[rohrpost] spam
florian schneider
florian schneider <fls@kein.org>
Tue, 09 Jan 2001 22:27:04 +0100
[aufgrund verschiedentlicher nachfrage hier der text aus der
linksverkehr kolumne erschienen in der sz von gestern mit =
ein paar links versehen /fls]
http://www.linksverkehr.net
ALLES GUTE AUS DER DOSE
Was den M=FCnchnern die Wei=DFwurst, ist den Amerikanern das
Fr=FChst=FCcksfleisch: Ein kulinarischer Mythos, der f=FCr
Aussenstehende pedantisch wirkende Auseinandersetzungen nach
sich zieht, wie zum Beispiel, ob die rosa Fleischmasse
besser zu schneiden oder w=FCrfeln w=E4re. 1937, nur kurze Zeit
nach der Erfindung des Dosenbiers, kam der Unternehmer Jay
C. Hormel auf die Idee, auch Schinkenwurst in kleine
Blechbeh=E4lter zu packen. Der Name f=FCr das neuartige
Erzeugnis wurde per Preisaussschreiben ermittelt: 100 US
Dollar war der Firma Hormel der Vorschlag eines
Schauspielers wert, die jeweils ersten und letzten beiden
Buchstaben von "Spiced Ham" zu "Spam" zusammenzuziehen.
Original "SPAM Luncheon meat" besteht aus Schinken,
Schweineschulter und einer streng geheim gehaltenen
Gew=FCrzmischung. =
Die <http://www.spam.com> "Hormel Foods Corporation" hat
SPAM in 101 L=E4ndern dieser Welt markenrechtlich gesch=FCtzt.
Offenbar vergeblich, denn was heutzutage immer mehr Menschen
unter Spam verstehen, hat mit der ersten Mahlzeit des Tages
so wenig zu tun wie Internet mit dem Krieg der Sterne. Im
Netz steht Spam umgangssprachlich f=FCr elektronische
Postwurfsendungen, unverlangt eingehende Werbung, Junk-Email
oder wie es offiziell hei=DFt: "Unsolicited Commercial Email"
(UCE). Also Nachrichten, die meist mit S=E4tzen beginnen wie:
"Vielen Dank f=FCr Ihr Interesse...", "Lesen Sie diese
Nachricht bitte zweimal!" oder "Beinahe h=E4tte ich mir diese
Gelegenheit durch die Lappen gehen lassen..." und dann
Angebote beinhalten, die beim Wort genommen eigentlich gar
nicht ausgeschlagen werden k=F6nnen: "Finanzielle
Unabh=E4ngigkeit auf immer und ewig", "50.000 Dollar in den
n=E4chsten 90 Tagen", "Sofortige Entschuldung" bis hin zur
"Umkehrung des Alterungsprozess". Oft handelt Spam auch von
zwielichtigen Offerten wie der Zugang zu bislang
geheimgehaltener Software, die Ausstellung von Reisep=E4ssen
oder Decoder, die angeblich Pay-TV-Programme entschl=FCsseln.
Ganz zu schweigen von kaum glaublichen Zeugnissen virtueller
Gro=DFz=FCgigkeit: Hochwertige Handtelefone kostenlos,
Gratis-Pornos, Firmenanteile umsonst, Bargeld auf die
Hand...
