[rohrpost] Zur Performativitaet von Programmiercodes in der Netzkunst
Inke Arns
inke@snafu.de
Thu, 25 Oct 2001 23:51:27 +0200
Texte, die (sich) bewegen: zur Performativit=E4t von Programmiercodes in der
Netzkunst
=20
Inke Arns (Berlin)
Vortrag auf der Kinetographien-Konferenz, Europ=E4ische Akademie Berlin,
25.10.2001
<http://www2.hu-berlin.de/slawistik/kineto>
=20
Der Titel meines Vortrags =84Texte, die (sich) bewegen=93 hat vier
unterschiedliche Bedeutungen. Liest man ihn mit der Klammer, so handelt es
sich 1) offensichtlich ganz einfach um =84sich bewegende Texte=93, also
bewegliche, fluide, dynamische Texte, die sich, im Gegensatz zu
stillgestellten, arretierten und immobilisierten Texten, bewegen. Man kann
=84Texte, die sich bewegen=93 nat=FCrlich 2) auch verstehen als =84Automobil=
e=93,
also als ein g=F6ttlicher =84Selbstbeweger, der alles andere bewegt=93.
Mechanistische Weltbilder suchten so Gott zu definieren: Alles wird bewegt,
nur Gott bewegt sich selbst (aus sich selbst heraus). L=E4sst man schlie=DFl=
ich
die Klammer weg, ist man 3) mit Texten konfrontiert, die andere Texte,
Dinge u.a. in Bewegung versetzen. Die vierte Bedeutung (im Sinne von
=84bewegende Texte=93) schlie=DFlich spielt auf die emotionale Wirkung an, d=
ie
Texte auf Menschen haben k=F6nnen. Diese im Titel angelegten Bedeutungen
werden =96 mit Ausnahme der g=F6ttlichen Automobile =96 meinen Vortrag
strukturieren.
=20
1) Texte, die sich bewegen=20
In Netzkunst und =96literatur ist hinsichtlich der heute auch technisch
implementierbaren Beweglichkeit, Verfl=FCssigung und Mobilit=E4t von Texten =
und
Bildern oft von einem =84Verlust der Einschreibung=93 die Rede. Texte/Werke
zeichnen sich, so die Behauptung, zunehmend durch permanente Bewegung,
Ver=E4nderung und Fl=FCchtigkeit und nicht mehr durch materiell
festgeschriebene Statik aus. Martin Burckhardt spricht hinsichtlich der
elektromagnetischen Schrift von der =84Verfl=FCssigung des tradierten
Schriftbegriffs=93[1]. Wenn Sybille Kr=E4mer von der =84Fluidit=E4t des Wort=
es=93
spricht und dieses Wort als Medium bezeichnet, =84dessen Daseinsweise
Fl=FCchtigkeit und Fluktuanz ist durch und durch=93[2], lie=DFe sich =96=
spinnt man
das Fl=FCchtigkeitsparadigma weiter =96 fast vermuten, dass Netzkunst bzw.
=96literatur die Eigenschaften des gesprochenen Wortes annehme. Umberto Eco
behauptet in einem neueren Text mit dem Titel =93Books, Text and Hypertext=
=94,
dass =84the infinity or at least the indefinite abundance of interpretation
is due not only to the initiative of the reader, but rather to the physical
mobility of the text itself, a text that is produced just in order to be
re-written.=94[3] Und Peter Matussek spricht hinsichtlich der
=84Oberfl=E4cheneffekte der Software=93 =96 also der dynamischen
Datenpr=E4sentationen durch Inszenierung von Information und Animation =96
sogar von einem =84=92performative turn=92 graphischer=
Benutzerschnittstellen=93[4].=20
=20
Es scheinen sich also hinsichtlich nun auch technisch realisierbarer
=82Nonlinearit=E4t=92=82
=82Interaktivit=E4t=92 und =82hypertextueller Interkonnektivit=E4t=92=
allgemein zwei
Tendenzen f=FCr ein neues Textverst=E4ndnis durchzusetzen: Alles flie=DFt un=
d
dies ist nur m=F6glich durch neue Medien. Diese Sichtweise verkennt jedoch,
dass Texte nicht erst mit der technischen Implementierbarkeit von Bewegung
mobil werden. Darauf hat sp=E4testens die Intertextualit=E4tstheorie mit ihr=
em
Verweis auf den Verbindungs- bzw. Netzcharakter von Texten in den 1960er
Jahren hingewiesen. Auch sind sich selbst schreibende bzw. generierende
Texte weder in der Literatur, noch in der Kunst etwas Neues. Jorge Luis
Borges fand mit seinem Buch aus Sand in seiner gleichnamigen Parabel ein
angemessenes Bild f=FCr die Unm=F6glichkeit, dieselbe Seite zweimal zu lesen=
:
Man =84bl=E4ttert, st=F6=DFt auf Neues, will es festhalten, sich vergewisser=
nd
zur=FCckschauen, aber die vorhergehenden Seiten vervielfachen sich bis ins
Unendliche eines Labyrinths m=F6glicher Einblicke und l=F6sen sich schlie=DF=
lich
auf wie feiner Sand, der zwischen den Fingern zerrinnt. Aus zeitlicher
Distanz ist nichts, wie es einmal war.=93[5] Hier deutet sich die
pr=E4-technische Mobilit=E4t von Texten an.
