[rohrpost] Tom Holert Interview
Krystian Woznicki
Krystian Woznicki <krystian@snafu.de>
Tue, 09 Jan 2001 16:04:02 +0100
Hallo,
in der aktuellen Ausgabe von springerin 4/00, >>Outside Europe<<=20
[http://www.springerin.at]
ist mein Interview mit dem in K=F6ln ans=E4ssigen Kulturwissenschaftler Tom=
=20
Holert zum Themenkomplex
IT-Business, Intelligenz-Rassismus, Nike und Sport erschienen, dass ich=20
nachfolgend poste.
Gruss,
Krystian
[ ] Brainware im Strukturwandel
Ein Interview mit Tom Holert zum Themenkomplex IT-Business,=20
Intelligenz-Rassismus, Nike und Sport
von Krystian Woznicki
Mit der Gr=FCndung des [techlabs in Beaverton/Oregon antwortet Nike auf die=
=20
ver=E4nderte Marktsituation: Die Kids sind mit Computerspielen besch=E4ftigt=
,=20
der Verkauf von Sneakers geht weiterhin zur=FCck. >>Vernetzte Sportswear<<,=
=20
lautet die neue Devise. Intelligente Uhren, GPS-gest=FCtzte=20
Kompasse, >>workout-friendly<<-MP3 Player. Und das sei nur der=20
Anfang. >>Body [...] chips carrying data on your performance, heart rate,=20
biorhythms [...] will nurture a global community of sports freaks. The=20
future of gaming will be about reliving the experience of sports. In 10=20
years, our aethletic and digital lives will be one.<< [1]
Wenn Nike einen neuen Markt erschliesst, dann erweitert sich nicht nur die=
=20
Produktpalette, sondern es wird auch an unserer Vorstellung von Sport und=20
K=F6rper gearbeitet. So ist seit geraumer Zeit ein neues Image in Arbeit,=
das=20
in aufwendigen Kampagnen den internen Strukturwandel proklamiert. Auch=20
Architektur steht der Imagepflege zu Diensten. Als im April 1999 die erste=
=20
Niketown Europas in einer Charlottenburger Kommerzmeile er=F6ffnet wurde,=20
riefen =E4sthetisch suggestive Plakate zum Kampf um die urbane Sph=E4re=20
auf. >>Lass Dich nicht von Deiner Stadt ausnutzen. Nutze Deine Stadt aus<<,=
=20
lautet einer der meist aggressiven Slogans. Diesem, wie=20
Kulturwissenschaftler Tom Holert es nennt, Corporate Situationism, dem ganz=
=20
selbstverst=E4ndlich die Privatisierung von =F6ffentlichem Raum zu Grunde=20
liegt, ist eine f=FCr Nikes Cyber-turn relevante Verschiebung=
eingeschrieben:=20
Outdoor turns Indoor. Ein vielsagendes Plakatmotiv zeigt den=20
Breitscheidplatz mit Turnhallenparkett ausgelegt, Baskettballk=F6rbe h=E4nge=
n=20
in gro=DFer Zahl wie deaktivierte Bildschirme an den umgebenden=
H=E4userfassaden.
W=E4hrend der Fussball-EM 2000 lautet der Appell der NikePark-Kampagne=20
konsequenterweise Elitenbildung, Schnelligkeit und - auf mentale=20
Hochleistungen anspielend - >>=DCbersicht<<. Und die getuneten Vorzeichen=
des=20
digitalen Spirits spiegeln sich auch in der NikePark-Architektur. Der=20
Sport-Themenpark ist als paramilit=E4risches Ausbildungscamp inszeniert; die=
=20
Stationen hei=DFen Interactives. TeilnehmerInnen gelten als Agenten und=20
treten wiederum gegen robotisierte und virtuelle Cyborg-Figuren an. Und=20
w=E4hrend die Interactives zumindest noch mit Schie=DF=FCbungsst=E4tten=20
vergleichbar sind, ist andernorts Bewegung komplett verboten. An einer der=
=20
peripheren Stationen etwa, wird bemannter Tischfussball gespielt. Statt der=
=20
=FCblichen athletischen Anforderungen (Beweglichkeit, Ausdauer, Kraft), ist=
=20
hier ein F=E4higkeitsmix aus Intelligenz und Schnelligkeit erforderlich -=20
Sport ohne K=F6rper, Kopfsport eben. Vor diesem Hintergrund richten sich=20
einige Fragen an Tom Holert, der an einer Studie zu Intelligenz-Diskursen=20
in der Popul=E4rkultur arbeitet, und gerade Imagineering (Jahresring 47,=20
Oktagon Verlag) herausgegeben hat, ein Reader, der Essays und Interviews zu=
=20
Visueller Kultur, Politiken der Sichtbarkeit und Transparenz, zur=20
Herstellbarkeit und Instrumentalisierung von Bildern versammelt.
