[rohrpost] Kriegsgeil
Marian Bichler
rohrpost@mikrolisten.de
Tue, 02 Oct 2001 10:29:56 +0200
rohrpost@mikrolisten.de schreibt:
>Seid ihr Fernseh-kriegsgeil? Ich schon. Ich will CNN vierundzwanzig
>Stunden, ein faschistoides Feuerwerk, keine Toten, kein Leiden, nur
>Lügen, ich will das Gefühl von einem großen, mächtigen Imperium, das
>auf kleine Rebellen drischt, vom Strafgericht des bösartigen Riesen,
>ich will die Allmacht des bösen Demiurgen spüren. (Ja, meine Damen
>und Herren, da ist Arno Schmidt drin, und nicht zu knapp. Sollte man
>nicht glauben, was?) Mal ehrlich: Seid ihr kriegsgeil?
Ich finde es interessant, was Du schreibst. Ich kenne das Gefühl
nicht, nein wirklich nicht. Ich mag auch den Berliner Potsdamer Platz
mit seiner martialisch anmutenden Kuppel nicht, der mich an Star Wars
erinnert. Was Du da benennst, erinnert mich an eine quälende Lektüre
von Ernst Jüngers "unter Stahlgewittern" . Ich habe das Buch
irgendwann mal angeekelt zugeklappt. Und gleichzeitig ist diese
Heroisierung des Schrecklichen nichts weiter als eine Schockreaktion.
Deshalb habe ich in meinem "Hey Mr. Taliban Posting" geschrieben, man
sollte sich mal genau vorstellen, genau hinfühlen, wie die
Wirklichkeit solcher Bilder wäre. Für den ersten Weltkrieg kann man
das ja sehr schön nachlesen bei Remarques "Im Westen nichts Neues".
Und eigentlich ist das eine ganz alte Diskussion, ich erinnere mich an
eine Ausstellung hier in Berlin, in der Statuen von Arno Breker mit
Statuen der Käthe Kollwitz konfrontiert wurden.
>>Erzählt mir nix,
>>Gutmenschen. Euer Verstand ist dagegen, aber geil seid ihr trotzdem.
Da Du Provokationen liebst: für diese Bildergeilheit gibt es ein
Heilmittel. 1 Monat lang täglich Dachau oder Ausschwitz besuchen, z.B.
(wenn man schon selbst nicht in die Elendsgebiete dieser Erde fahren
möchte). Die direkte Konfrontation mit der Wirklichkeit ist sehr
heilsam. Das weiß ich leider aus bitterer Erfahrung, weil ich bin in
Dachau aufgewachsen; und ich war neun Jahre alt, als meine Eltern mich
unvorbereitet mitgenommen haben in das KZ. Das damals noch ziemlich
im Ursprungszustand war. ...
>>Jeder erliegt diesem Scheissdreck, dieser perversen, verdrehten,
dreckigen Ästhetik.
Es mag vielen so gehen: anstatt sich drüber aufregen, kann man auch an
sich arbeiten, um zu begreifen, wo die Faszination herkommt, sie ad
acta legen und sich der Wirklichkeit widmen.
Gruß Marian