Dass nun ausgerechnet Fr=FChst=FCcksfleisch als Metapher f=FCr
solche Kommunikation herhalten muss, soll der Legende nach
auf einen Klassiker der englischen Komikertruppe
<http://www.pythonline.com> Monthy Python zur=FCckgehen. Der
<http://www.btinternet.com/~basedata/sinkordie/spam.htm>
Sketch spielt in einem Restaurant, das ausschlie=DFlich
Speisen mit Fr=FChst=FCcksfleisch anbietet. Der akute Widerwille
eines Gastes wird von einem Wikinger-Chor erstickt, der
immer lauter den Gesang von "Spam, lovely spam, wonderful
spam" anstimmt. =C4hnlich muss es den meisten Nutzern der
Newsgroups im Usenet Anfang der 90-er Jahre ergangenen sein,
als sie Opfer der ersten Spam-Attacken wurden. Ber=FCchtigt
waren seinerzeit der omin=F6se
<http://www.ibiblio.org/usenet-i/groups-html/alt.fan.serdar-argic.html>Se=
rdar
Argic sowie
<http://www.cybernothing.org/faqs/net-abuse-faq.html#2.6>
Canter & Siegel, eine Rechtsanwaltskanzlei aus Phoenix, die
in Hunderten von Diskussionsforen ihre Dienste dermassen
dumm-dreist anboten, dass daraufhin eine eigene Newsgroup
gegr=FCndet wurde: <http://www.killfile.org/~tskirvin/nana>
"alt.current-events.net-abuse". Dort wurde dann eingehend
diskutiert, wie dem Missbrauch des Netzes Einhalt geboten
werden k=F6nne. Es waren aber weder blanker Idealismus noch
der Traum von einem nicht-kommerziellen Internet, der die
Selbstverteidigungskurse gegen Spamming motivierte, sondern
ein ausgepr=E4gter Gemeinsinn angesichts der damals noch
=E4u=DFerst knappen Ressourcen und ausgesprochen kostbaren
Netzzug=E4ngen. =
Im Gegensatz zu Telefonmarketing oder Werbefaxen zahlt beim
Usenet- oder Email-Spamming schlie=DFlich der Empf=E4nger die
Rechnung f=FCr die unverlangt eingegangene Nachricht. Den
Spammern kostet der Massenversand nur ein paar Mark Traffick
plus einmalig rund zweihundert Mark f=FCr Zigmillionen
Email-Adressen. Diese werden mit besonderen Programmen von
Webseiten, aus Mailinglist-Archiven und Newsgroups
abgefischt, um dann von windigen Adressh=E4ndlern in eigenen
Spam-Angriffen verscherbelt zu werden. Verschiedene Seiten
wie <http://spam.abuse.net> "Spam.abuse.net" oder das
<http://mail.abuse.net> "Mail Abuse Prevention System" haben
sich inzwischen ganz und gar dem erbitterten Kampf gegen
Spam verschrieben. Sie f=FChren schwarze Listen mit
Mailservern, von denen aus Spam versandt wird, und bieten
Anti-Spam-Filter an, die einem wenigstens garantieren,
denselben Werbebrief nicht zweimal zu bekommen. Machtlos
sind diese Instrumente gegen=FCber einer besonders perfiden
Abart des Spammings. Wie eine elektronische Plage breiten
sich <http://www.tu-berlin.de/www/software/hoax.shtml#8>
Kettenbriefe im Netz aus, bei denen die Empf=E4nger aus ebenso
durchsichtigen wie undurchsichtigen Gr=FCnden angehalten
werden, die e-mail an m=F6glichst viele Adressaten
weiterzuleiten. Appelliert wird dabei nicht nur an die
Habgier, sondern immer =F6fter auch an die Gutm=FCtigkeit:
Krebskranken Kindern einen letzten Wunsch erf=FCllen,
afghanische Frauen vom Schleierzwang erl=F6sen, Nazis aus
Newsgroups verbannen sind die Vorw=E4nde f=FCr fadenscheinige
und v=F6llig =FCberfl=FCssige Rundsendungen, die jahrelang
kursieren und letztlich auch seri=F6se, weil ordentlich
datierte und mit g=FCltigen Absender- und Webadressen
versehene Kampagnen in Misskredit bringen. =
Wesentlich einfacher ist es, Spam zu goutieren oder zu
verkl=E4ren. Schlie=DFlich k=F6nnen die unerw=FCnschten
Werbebotschaften durchaus als das Hereinbrechen des Realen
in die heimische Mailbox verstanden werden: Die symbolische
