[rohrpost] TELEPOLIS: Nuetzliche Tools fuer den Netzintellektuellen
Krystian Woznicki
krystian@snafu.de
Mon, 23 Jul 2001 11:57:05 +0200
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N=FCtzliche Tools f=FCr den Netzintellektuellen
Vali Djordjevic 23.07.2001
Minordomo und textz.com aus dem Hause ROLUX
Das Berliner Internet-Projekt ROLUX [0] verfolgt in den drei Jahren
seines Bestehens die Entwicklungen in den Neuen Medien von Websites und
Texten bis zu Veranstaltungen. Zwischen Netzdiskurs und Offline-Welt
angesiedelt bietet ROLUX alternative Lebens- und Denkweisen, die den
Mehrheitsdiskurs von Verwertbarkeit und Profitstreben um eine
gemeinschaftliche, linke Gesellschaftskritik [1] erg=E4nzen. In diesem
Jahr starteten gleich zwei Projekte, die einen Kommentar zu virtuellen
Gemeinschaften, geistigem Eigentum und Netz abgeben, aber gleichzeitig
auch ganz praktischen Zwecken dienen.
Die Netzkritik sollte Websites machen, statt zu kritisieren. Oder
aber Netzkritik wie Websites machen.
Sebastian L=FCtgert: Einfuehrung in eine wahre Geschichte des Internet
[2]
Es ist es wichtig, dass sich Projekte in einem Kontext befindet und
dass dieser Kontext auch thematisiert wird, sagt Sebastian L=FCtgert, der
Betreiber von ROLUX. ROLUX geh=F6rt zu den unabh=E4ngigen kleinen
Netzprojekten, die sich im Berlin der 90er Jahre mit seinen
leerstehenden Geb=E4uden und verlassenen Gel=E4nden im Umfeld von Clubs und
Bars, Kunst und elektronischer Musik gebildet haben. Dazu geh=F6rt unter
anderem auch mikro [3] e.V., das Bootlab [4], wo sich auch L=FCtgerts
Arbeitsplatz befindet, Veranstaltungen wie last tuesday, der inzwischen
geschlossene Club DaimlerChrysler, aber auch das virtuelle Umfeld der
Mailinglisten wie nettime [5] und rohrpost [6].
Die ROLUX-Website nimmt das Netzwerkprinzip als Strukturprinzip. Auf
der ROLUX-Homepage sind unterschiedlichste Projekte gleichberechtigt
nebeneinander angeordnet - Partner gegen Berlin, Real, allemagne ta
gueule ca suffit, Auseinander, a.s. ambulanzen, Rolux, luxor, urlxo,
kleine Scherze wie "this is not a link" oder "this is not an icon"
stehen Seite an Seite und bilden ein Netzwerk des Gleichen. Hierarchien
gibt es nicht, der Besucher wei=DF nicht, ob hinter einem Projektnamen
nur ein kleiner Kommentar zu der Konsolidierungsdebatte in der
Netzkunst steckt ("classics of net.art") oder eine ganze Site wie zum
Beispiel das Textwarezprojekt [7].
Der Vorteil am Programmieren ist, dass das, was man geschrieben hat,
sofort Auswirkungen hat. Beim Texte schreiben passiert oft gar nichts.
Man sitzt stunden- manchmal tagelang vorm Rechner und =FCberlegt sich was
und versucht, es m=F6glichst passend zu formulieren. Dann ver=F6ffentlicht
man auf einer Mailingliste oder in einem Magazin und erh=E4lt keine
Reaktion. Beim Programmieren hingegen wird der geschriebene Code
ausgef=FChrt und man sieht sofort, ob das Programm so funktioniert, wie
man es sich vorgestellt hat oder nicht. Die oft =FCbliche Arbeitsteilung
zwischen Programmierern auf der einen und denen, die den Inhalt der
Webseiten machen (um hier nicht das bl=F6de Wort "content provider"
schreiben zu m=FCssen), ist in vieler Hinsicht unbefriedigend. Sie
schafft Differenzen und verhindert Kommunikation, die der Weiterf=FChrung
des Projektes "Netzkritik" nicht dienlich ist. Daher bewegt sich
L=FCtgert auch zwischen diesen beiden T=E4tigkeiten, die sich gegenseitig
befruchten und andere Zusammenh=E4nge erschlie=DFen, als die Beschr=E4nkung
auf ein Feld es m=F6glich machen w=FCrde. So verkoppeln die Projekte von
ROLUX immer diese Bereiche zu neuen Ausdrucksformen.
