[rohrpost] Re: [rohrpost] Beschlagnahmungen und Hausdurchsuchungen wg. Online-Demo
Ronnie Vuine
wintermute@vuine.de
Tue, 23 Oct 2001 21:14:28 +0000
Antwort auf die Mail vom Montag, 22. Oktober 2001 11:55:
Morgen.
> Ich hätte gern gewusst, woher Du die genauen Informationen über die
> Praxis der Staatspolizei oder des Bundesverfassungsschutz hast um
> diese Feststellung treffen zu können.
Ich kenne deren gesetzlichen Auftrag und was mir die Presse über die
Organisationen sagt. Und das ist dann eine pure
Glaubwürdigkeitsfrage - wir leben in medialen Zeiten. Ich habe nur
die "Zeit", ihr grundbürgerliches und journalistisches
Selbstverständnis und ihr Schweigen. Und einige schreierische
Publikationen im Netz. Und dann ist da noch meine persönliche
Erfahrung. Die sagt mir folgendes: Ich bin nie einem irgendwie
gearteten Überwachungs- oder Zensurapparat begegnet. Und der
angehende Staatschützer, den ich persönlich und sehr lange kenne, ist
mit Abstand der verfassungstreueste Mensch, der mir je begegnet ist.
Versteh' mich da nicht falsch: Wenn es stimmt, daß bei der Aktion im
Afrikahaus ohne Durchsuchungsbefehl Räumlichkeiten betreten wurden,
ist das ein Skandal und ein Fall für die Gerichte und
Dienstaufsichtsstellen. Von der Praxis habe ich aber gar nicht
geredet.
Die Diskussion ist entstanden, weil wieder mal jemand den Begriff
"politische Polizei" in den Raum haut und sich damit, auch wenn er
eine gerechte Sache vertritt, von vornherein als ein Schreihals
diskreditiert. Da stand eben nicht: "Die Polizei hat.... blabla....
Türen eingetreten... unsofort... das ist nach Ansicht von [XY] das
Vorgehen einer politischen Polizei".
> Meiner Meinung gibt es einige Fälle, bei denen diede Organisationen
> durch aus zu Unterdrückung politischer GegnerInnenbenutz wurden.
> Ermordung von RAF-Gefangen
Von wem reden wir da? Der ersten Generation in Stammheim? Ich gebe
gerne zu, daß sich Staat und (vor allem) Justiz da völlig schweinisch
daneben benommen haben. Aber die Märtyrermär von den politischen
Morden in Stammheim war schon immer ebenso unbewiesen wie unplausibel.
Von "Unterdrückung politischer Gegner" zu sprechen ist übrigens nicht
zu rechtfertigen. Die RAF-Leute waren keine politischen Gegner,
sondern politische Straftäter in einer Republik. Sie wurden
nicht "unterdrückt", sondern strafverfolgt. Auch die PDS, s.u. wird
nicht unterdrückt. Sie erhält Geld vom Staat wie jede andere Partei.
> Was ist für dich eine Online-Demonstration?
Eine DoS-Attacke heisst nicht umsonst nicht DoS-Demonstration,
sondern eben Attacke. Sie ist, technisch wie wesentlich,
ein Angriff auf die Funktionsfähigkeit eines Systems.
Eine Demonstration ist eine Meinungsäusserung einer sich ohne Waffen
und unvermummt versammelnden Gruppe von Bürgern, vorgenommen im
öffentlichen Raum. Sie richtet keinen direkten Schaden an und zwingt
niemanden direkt zu irgend etwas. Das ist gut und nicht ohne Grund
genau so.
Frage: Wozu wird "online" demonstriert - wie wird die Absicht
gerechtfertigt, eine gewachsene demokratische Tradition im Cyberspace
abzubilden? Öffentlicher Raum und Cyberspace sind nicht
äquivalent - vielmehr wurde dieser Angriff auf den virtuellen "Boden"
der Lufthansa getragen. Auf privatem "Boden" gibt es keine
Demonstration, nur Hausrecht.
Ich weiss nicht, wen ich da grade zitiere, jedenfalls: Wenn sich ein
paar hundert Leute versammeln und schreiend eine Strasse entlang
ziehen, ist das bereits ein kriegerischer Akt.
Das ist richtig. Eine Demonstration ist ihrem Wesen nach eine
Drohung. (Eine von der Verfassung geduldete, sogar ermutigte). Jede
Art von Angriff macht aus der Demonstration schlicht Gewalt. (leider
auch in der Realtität immer wieder, und leider allzuoft sind es nicht
die Demonstranten, die die Sache missverstehen)
Ausserdem zur Demonstration gehört, daß etwas sehr fundamentales
demonstriert wird: Nämlich das Selbstbewusstsein des Bürgers als
Bürger: der Macht des Staates aufrecht ins Auge zu blicken. Im
Ausführen eines Programmes auf einem Rechner kann ich das nicht
erkennen.
Fazit: Entweder man lässt den Quatsch und geht auf die Strasse (das
würde ich favorisieren. Mir scheint, bei all dem eHype wurde und wird
immer noch eins vergessen: Internet is about communication. Es spielt
eine auch politisch großartige Rolle bei Aufklärung und
Meinungsvielfalt. Es ist aber ein Quark, alle Aspekte der stofflichen
oder politischen Realität in den Cyberspace abbilden zu wollen,
einfach weil es aus strukturellen, sinnlichen, rechtlichen und
anderen Gründen keine virtuelle Entsprechungen geben KANN. Wer
demonstrieren will, soll demonstrieren, nicht Progrämmchen starten.)
Oder man denkt sich ein adäquates Konzept für den Cyberspace aus,
unter Berücksichtigung folgender Rahmenbedingungen:
- Machtvolle Meinungsäusserung - darum muss es vorrangig gehen.
- Operation in "öffentlichen Räumen" (ja, aber wo sind die?)
- Drohung, also nur potentielle Gewalt
- Kollektivität
- Gleichzeitigkeit
- Identifizierbarkeit des Einzelnen in der Masse
> Die Intensität hängt NICHT von der Zahl gecrackter/mißbrauchter
> Rechner ab, sondern von der Zahl der DemonstrantInnen, die an
> dieser Aktion freiwillig teilnehmen. Ist also genau mit den
> "Behinderungen" vergleichbar, die bei einer RL-Demo entstehen.
s.o.
Behinderungen sind geduldete Begleiterscheinungen. Sie spielen sich
auch lediglich im Bereich der öffentlichen Ordnung ab, also in
Gebieten, die jedem denkenden Menschen eh mehr oder weniger wurscht
sind. Demonstrationen als Mittel zur Verhinderung von Geschäften - so
sind sie nicht gedacht.
Behinderungen haben nichts mit der Intention und dem Konzept (!)
einer Demonstration zu tun. Es heisst Demonstration und nicht
"kollektive Behinderung des Strassenverkehrs" :-)
Es gibt denkerisch noch eine Möglichkeit: Den anarchischen Ansatz.
Also: Scheiss auf den Begriff, den die Verfassung von einer Demo hat
- Krawall! Revolution! - Schön. Aber dann will ich kein
Pressemitteilungs-Gejammer hören, wenn sich die Gegenseite wehrt.
(Nicht daß es die Schweinereien der Gegenseite rechtfertigen würde,
bloss das Gejammer ist dann verlogen)
rv