=20
Was uns hier jedoch interessieren soll, ist nicht die Problematisierung
eines statischen oder dynamischen Textverst=E4ndnisses, sondern =96 ganz im
Sinne unseres Kinetographien-Konzeptes =96 die pr=E4zisere Herausarbeitung
einer Konfiguration bewegender und bewegter Schriften in Netzkunst- und
literatur. Dazu muss zwischen (textuellen) Oberfl=E4chen und Texten, die
diese Oberfl=E4chen generieren, unterschieden werden. Ein Verbleiben bei der
Oberfl=E4che w=FCrde die Tatsache verkennen, dass der Computer kein Bildmedi=
um,
darauf hat Florian Cramer hingewiesen, sondern essentiell ein Schriftmedium
ist, an das alle m=F6glichen audiovisuellen Ausgabemedien anschlie=DFbar=
sind.[6]
=20
2) Texte, die andere Texte oder Dinge in Bewegung versetzen=20
=20
Die These vom =84Verlust der Einschreibung=93 mit ihrem ausschlie=DFlichen F=
okus
auf den
Oberfl=E4chentext als dem =84Text=93 von Netzkunst bzw. -literatur geht von =
einer
falschen
Fragestellung aus. Es reicht meiner Ansicht nach nicht aus, hinsichtlich
der =84Oberfl=E4cheneffekte der Software=93 von einem =84=92performative tur=
n=92
graphischer Benutzerschnittstellen=93 zu sprechen[7], denn diese Sichtweise
bleibt zu sehr einer unterstellten Performativit=E4t eben jener Oberfl=E4che=
n
verhaftet. Vielmehr muss man bei der Betrachtung von Netzkunst- und
=96literaturprojekten (wie auch bei Software allgemein) von mindestens zwei
Texten ausgehen, einem =84Ph=E4no=93- und einem =84Genotext=93. Die
Oberfl=E4cheneffekte des Ph=E4notextes, z.B. sich bewegende Texte, werden du=
rch
andere, unter den Oberfl=E4chen liegende =84effektive=93 Texte, den Programm=
codes
oder Quelltexten, hervorgerufen und gesteuert. Man k=F6nnte sogar behaupten
[und das soll hier versucht werden], dass es sich bei (linearen,
statischen) Programmiercodes um illokution=E4re Sprechakte[8] handelt,
insofern, als hier =82Sagen=92 und =82Tun=92 zusammenfallen, diese
=84handlungsm=E4chtigen=93 Sprechakte also keine Beschreibung oder Repr=E4se=
ntation
von etwas sind, sondern direkt affizieren, in Bewegung setzen, Effekte
zeitigen.
=20
Friedrich Kittler verwies in seinem Text =84Die Schrift des Computers: A
license to kill=93 diesbez=FCglich bereits auf den doppeldeutigen Begriff de=
r
=84Kommandozeile=93, einem Zwitterwesen, das heute in den meisten
Betriebssystemen durch graphische Benutzer-oberfl=E4chen fast verdr=E4ngt
worden ist. Noch vor 20 Jahren waren jedoch =84s=E4mtliche
Benutzer-schnittstellen und s=E4mtliche Editoren noch
kommandozeilenorientiert=93. Hier konnte/kann man zwischen verschiedenen Mod=
i
hin- und herwechseln. W=E4hrend im Textmodus die Return-Taste zu einem
Zeilenwechsel f=FChrt, verwandeln sich eingegebene Texte plus Return-Taste i=
m
Kommandozeilenmodus in potentielle Befehle. ... =84und was geschrieben stand
fand tats=E4chlich statt.=93[9] =96 Kittler schreibt weiter: =84Im Computer =
[...]
fallen, sehr anders als in Goethes Faust, Wort und Tat zusammen. Der
s=E4uberliche Unterschied, den die Sprechakttheorie zwischen Erw=E4hnung und
Gebrauch, zwischen W=F6rtern mit und ohne Anf=FChrungszeichen gemacht hat, i=
st
keiner mehr. kill im Kontext literarischer Texte sagt nur, was das Wort
besagt, kill im Kontext der Kommandozeile dagegen tut, was das Wort besagt,
laufenden Programmen oder gar dem System selbst an.=93[10] Diese Macht oder
Performativit=E4t der Computerschrift, die sich u.a. auch im Bedeutsamwerden
kleinster Buchstabenpartikel =E4u=DFert (Burckhardt und Kittler verweisen au=
f
die orthographische Strenge von Programmiersprachen; darauf komme ich zum
Schluss nochmal zur=FCck), soll hier nun =FCber die Kommandozeile hinaus in
ihrer Form als maschinenlesbarer Code, menschenlesbare Programmiersprache
bzw. =96schriften[11] =96 und ihrem Bezug zur graphischen Oberfl=E4che =96
untersucht werden.