minordomo
Mailinglisten sind vielleicht das wichtigste Werkzeug bei der
Vernetzung von alternativen =D6ffentlichkeiten. nettime [8], rhizome
[9], syndicate [10], um nur einige zu nennen, spielen eine nicht mehr
wegzudenkende Rolle in der kulturellen Netzlandschaft. Die
Rolux-Mailingliste bezeichnet sich als Liste "for the advancement of
minor criticism". Dabei ist nicht gemeint, dass es um geringf=FCgige
Kritik geht, sondern um Kritik, die sich selbst in der Minderheit
befindet. "rolux.org selbst ist entsprechend ein netzwerk zur
befoerderung von "critical minorities", also kritischer minderheiten.
kritisch hat dabei immer auch eine bedeutung wie in 'kritischer
zustand'", meint L=FCtgert.
So hei=DFt das Programm, das die Rolux-Liste verwaltet, in Abwandlung
auf das h=E4ufig verwendete Programm "Majordomo", nat=FCrlich "Minordomo".
Das ist auch der Name des neuen Dienstes, den rolux vor zwei Wochen auf
den einschl=E4gigen Mailinglisten ank=FCndigte. Minordomo [11] ist nicht
nur ein Programm f=FCr die Verwaltung von Mailinglisten, das man auf
seinem Server installieren kann, so man denn einen hat, sondern bietet
die M=F6glichkeit =FCber ein Webinterface selbst Listen einzurichten. Damit
stellt es eine Alternative zu kommerziellen Anbietern wie eGroups dar.
Nicht nur dass Minordomo viel besser aussieht, es ist auch freie
Software, die von den Usern gemeinschaftlich weiterentwickelt werden
soll. Das Programm selbst ist komplett in php 4 geschrieben und
ben=F6tigt keine zus=E4tzliche Software oder eine darunterliegende
Datenbank, was die Installation sehr einfach macht. Bisher wird der
Server bei einem kommerziellen Anbieter gehostet und von bootlab.org
betrieben und bezahlt. Der Umzug auf einen befreundeten Host ist
allerdings schon geplant. Wenn mehr Listen den Traffic in die H=F6he
treiben, was an sich eine gute Sache w=E4re, wird man sich um zus=E4tzliche
Finanzierung in Form von Sponsoring oder F=F6rdergeldern k=FCmmern.
"we are the & in copy & paste"
textz.com [12] ist eine Warez-Datenbank f=FCr Texte. Man findet Texte
mit und ohne Copyright, fiktionale und theoretische Texte, Manifeste
und Songlyrics. Da steht Theodor W. Adorno neben der autonomen
Afrika-Gruppe, Douglas Adams neben Klaus Theweleit. Die Texte stammen
aus verschiedenen Quellen. Sie werden entweder von den Autoren selbst
eingereicht, als freie im Netz kursierende Texte von Mitwirkenden in
die textz.com-Datenbank eingespeist oder von mit Scannern und
Texterkennungssoftware best=FCckten Usern vom Analogen Medium Papier in
digitale ASCII-Files umgewandelt. "1 month 4 weeks 1 day 16 hours 56
minutes 33 seconds of plain ascii available in 491 files" steht in der
Ecke der Website und die Betrachterin fragt sich, wie das nur gemessen
worden kann. Das ist nat=FCrlich eine Anspielung auf das Projekt Radio
Internationale Stadt [13] und das Open Video Archive [14] von Thomax
Kaulmann [15], das einen =F6ffentlich verf=FCgbaren Real Audio bzw. Real
Video Server f=FCr unabh=E4ngige Projekte zur Verf=FCgung stellt, allerdings
nicht im Sinne von Warez wie bei textz.com, sondern als gemeinsam
nutzbare Ressource f=FCr Projekte, die sich ansonsten keinen
Streaming-Server leisten k=F6nnten.
