[rohrpost] Berliner Gazette, 24.01.

Anne Schreiber Anne Schreiber <anne.schreiber@student.hu-berlin.de>
Tue, 23 Jan 2001 18:16:29 +0100


Liebe Gazette LeserInnen,

nachtraeglich ein Frohes Neues Jahr! 2001 bringt Neuigkeiten: Wir
arbeiten am Internet-Auftritt der Berliner Gazette, wo Sie in Kuerze ein
Forum finden werden.

Damit koennen nun alle, die uns bislang in persoenlichen Emails
Reaktionen auf die Berliner Gazette zukommen liessen, diese oeffentlich
posten und in einem Chatraum miteinander ins Gespraech kommen.

Im Zuge dieser Umstrukturierung bitten wir Sie, sich unter folgender
Adresse neu anzumelden: http://www.berlinergazette.kulturserver.de.
Sollten Sie dies im Laufe der kommenden zwei Wochen versaeumen, wird ihr
Abo der Berliner Gazette automatisch geloescht. Wir freuen uns schon
jetzt auf Ihr Feedback!

Mit freundlichen Gruessen,

Benjamin Heidersberger
Kulturserver Herausgeber

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Journalismus im Netz=20
oder: "Die Information in dieser Ueberschrift wird sich im Text nicht
wiederholen."

[  ] E-Glosse: Anne Schreiber, Journalistin [1]

Dies ist kein gewoehnlicher Text. Dies ist ein E-Text. Was das bedeutet?
Nun, in dieser Glosse sollte ich auf den gemuetlichen Plauderton einer
Kolumne wohl verzichten. Spaetestens in den naechsten Saetzen sollte
sich das Tempo also ein wenig beschleunigen. Wenngleich ich nicht viel
ueber Sie, den Leser, weiss, so muss ich mir ueber Eines wohl im Klaren
sein: Sie haben nicht viel Zeit, denn wir sind im Internet. Sie und ich.
Und da geht es zum einen um kilobyteweise Informationen, die in
Textformate gebracht werden muessen. Und das ist mein Handwerk. Das
Scrollen ueber Textbahnen, das Selektieren zwischen neu eintreffenden
Meldungen, das Collagieren des Artikels. Ediert von XY. Der Autor tut
nichts zur Sache. Eventuell gibt es mich gar nicht. Die Ihnen
Nachrichten verpackt. Leicht verdaulich wie ein Reiskloss. Oder fluessig
wie eine Dauerinfusion.=20

Da geht es zum anderen aber auch um den Gehalt eines Texts, der inmitten
einer stetig sich wandelnden Menge an neuen Daten wiederholt abgedatet
und koordiniert werden muss. Und da sollte man zwischen einem
Reisknoedel und einer Infusion unterscheiden. Bei einer Infusion kann
man schlecht ueber den Geschmack oder die Qualitaet dessen urteilen, was
ausgehend von der Ellenbeuge in die Blutbahnen meines Koerpers stroemt.
Und in dieser Position sitzen Sie. Traditionell auch Empfaenger genannt.=20

Wir sind zu Besuch bei der ersten Tageszeitung, die ausschliesslich im
Netz zu finden ist. Treffend Netzeitung genannt [2]. Der Redakteur
Perikles Monioudis fuehrt uns durch die neuen Raeume der Redaktion nahe
der Friedrichstrasse. Vor der langgezogenen Fensterfront des grossen
Bueroraums, in dem alle Journalisten gemeinsam vor ihren Rechnern
arbeiten, ruckelt die S-Bahn vorbei. Die Athmosphaere ist aufgelockert,
man duzt sich. Es ist es egal, an welchem Tisch man sitzt. Hauptsache,
der Strom der Meldungen aus der Nachrichtenagentur bricht nicht ab. Und,
besonders, die Entfernung zum Rechner und damit zum Leser ist nicht
allzu weit. Schliesslich ist es die Aktualitaet der elektronischen
Nachrichten, durch die die Netzeitung zum Konkurrent der am Kiosk
erhaeltlichen Zeitungen werden kann. Aber auch zum Verhaengnis. Wenn
allein der Ticker diktiert.

Nahe der Redaktion befindet sich der Friedrichstadtpalast, ebenso die
grossen Theater. Wie feuilletonistische Inhalte, die eher dem Rhythmus
eines vergessenen Nachmittages im Caf=E9 entsprechen, in das schnelllebig=
e
und stuendlich abgedatete Format einer Internetzeitung passen, gehoert
zu den Fragen, die einem durch den Kopf gehen. Michael Maier,
Chefredakteur der Netzeitung, geht diese Frage auch durch den Kopf. Wir
sitzen in seinem glaesernen Buero, rechte Hand die selektierenden
Journalisten. Die Netzeitung konzentriert sich auf Tatsachen und
Nachrichten aus Wirtschaft und Politik. Ob da eine Rezension einer
Premiere im Deutschen Theater Sinn macht, bezweifelt Maier. Die
kulturellen Inhalte muessen sich dem Medium anpassen. Es geht ihm um
antzipierenden Journalismus, der Entwicklungen nicht nacherzaehlt,
sondern vorwegnimmt.