=20
In einer Reihe von Vorlesungen, die John Langshaw Austin (1911-1960) 1955
an der Harvard University unter dem Titel How To Do Things With Words
(publ. 1962; dt.: Zur Theorie der Sprechakte, Stuttgart 1979) hielt, f=FChrt=
e
er den bahnbrechenden Gedanken aus, dass sprachliche =C4u=DFerungen keineswe=
gs
nur dem Zweck dienen, einen Sachverhalt zu beschreiben oder eine Tatsache
zu behaupten, sondern dass mit ihnen stets Handlungen vollzogen werden.
=84Was Sprecher von Sprachen intuitiv immer schon gewu=DFt und praktiziert
haben,=93 so schreibt Erika Fischer-Lichte, =84wurde hier von der
Sprachphilosophie zum ersten Mal formuliert: dass Sprache nicht nur eine
referentielle Funktion erf=FCllt, sondern immer auch eine performative.=93[1=
2]=20
=20
Austins Sprechakttheorie begreift Sprechen also grunds=E4tzlich als Handeln
und beobachtet dabei ein Sprechen, das nicht erst durch seine Wirkung
effektiv ist, sondern bereits durch sich selbst. Genau hier trifft sich die
Sprechakttheorie mit der unterstellten Performativit=E4t des Code: =84[W]enn
ein Wort nicht nur etwas benennt, sondern etwas performativ herbeif=FChrt un=
d
zwar genau das, was es benennt=93[13].=20
=20
Lokution, Illokution, Perlokution; Programmiercodes als gegl=FCckte
(effektive) Illokutionen Austin unterscheidet nun in allen Sprechakten drei
verschiedene linguistische Akte. Den lokution=E4ren Akt bestimmt er als den
propositionalen Gehalt, der wahr oder falsch sein kann. Er soll uns in
diesem Zusammenhang nicht weiter interessieren. Illokution=E4re Akte sind
Handlungen, die kraft der Worte ausgef=FChrt werden. Sie sind dadurch
bestimmt, dass jemand, indem er etwas sagt, gleichzeitig etwas tut (die
Aussage des Richters =84ich verurteile Sie=93 ist keine Absichtserkl=E4rung,
sondern ein Tun). Bezeichnung und Ausf=FChrung fallen zusammen, indem die
Bezeichnung =84ge=E4u=DFert wird, f=FChrt sie selbst eine Tat aus=93[14].
Illokution=E4re Sprechakte rufen also Effekte hervor und k=F6nnen gelingen b=
zw.
misslingen, je nachdem ob bestimmte extralinguistische Konventionen erf=FCll=
t
werden werden. Perlokution=E4re Akte sind dagegen solche =C4u=DFerungen, die=
eine
Kette von Folgen ausl=F6sen. Das Sagen und die hervorgerufenen Wirkungen
fallen zeitlich nicht zusammen. Wie Judith Butler bemerkt, sind die =84Folge=
n
nicht dasselbe wie der Sprechakt, sondern eher die Ergebnisse oder das
=82Nachspiel=92 der =C4u=DFerung.=93[15] Sie bringt diesen Unterschied auf f=
olgende
pr=E4gnante Formel: =84W=E4hrend illokution=E4re Akte sich mittels Konventio=
nen
vollziehen, vollziehen sich perlokution=E4re Akte mittels Konsequenzen. Dies=
e
Unterscheidung beinhaltet also, dass illokution=E4re Sprechakte ohne
zeitlichen Aufschub Effekte hervorrufen, dass hier das =82Sagen=92 dasselbe =
ist
wie das =82Tun=92 und dass beide gleichzeitig erfolgen.=93[16] Insofern, als=
hier
=82Sagen=92 und =82Tun=92 zusammenfallen, lie=DFen sich also=
Programmiercodes als
illokution=E4re Sprechakte bezeichnen, im Sinne von Kittlers Diktum =84und w=
as
geschrieben stand fand tats=E4chlich statt=93[17], und zwar umgehend.