Die Auswahl der Texte bei textz.com [16] ist vom Projekt Gutenberg
[17] so weit entfernt wie nur m=F6glich. Es geht hier nicht darum, Texte,
auf die kein Copyright mehr besteht, verf=FCgbar zu machen und damit,
gewollt oder ungewollt, einem bildungsb=FCrgerlichen Kanon Vorschub zu
leisten. Es geht um Widerstand:
"intellectual, digital and biological property -- cornerstones of
the new regimes of control -- are the direct result of organized
corporate piracy. they are not only replacing such obsolete notions as
freedom, democracy, human rights and technological progress. all these
new forms of ownership are, in the first place, attempts to expropriate
people's work, data and bodies -- just as the they begin to acquire,
for the first time in history, the technical means to organize them
differently." a.s. ambulanzen: napster was only the beginning. an
introduction to textz.com [18] [v0.5]
Eine Gesellschaftskritik im Sinne von Sprechen/Schreiben =FCber Politik,
Medientheorie oder Cultural Studies ist in der Zeit von globalen
Werbekampagnen multinationaler Konzerne und weltweiter Vermarktung
nicht mehr sinnvoll, da jeder Widerstand sofort vereinnahmt und in den
Kreislauf der Werbebilder eingespeist wird. Eingreifsstellen erscheinen
woanders, zum Beispiel in den Netzwerken der Filesharing-Gemeinschaften
um Napster, Gnutella & Co. Obwohl die Musikindustrie Napster als ihr
wichtigstes Feindbild HTTHTTH kleingekriegt hat [19], war es derjenige
Dienst, der den Tausch copyrightgesch=FCtzten Materials ins Bewusstsein
der =D6ffentlichkeit gebracht hat. Bei Texten zeigt sich das Konzept mit
sehr viel weniger Virulenz. Bisher haben sich noch keine Anw=E4lte mit
"Cease and Desist"-Briefen an L=FCtgert gewandt, der im Falle des Falles
entscheiden wird, wie er darauf reagieren wird. =DCberhaupt ist
textz.com [20] nur ein Archiv, in dem die in diversen
Filesharing-Programmen kreisenden Textdateien, die gegen=FCber mp3 nur
einen Bruchteil der Datenmengen ausmachen, gesammelt werden.
Der textz.com-Newsticker hat seinen Weg von textz.com auch in alle
anderen ROLUX-Projekte gemacht. Dabei werden die Titelzeilen
verschiedener Newsdienste und Tageszeitungen, wie CNN, BBC, El Pais,
New York Times, Tagesschau, Der Spiegel und einige andere, ausgelesen
und per Laufschrift auf den unteren Rand des Bildschirms gebracht. Die
Vereinnahmung der Informationen der herrschenden Informationsh=E4ndler
durch ein Warezprojekt macht darauf aufmerksam, dass Information auch
nur eine Ware ist und in dieser Funktion materiell wird und ihren
Geldwert hat. Sp=E4testens wenn man die auf den Punkt des Infotainment
gebrachten thema1.de-Schlagzeilen ansieht, sollte man die
Konstruiertheit dessen, was uns von der Presse als objektive Nachricht
verkauft wird, erkennen. Die =DCbernahme von Logos und Textbausteinen der
"Mehrheitskultur" und ihre neue Zusammensetzung f=FCgt dabei einen
Kommentar ein, der den Anspruch "Websites wie Netzkritik zu machen"
vollstens erf=FCllt. Die Websites von ROLUX sind immer auch eine Kritik
der herrschenden Verh=E4ltnisse im Netz. Dazu aber bieten sie eine
durchaus praktischen Mehrwert.
Links
[0] http://www.rolux.org
[1] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/on/3369/1.html
[2] http://rolux.org/intro/main.html
[3] http://www.mikro.org
[4] http://bootlab.org
[5] http://www.nettime.org
[6] http://www.mikro.org/rohrpost
[7] http://textz.com
[8] http://www.nettime.org
[9] http://www.rhizome.org
[10] http://colossus.v2.nl/syndicate/
[11] http://minordomo.org
[12] http://textz.com
[13] http://orang.orang.org
[14] http://ova.zkm.de
[15] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/sa/3590/1.html
[16] http://textz.com
[17] http://gutenberg.aol.de
[18] http://www.nettime.org/rohrpost.w3archive/200103/msg00086.html
[19] http://www.wired.com/news/business/0,1367,45364,00.html
[20] http://textz.com
Artikel-URL: http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/on/9142/1.html
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