Tage nach dem Besuch erscheint ein Kommentar in einer groesseren
Tageszeitung in Print: Vielleicht entspricht der Onlinejournalismus auch
einfach einem Besuch im Casino [3]. In jedem Fall schmiegen sich
journalistische Inhalte auf der Homepage eines grossen Wochenmagazins
neuerdings nicht mehr dicht an dicht mit Buttons, die zum Online-Einkauf
verfuehren. Gefuerchtet wurde die Naehe zum E-Commerce [4]. Offen bleibt
also die Frage, die selbst dem Neuen Markt inmitten seiner bewegten
Boersenkonjunktur einmal kam: Wie werde ich begehrt, beruehmt und - dann
doch - reich? Ich - Entschuldigen Sie, das ist ein Fehler. Schliesslich
steht das Ich hier fuer eine Zeitung. Das Ich des Journalisten hingegen,
und das heisst seine Identitaet und Arbeit, haengt von einem anderen
bereits genannten Faktor ab, das Verschwinden des Autors. Der
Verfluessigung seiner Rechte [5]. Und der Leser? Stichwort
Interaktivitaet. Diskutieren Sie mit uns [6].=20

1. mailto:anne.schreiber@student.hu-berlin.de
2. http://www.netzeitung.de
3. http://szarchiv.diz-muenchen.de/REGIS_A11694123
4. http://www.onlinejournalismus.de/koepfe/interviewdeggerich.html
5. http://www.igmedien.de/publikationen/m/1996/m3-96/artikel/Gesetz.html
6. http://www.berlinergazette.kulturserver.de

Fuer die kommenden Tage sind folgende Termine in Deinen Kalender
aufzunehmen:

Mi - 24.01.

P o d i u m : Die Zahl moeglicher Blickwinkel im interkulturellen Dialog
ist gross. Das eigene Interesse entscheidet ueber den Standpunkt, die
Gefahr der politischen Instrumentalisierung ist offensichtlich. Echter
Dialog setzt aber die Kommunikationsfaehigkeit der Teilnehmer voraus.
Unter welchen Umstaenden sind die Vorraussetzungen dafuer gegeben? Unter
dem Titel >Who's to say? Insiders/Outsiders on Transcultural
Perspectives< versuchen Todd Gitlin und Dan Diners den intellektuellen
Raum zwischen den Welten zu denken. Ort: Otto-Braun-Saal der
Staatsbibliothek zu Berlin, Potsdamerstr.33, 20 Uhr.

Do - 25.01.

P r e s s e k o n f e r e n z : Gary McVey, Executive Director der
American Cinema Foundation [http://www.cinemafoundation.com], stellt das
Programm, die Inhalte und Ziele des Freedom Film Showcase, ein Festival,
das dem osteuropaeischen Kino ein Forum bieten moechte. Zur Begruessung
wird Alexejs Balabanows >>Brat2<<, in Anwesenheit des Filmemachers,
gezeigt. Ort: Akademie der Kuenste, Hanseatenweg 10, ab 10:30 Uhr.

Sa - 27.01.

M u l t i v i  s i o n: Die Veranstaltung >Duty Free Jugoslavija< ist
eine Expedition ins exotische Reich der Serben, die hinunterfuehrt in
das unterirdische Jugo-Museum, wo die Repraesentation jugoslawischer
Vergangenheit archaeologisch konserviert wird: ein Kuriositaetenkabinett
sabotierter und realer Gegenwart. Die fragmentarische Reise erzaehlt in
einer Multivision aus Video-, Dia- und Audiomaterial, Talkrunde und
Chorgesang die Geschichte der Entfernung und Annaeherung Belgrads an
seine Wirklichkeit. Mit Mrdjan Bajic, Skart, Nenad Prokic, Biljana
Srblijanovic und Katja Diefenbach. Ort: Roter Salon, ab 21 Uhr.

Bis naechste Woche,

Anne Schreiber
mailto:anne.schreiber@student.hu-berlin.de

PS: Metaphern des Fliegens durchziehen die Arbeitswelt des World Wide
Web: Wer abhebt, sollte nach Meinung einiger Filter-Architekten den
einen oder anderen Stopover einlegen, die Sache aber keineswegs
uebertreiben. User sollen an der Hand genommen werden, denn Selektion
heisst das Zauberwort. Das Angebot der Netzpiloten [1] etwa, das ab
Oktober letzten Jahres auch in Form eines Mini-Magazins vertrieben wird,
umfasst auch einen jederzeit adjustierbaren Rundflug durch die deutsche
Online-Presselandschaft: Von der SZ bis zur freien Presse. Please fasten
your seatbelts! Mit dem Perlentaucher [2] hebt man erst gar nicht ab.
Stattdessen bekommt man die gefilterten Flugdaten aus dem
deutschprachigen Feuilleton taeglich von der Stewardess auf dem
Servierteller ueberreicht. Dagegen ist Paperball [3] eine herkoemmliche
Suchmaschine, die ihre Detektoren in insgesamt 195 Tageszeitungen (von
den Aachener Nachrichten bis hin zu ZVW Online) verankert hat. Auf der
Hitliste der meistgesuchten Stichwoerter ist nach Archaeologie an erster
Stelle, Erotik an zweiter Stelle gelistet. Merkwuerdig:
Masturbationsvorlagen jetzt also auch in lesbarer Form in der
Tagespresse?! Clicks haben angeblich kurze Beine.

1. http://www.netzpiloten.de
2. http://www.perlentaucher.de/
3. http://www.paperball.de

[  ] Impressum

Berliner Gazette - das woechentliche Mini-Feuilleten im elektronischen
Briefformat, wird von http://www.kulturserver.de herausgegeben

[  ] Redaktion Berliner Gazette

Penelope Grabowski
Ulrike Rogler
Anne Schreiber
Krystian Woznicki (V.i.S.d.P.)

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