=20
Sprechakte k=F6nnen nach Austin auch Handlungen sein, ohne jedoch unbedingt
effektiv sein zu m=FCssen (d.h. =84gl=FCcken=93 zu m=FCssen). Scheitern oder
missgl=FCcken diese Handlungen, stellen sie verfehlte performative =C4u=DFer=
ungen
dar. Ein Sprechakt, auch wenn er sprachliches Handeln ist, ist also nicht
immer ein effektiver Akt. =84Eine gegl=FCckte performative =C4u=DFerung ist
[jedoch] dadurch definiert,=93 so Judith Butler, =84dass ich die Handlung ni=
cht
nur ausf=FChre, sondern damit eine bestimmte Kette von Effekten ausl=F6se.=
=93[18]
Programmiercodes machen, ganz pragmatisch betrachtet, nur als gegl=FCckte
performative =C4u=DFerungen Sinn; l=F6sen sie keine Effekte aus (egal, ob di=
ese
erw=FCnscht oder unerw=FCnscht sind), sind sie nicht ausf=FChrbar, sind sie
schlicht und ergreifend =FCberfl=FCssig. Code macht nur als ausf=FChrbarer C=
ode
Sinn (darauf komme ich am Schluss nochmal zur=FCck).=20
=20
Es ist also der Code, der performativ ist, und nicht die (arbitr=E4ren,
medialen) Oberfl=E4chen, die er erzeugt und steuert. Im Code fallen =82Sagen=
=92
und =82Tun=92 zusammen, insofern diese =84handlungsm=E4chtigen=93 Sprechakte=
keine
Beschreibung oder Repr=E4sentation von etwas sind, sondern diese direkt
affizieren, in Bewegung setzen, Effekte zeitigen. Sybille Kr=E4mer definiert
Performativit=E4t als Verk=F6rperung im Gegensatz zur Darstellung, als
Pr=E4sentation im Gegensatz zur Repr=E4sentation und als Epiphanie bzw.
Gegenw=E4rtigkeit anstelle einer Stellvertreterschaft oder Vergegenw=E4rtigu=
ng
=96 eine Definition, die hier vielleicht nutzbar zu machen w=E4re.
Performativit=E4t l=E4uft so letztlich auf die magische Ineinssetzung von
Zeichen und Bezeichnetem hinaus, die sich (erstaunlicherweise?) auch in der
Entwicklung der Zahlen in der Mathematik finden l=E4sst. W=E4hrend George Bo=
ole
in seinen Investigations on the Laws of Thought (1854) Null und Eins nicht
mehr als Repr=E4sentanten von einem Ding begreift sondern zu systemischen
Markern f=FCr An- bzw. Abwesenheit machte[19], erkl=E4rte der Mathematiker
David Hilbert in =84einer radikalen Tautologie [...] die Zeichen, mit denen
die Mathematik operiert, aber auch nur operiert hatte, zu ihrer Sache
selbst.=93[20] =96 Mit den computable numbers verschwindet die Abbildbeziehu=
ng
der Zahlen zur Welt; =84Sache der Mathematik sind=93, so Friedrich Kittler,
seit Hilbert =84keine Wesenheiten mehr, die vom Papier lediglich bezeichnet
w=FCrden; Sache sind gerade umgekehrt die materialen Signifikanten auf dem
Papier selber.=93[21]
=20
Bewegung und Stillstand, Dynamik und Statik, Linearit=E4t und Non-Linearit=
=E4t
gehen im Code ein paradoxales Verh=E4ltnis ein: W=E4hrend der invariable Cod=
e
als Schrift sich =84an einer Geraden [...] entfaltet=93[22] =96 laut Burckha=
rdt
hei=DFt scriptum im Lateinischen nicht nur Schrift, sondern auch Linie =96,
dieser Code somit Linearit=E4t und auch eine gewisse Statik verspricht, kann
es doch bereits schon auf dieser Ebene nonlineare, dynamische, zyklische
Zust=E4nde geben =96 und zwar noch bevor eine Oberfl=E4che ins Spiel kommt, =
die
sich bewegen k=F6nnte. Diese Kopplung von Statik und Dynamik im Code ist
weniger paradox, wenn man mitdenkt, dass es die Performativit=E4t des
(statischen, linearen) Textes ist, die den Text zum Abarbeiten textinterner
Rekursionen und Schleifen anh=E4lt. Bezogen auf Kinetographien k=F6nnte man
sagen, dass es sich bei Programmcodes nicht um ein Aufzeichnungssystem von
Mobilit=E4ten oder Dynamiken handelt, sondern um ein =84Mobilisierungs-=84 b=
zw.
=84Immobilisierungssystem=93.
