances, Kunstverein Freiburg/Br.,
1978 etc.
Gruss
David Allen
Ruine der Künste Berlin