Ordnung des elektronischen Postfachs ger=E4t in Gefahr; denn
Spam ist ein Gift, das die Atmosph=E4re kleinkarierter
Kommunikation zersetzt, welche vorgibt, nichts als
zielgerichtet und n=FCtzlich zu sein. Und das allerschlimmste:
Man kann vermeintlich nichts dagegen tun und ist den
Werbesendungen, Kettenbriefen und Pyramidenspielen als
unbedarfter Endnutzer wehrlos ausgeliefert. Diese
Hilflosigkeit f=FChrt zu aufschlussreichen Formen von
Eskapismus: Wie virtuelle Kaffeefahrten scheint von Spam
eine eigenartige Faszination ausgehen, die manche Menschen
solche Nachrichten, wenn sie sie schon nicht glauben und
wenn es schon keinen Sinn hat, dagegen anzuk=E4mpfen, dann
zumindest akribisch registrieren, archivieren und
aufbereiten l=E4=DFt. Passionierte Spam-Sammler protzen gerne
mit pers=F6nlichen Statistiken ("38 Megabyte in mehr als 5200
einzelnen Nachrichten. Das ist eine Menge Spam f=FCr etwas
mehr als drei Jahre") oder bieten gleich die komplette
Privat-Kollektion zum Herunterladen an - kostenlos versteht
sich. <http://www.cspam.com> "Cspam.com" hat eine gro=DFe
Auswahl st=E4ndig wechselnden Spams animiert und l=E4=DFt die
aufregenden Nachrichten durch das Browserfenster scrollen,
wahlweise sogar mit passender Musikbegleitung. Seine
Aktivit=E4ten mittlerweile eingestellt hat das
<http://www.visi.com/~drow/spam> "Historical Spam Museum and
Archive", das in den Jahren 1996 bis 1999 immerhin 5,6
Megabyte Spam sammelte, um das Material k=FCnftigen
Netzarch=E4ologen zur Forschungszwecken zur Verf=FCgung zu
stellen. Am bekanntesten aber ist die <http://ga.to/mmf>
"Make Money Fast (MMF) - Hall of Humiliation", die schon
1997 auf der Ars Electronica mit einer Goldenen Nika in der
Kategorie ".net" ausgezeichnet wurde. Es handelt sich um
eine =F6ffentlich zug=E4ngliche Plattform, die Spam nicht nur in
einer Datenbank ablegt, sondern vor allem eines erm=F6glicht:
L=E4stige Werbung bis zum Ursprungsort zur=FCckzuverfolgen. =
Wie jede Form M=FCll kann aber auch der Datenschrott, der beim
Spamming anf=E4llt, wiederverwertet und f=FCr =E4u=DFerst =
praktische Zwecke eingesetzt werden. Dies versuchen
zumindest die Betreiber von <http://www.spammimic.com>
"Spammimic.com" unter Beweis zu stellen. In einer Dialogbox
auf deren Homepage k=F6nnen k=FCrzere Nachrichten so ver- und
wieder entschl=FCsselt werden, dass sie als einschl=E4giger Spam
kodiert v=F6llig belanglos wirken und wohl kaum die
Aufmerksamkeit von Geheimdiensten und anderen elektronischen
Lauschern erregen. Die Idee ist geradezu ideal f=FCr Menschen,
denen die st=E4ndige Benutzung von herk=F6mmlichen
Kryptografieprogrammen zu aufwendig ist oder die nicht durch
pl=F6tzlich kodierte Nachrichten kundtun wollen, dass nun auf
einmal Geheimnisse ausgetauscht werden. Die sicherlich
kurioseste Methode, das Briefgeheimnis zu wahren, d=FCrfte
insofern selbst High-Tech-Abh=F6rsystemen wie Echolon oder
Carnivore =FCberlegen sein. Echter Spam, schreiben die Gr=FCnder
von "Spammimic", sei so erschreckend dumm, dass es kaum
m=F6glich ist, den von der Maschine k=FCnstlich erzeugten Unsinn
von authentischem Spam zu unterscheiden. =
Ein Problem, mit dem sich schlie=DFlich auch die "Hormels Food
Corporation" herumschlagen muss. Doch die Hersteller des
Ur-Spam verzichten auf zivilrechtliche Schritte gegen die
gesch=E4ftssch=E4digende Gleichsetzung ihres Markennamens mit
Bel=E4stigungen wie Junk-Email und machen einen Vorschlag zur
G=FCte: Wer echtes Fr=FChst=FCcksfleisch meint, solle SPAM einfach
in Grossbuchstaben schreiben.
FLORIAN SCHNEIDER
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