=20
Trotzdem nochmal zur=FCck vom Code zu den Oberfl=E4chen: Heute programmiert =
man
nicht mehr nur =FCber textuelle, sondern zunehmend auch =FCber sogenannte
visuelle Programmier-sprachen (Visual Basic [bereits Ende der 1960er],
aktuell: die Software Max bzw. Nato). Die einfachste Form einer solchen
Oberfl=E4chenmanipulationsmaschine sind sicherlich die sogenannten
=93What-you-see-is-what-you-get=93 (WYSIWYG)-Editoren[23] [z.B. Netscape
Composer]. Visuelle Programmiersprachen erm=F6glichen durch eine Verschaltun=
g
der Oberfl=E4chen mit dem Programmcode mittels direkter Manipulation bzw.
Bewegung der virtuellen Oberfl=E4chenobjekte eine indirekte Ver=E4nderung bz=
w.
Schreiben des Code. Trotz diesen engen Kopplung sind es nicht die
Oberfl=E4chen oder die auf ihnen manipulierbaren Objekte, die man als
performativ bezeichnen k=F6nnte. Es bleibt der Textcode, der effektiv ist,
der Effekte bewirkt und somit als performativ im Sinne der Wirkm=E4chtigkeit
von Sprache bezeichnet werden kann.
=20
3) E-Motion [als elektrisch definierte Bewegungsoption]: Texte, die
Benutzer bewegen oder stillstellen
Code als =84Mobilisierungs-=84 bzw. =84Immobilisierungssystem=93 wirkt sich =
nicht
nur auf graphische Benutzeroberfl=E4chen aus. =84Codierte Performativit=E4t=
=93[24]
hat genauso unmittelbare, auch politische Konsequenzen auf die virtuellen
R=E4ume (u.a. des Internet), in denen wir uns zunehmend bewegen:
=93Programmcode=93, so der amerikanische Jurist Lawrence Lessig, =84tendiert
immer mehr dazu, zum Gesetz zu werden.=94 Heute werden Kontrollfunktionen
direkt in die Architektur des Netzes, also seinen Code, eingebaut. Diese
These stellt Lessig in Code and other Laws of Cyberspace[25] (1999) auf. Am
Beispiel des Online-Dienstes AOL macht Lessig eindringlich klar, wie die
AOL-Architektur mit Hilfe des sie bestimmenden Codes jegliche Form von
=82Zusammenrottung=92 verhindert und eine weitgehende Kontrolle der Nutzer
erlaubt. Unterschiedliche Codes erlauben unterschiedliche Grade von
Bewegung(sfreiheit): =93Die Entscheidung f=FCr einen bestimmten Code ist, =
=84 so
Lessig, =84auch eine Entscheidung =FCber die Innovationen, die der Code zu
f=F6rdern oder zu hemmen imstande ist.=94[26] Zu dem, was Birgit Richard (20=
01)
die strukturelle, bilderlose Gewalt im Netz genannt hat, geh=F6rt sicherlich
auch die Gewalt des Eigen- bzw. Markenamens im Netz bzw. in virtuellen
Welten. =84Man k=F6nnte fast glauben,=93 so Richard, =84man trete in ein mag=
isches
Zeitalter ein, in dem die Nennung eines Namens direkte Auswirkungen auf die
Realit=E4t hat. Der Eigenname gilt hier wie bei einer Verfassung als
Gr=FCndungstext.=93[27] Derrida bezeichnet einen solchen institutionellen
Gr=FCndungsakt als Sprechakt, denn dieser =84Akt besteht nicht in einem
deskriptiven oder konstatierenden Diskurs, er vollzieht, vollbringt und
tut, was er zu tun sagt [...].=93[28] Der Domainname im Web, der eine
Vereinfachung der numerischen IP-Adresse ist, ist mehr als nur ein Name: er
hat performative Eigenschaften und er ist ausschliesslicher Ort. Es gibt
keinen anderen neben ihm.
=20
Soviel vielleicht zur (durchaus bewegenden) Frage nach den politischen
Dimensionen solch =84codierter Performativit=E4t=93. Enden m=F6chte ich mit =
einem
Ausblick auf kritische
Medienkompetenz und Netzkunst: Die Macht / M=E4chtigkeit/ Performativit=E4t =
der
Computerschrift bzw. des Codes[29] wird heute zunehmend durch sich =FCber de=
n
Code legende graphische Oberfl=E4chen verdeckt. Zu Recht w=FCnscht sich
Friedrich Kittler daher schon seit geraumer Zeit einen neuen
=84Computeralphabetismus=93, der sich im Sinne einer kritischen Medienkompet=
enz
der Codes annimmt. Florian Cramer fordert diesbez=FCglich die
Literaturwissenschaft auf, sich wieder auf ihre F=E4higkeiten als
Textwissenschaft zu konzentrieren. Auch der Rezeption von Netzkunstarbeiten
w=FCrde, so mein Pl=E4doyer, die Erweiterung ihres eigenen Technikvokabulars
guttun: Netzkunstprojekte erschlie=DFen sich nicht nur durch die =C4sthetik
ihrer Oberfl=E4chen, sondern fordern vom Rezipienten (im Idealfall) ein
Verst=E4ndnis f=FCr die darunter-liegenden Programmiercodes & -strukturen, d=
ie
performativ Effekte auf den (sichtbaren) Oberfl=E4chen erzeugen (d.h. wie
eine Arbeit gemacht ist, wie sie strukturell aufgebaut ist).
=20
Was vielleicht im (literatur-)wissenschaftlichen Kontext noch etwas k=FChn
erscheinen mag, hat die diesj=E4hrige transmediale, das Berliner
Medienkunstfestival, gleich mit der Einf=FChrung einer neuen
Wettbewerbskategorie in die Tat umgesetzt: Die Auszeichnung f=FCr
=84k=FCnstlerische Software=93 zielt, so die Jury, der 2001 Florian Cramer,
Ulrike Gabriel und John F. Simon Jr angeh=F6rten, =84auf die Algorithmen - d=
en
eigentlichen Code, der erzeugt, was man sehen, h=F6ren und sp=FCren wird. [.=
..]
Der vielleicht faszinierendste Aspekt der Computertechnik ist, dass Code -
ob als Textfile oder Bin=E4rzahl =96 maschinell ausf=FChrbar wird. Ein harml=
oses
St=FCck Text kann das System st=F6ren, ver=E4ndern oder gar abst=FCrzen=
lassen.=93[30]
=20
Die Netzkunst selbst ist schon auf einer n=E4chsten Stufe angelangt: Die
sogenannten =84Codeworks=93 (Alan Sondheim) sind solche Projekte, die den
reinen, =84rohen=93 formalen ASCII-Instruktionscode bzw. dessen =C4sthetik
benutzen, ohne noch auf die von ihm geschaffenen Oberfl=E4chen und
multimedialen graphischen Benutzerinterfaces angewiesen zu sein (dazu
z=E4hlen Arbeiten von Jodi, Netochka Nezvanova a.k.a. Antiorp, etc.).
Letztlich bleibt unklar, ob es sich wirklich um maschinenlesbaren bzw.
kompilierbaren Code handelt, oder nicht. Es ist vielleicht eher das Wissen
um die potentielle Ausf=FChrbarkeit und Performativit=E4t, die hier eine Rol=
le
spielt, nicht so sehr die Ausf=FChrbarkeit selbst. Bez=FCglich der =84Codewo=
rks=93
lie=DFe sich erneut die Frage stellen (die vielleicht auch schon hinsichtlic=
h
meiner Verwendung des Performativit=E4tsbegriffs[31] aufgekommen ist): Hat
formaler Programmcode ein Publikum ausser der Maschine, die er adressiert?
Kann formaler Code ohne die Maschine, die ihn umsetzt und ausf=FChrt,
performativ sein? Ich w=FCrde behaupten: ja. Es gibt Menschen, die den Kode
ohne Maschine lesen k=F6nnen. Die haben bei Eintreffen der email von jodi da=
s
gesamte Kriegsszenario von =93walkmonster_start ()=93 durchspielen k=F6nnen,=
ohne
ihn zun=E4chst kompilieren zu m=FCssen.
=20
Anmerkungen:
[1] Burckhardt 2000, 27
[2] Sybille Kr=E4mer: Sprache-Stimme-Schrift. in: Paragrana 7 (1997), 1, S.=
45
[3] Umberto Eco: Books, Text and Hypertext. A Talk by Umberto Eco. In:
Rampike 10/2, meine Hervorhebungen
[4] Peter Matussek: Performing Memory. Kriterien f=FCr einen Vergleich
analoger und digitaler Ged=E4chtnistheater. In: Paragrana 10 (2001), H. 1, S=
.
291-320. [Teil A]
http://www.culture.hu-berlin.de/PM/Pub/Kul/Perfo(A).html
[5] G. Haupt in einem Text zu Arbeiten von Pat Binder, Internet
[6] =84Es gibt im Computer nichts als Schrift, woraus folgt, da=DF Schrift,
Text der Schl=FCssel zum strukturellen Verst=E4ndnis des Computers und der
Digitalisierung analoger Zeichen ist.=93 (Florian Cramer: F=FCr eine
Textwissenschaft des Digitalen. Typoskript, Vortrag auf dem Germanistentag
Erlangen, 1.10.2001, 2)
[7] Matussek: 2001
[8] John Langshaw Austin: How to Do Things with Words (dt.: Zur Theorie der
Sprechakte, Stuttgart 1979)
[9] Kittler: Die Schrift des Computers. A License to Kill, 2
[10] Kittler: Die Schrift des Computers. A License to Kill. 4
[11] Die Oppositionen Sprache/Schrift, M=FCndlichkeit/Schriftlichkeit und
Programmiersprache/Code werden hier getrost au=DFer Acht gelassen, denn sie
sind derzeit f=FCr meine Argumentation nicht von Bedeutung. H=F6here
Programmiersprachen (d.h. der Quellcode) sind menschenles- und schreibbar.
Diese m=FCssen jedoch, um f=FCr die Maschine lesbar zu werden, von einem
Compiler in ausf=FChrbaren bin=E4ren Code =FCbersetzt werden. Der Unterschie=
d
zwischen textuellem und numerisch-bin=E4rem Code kann hier aber
vernachl=E4ssigt werden, gerade weil das eine nur eine maschinenlesbare
Interpretation des anderen ist. Die Sprechakttheorie bezieht sich explizit
auf gesprochene Sprache, w=E4hrend Programmiersprachen, die eigentlich
Programmierschriften heissen m=FCssten, schriftlich verfasst sind. Trotz
(oder gerade wegen?) ihrer Schriftlichkeit handelt es sich jedoch, so die
These, um =84wirkungs-=84 oder =84handlungsm=E4chtige=93 Texte, die keine
Beschreibung oder Repr=E4sentation von etwas sind, sondern direkt affizieren=
,
in Bewegung setzen, Effekte zeitigen.=20
[12] Erika Fischer-Lichte: Auf dem Weg zu einer performativen Kultur. In:
Paragrana 7 (1998) 1, 13-29
[13] Judith Butler: Hass spricht. Zur Politik des Performativen. Berlin
1998, 67
[14] Butler 1998, 67
[15] Butler 1998, 31
[16] Butler 1998, 31f.
[17] Kittler: Die Schrift des Computers. A License to Kill, 2
[18] Butler 1998, S. 31
[19] =84Booles gro=DFe Tat besteht darin, dass er die Algebra vom Zahlzeiche=
n
l=F6ste, dass er die Null und die Eins nicht mehr als Repr=E4sentanten von
einem Ding begreift, sondern dass er sie zu Markern des Systems macht,
innerhalb dessen die Dinge erscheinen. Die Null und die Eins sind
eigentlich nicht mehr Zahlen, sondern stehen f=FCr das System selbst. F=FCr
Anwesenheit, Abwesenheit.=93 Burckhardt 44
[20] Kittler: Die Schrift des Computers. A License to Kill. 5
[21] Kittler: Wenn das Bit Fleisch wird, 154. Auch in: Die Schrift des
Computers. A License to Kill. 5.
[22] Burckhardt 20002, 35
[23] Die sich allerdings meistens als WYSIWYDG, also =84What you see is what
you don=92t get=93, erweisen.
[24] Reinhold Grether: The Performing Arts in a New Era. In: Rohrpost
Mailingliste, 26.7.2001
[25] Lawrence Lessig: Code and other Laws of Cyberspace. New York 1999
<http://code-is-law.org/>
[26] Lawrence Lessig, Die Architektur der Kontrolle: Internet und Macht.
In: Eurozine, 28.10.2000
<http://www.eurozine.com/online/partner/austria/transit/issues/2000-01-gs-le
ssig.html>
[27] Birgit Richard: Am Anfang war das Wort: Domain war=92s! Zur Gewalt des
Eigennamens in virtuellen Welten. In: Kunstforum International, Bd. 153,
Jan.-M=E4rz 2001 =84Choreographie der Gewalt=93, S. 207
[28] Jacques Derrida: Otobiographien. Die Lehre Nietzsches und die Politik
de Eigennamens. In: J. Derrida / F. Kittler: Nietzsche =96 Politik de
Eigennamens. Wie man abschafft, wovon man spricht. Berlin 2000. 10
[29] Die durch graphische Oberfl=E4chen verdeckt Macht/M=E4chtigkeit des Cod=
e
bzw. seine Performativit=E4t zeigt sich auch in der orthographischen Strenge
von Programmiersprachen: =84W=E4hrend ein Text auch noch in verst=FCmmelter =
Form
Sinn macht, bricht die =DCbertragung ab, sobald nur ein einziges Glied aus
der Kette herausf=E4llt. Genau das ist es ja, was unsere heutigen
Computerprogramme ausmacht. Wenn in einem solchen Programm eine einzige
Zeile fehlt, wenn ein einziger Buchstabe falsch geschrieben ist, so ist der
Regelkreislauf unterbrochen =96 und das Programm kann nicht ausgef=FChrt
werden.=93 (Burckhardt 2000, 38) Und Friedrich Kittler dazu:
=84Programmiersprachen [haben] all das, was an Strenge verloren gegangen ist=
,
=FCbernommen [...]. Unterscheidungen wie die zwischen Komma und Semikolon,
auf dem Papier fast verschwundene Nuancen also, kehren in despotischer
H=E4rte wieder. [H]eute kann ein fehlendes oder mit dem Komma vertauschtes
Semikolon ganze Programme oder gar Betriebssysteme zum Absturz bringen.=93
(Kittler: Die Schrift des Computers. A License to Kill. 8)
[30] <http://www.transmediale.de>
[31] Ein m=F6glicher Einwand k=F6nnte sein: Performativit=E4t bezieht sich n=
ur
auf menschliches Sprechen, auf Sprechen, das von Menschen an Menschen
gerichtet ist. Formaler Code, so k=F6nnte der Einwand weiter lauten, richtet
sich aber nur an Maschinen. Ich stimme diesbez=FCglich mit Florian Cramer
=FCberein, der bestreitet, dass =84Maschinensprache nur von Maschinen lesbar=
=93
ist: =84It is important to keep in mind that computer code, and computer
programs, are not machine creations and machines talking to themselves, but
written by humans.=93 (Florian Cramer: Digital Code and Literary Text,
Typoskript, P0es1s-Symposium 2001, S. 4f.)
Literatur:
=20
John Langshaw Austin: How to Do Things with Words (dt.: Zur Theorie der
Sprechakte, Stuttgart 1979)
Martin Burckhardt: Unter Strom. Der Autor und die elektromagnetische
Schrift. In:=20
Sybille Kr=E4mer (Hrsg.): Medien Computer Realit=E4t. Frankfurt/Main 20002, =
S.
27-54
Judith Butler: Hass spricht. Zur Politik des Performativen. Berlin 1998
Florian Cramer: Digital Code and Literary Text, Typoskript,
P0es1s-Symposium 2001
Florian Cramer: F=FCr eine Textwissenschaft des Digitalen. Typoskript,
Vortrag auf dem Germanistentag Erlangen, 1.10.2001
Jacques Derrida: Otobiographien. Die Lehre Nietzsches und die Politik de
Eigennamens. In: Derrida, Jacques / Kittler, Friedrich: Nietzsche - Politik
des Eigennamens. Berlin 2000=20
Umberto Eco: Books, Text and Hypertext. A Talk by Umberto Eco. In: Rampike
10/2
Erika Fischer-Lichte: Auf dem Weg zu einer performativen Kultur. In:
Paragrana 7 (1998) 1, 13-29
[Michael Giesecke: Abh=E4ngigkeiten und Gegenabh=E4ngigkeiten der
Informationsgesellschaft von der Buchkultur
<http://www.ifgb.uni-hannover.de/extern/kommunikationslehre/giesecke/volltex
t.htm>]
Reinhold Grether: The Performing Arts in a New Era. In: Rohrpost
Mailingliste, 26.7.2001
Friedrich Kittler: Wenn das Bit Fleisch wird.
Friedrich Kittler: Hardware, das unbekannte Wesen. In: Sybille Kr=E4mer
(Hrsg.): Medien Computer Realit=E4t. Frankfurt/Main 20002
Friedrich Kittler: Die Schrift des Computers: A license to kill.
Sybille Kr=E4mer: Sprache-Stimme-Schrift. in: Paragrana 7 (1998), 1, S. 45
Sybille Kr=E4mer: Das Medium als Spur und Apparat. In: Sybille Kr=E4mer
(Hrsg.): Medien Computer Realit=E4t. Frankfurt/Main 20002,
Sybille Kr=E4mer (Hrsg.): Medien Computer Realit=E4t. Frankfurt/Main 20002
Lawrence Lessig: Code and other Laws of Cyberspace. New York 1999
<http://code-is-law.org/>
Lawrence Lessig, Die Architektur der Kontrolle: Internet und Macht. In:
Eurozine, 28.10.2000
<http://www.eurozine.com/online/partner/austria/transit/issues/2000-01-gs-le
ssig.html>
Peter Matussek: Performing Memory. Kriterien f=FCr einen Vergleich analoger
und digitaler Ged=E4chtnistheater. In: Paragrana 10 (2001), H. 1, S. 291-320=
.
[Teil A] <http://www.culture.hu-berlin.de/PM/Pub/Kul/Perfo(A).html>
Jon McKenzie: Perform or else: From Discipline to Performance, New York:
Routledge 2001
Birgit Richard: Am Anfang war das Wort: Domain war=92s! Zur Gewalt des
Eigennamens in virtuellen Welten. In: Kunstforum International, Bd. 153,
Jan.-M=E4rz 2001 =84Choreographie der Gewalt=93,
=20
- http://www.v2.nl/~arns/