Krystian Woznicki: Figuren wie Boris Becker, der f=FCr AOL Werbung macht,=20
sollen die Qualit=E4t von Cyberglamour vermitteln sowie den Eindruck, dass=
=20
eine Ann=E4herung zwischen Sport und IT-Business stattfindet.
Tom Holert: Die Verbindung Boris Becker-AOL scheint mir gerade das=20
Gegenteil eines Spiels mit >>Cyberglamour-Qualit=E4ten<< zu sein. Die=20
AOL-Kampagne bem=FCht sich nach Kr=E4ften um Bodenst=E4ndigkeit. Vom=
spie=DFigen=20
AOL-Logo-Design bis zur Inneneinrichtung im Becker-Spot wird peinlich genau=
=20
darauf geachtet, das Internet zu normalisieren. Keine irritierenden=20
Hi-Tech-Gef=FChle sollen aufkommen, allenfalls die beruhigende Erinnerung an=
=20
den Schreibtisch und den guten alten Fernseher. Und Becker agiert dabei=20
nicht als emeritierter Sportler im Jet-Set-Auftrag, sondern als unbedarfter=
=20
Privatmensch. Seine Wirkung gewinnt der Spot gerade aus der Beruhigung der=
=20
menschlich-allzumenschlichen Angst vor der Technologie. Gro=DF ist die=20
Erleichterung dar=FCber, trotz technischer Inkompetenz, den Zugang gefunden=
=20
zu haben. Becker mimt die ganze Verbl=FCffung des Anf=E4ngers. Und er kann=
dies=20
vielleicht deshalb so =FCberzeugend, weil er in zweifacher Hinsicht neu=20
startet: Der Einstieg in eine Karriere nach der Karriere konvergiert mit=20
dem Einstieg ins Netz. Becker erfindet sich neu, seine Verwunderung ist=20
ein >>Mein erstes Mal<<-Erstaunen. Baby Becker. >>Dumbing Down<<. Mit=20
anderen Worten: in diesem Beispiel n=E4hern sich nicht=20
Informationstechnologie und Sport einander an, sondern die Kindlichkeit von=
=20
Boris Becker, der der =D6ffentlichkeit Einblicke in einen technokulturellen=
=20
Initiationsritus gew=E4hrt, und ein globaler Medienkonzern, der an seinem=20
familienfreundlichen Image arbeitet und dabei mit Pfingsterlebnissen dieser=
=20
Art nicht geizen will. Becker ist weiter weg vom Sport denn je und AOL=20
bem=FCht sich um J=E4gerzaun-Anmutung im Netz.
KW: Indes hat Beckers Internet-Karierre begonnen. Die Boris Becker=20
Marketing GmbH arbeitet mit AOL und Daimler Chrysler zusammen. Nebenbei hat=
=20
Becker die Internet-Firma Sportgate mit Pixelpark-Chef Paulus Neef und=20
Helmut Thoma gegr=FCndet. All das in Windeseile, angeblich innerhalb weniger=
=20
Monate, was wohlwollende Beobachter dazu veranlasst in Becker einen=20
risikofreudigen =93Schein Heiligen=94 (MAX) zu sehen. Die Attribute des=20
Bum-Bum-Boris werden m=FChelos auf den Start-Up-Boris =FCbertragen.=20
Existenzgr=FCndung und B=F6rsengang mit der Beckerfaust wie einst Serve and=
=20
Volley? Andererseits findet jedoch auch ein umgekehrter Transfer statt. Bei=
=20
Nike etwa materialisiert sich der Cyber Sport-Komplex in modularen=20
(Ovidian) und personalisierten (iD) Sneakern, sowie der [techlab=
Produktreihe.
TH: Ich denke, man muss zwischen der Marketingbotschaft >>virtueller=20
Sport<< und der Produktebene unterscheiden. Nike hat sich ja vor Jahren mit=
=20
dem entscheidenden Bekenntnis >>brands, not products<< zu=20
einer >>marketing-oriented company<< entwickelt. Das >>Produkt<< wurde zum=
=20
blo=DFen Marketinginstrument. =DCber Nike als Vorreiter der=
Branding-Strategie,=20
die in logischer Zuspitzung des Tauschwertgedankens auf die vollst=E4ndige=
=20
Transzendierung des Gebrauchswerts setzt, ist viel gesagt worden. Verkauft=
=20
werden schon lange keine orthop=E4disch korrekten, aus haltbaren Materialien=
=20
hergestellten Sportschuhe mehr, sondern Lifestyle-Optionen und=20
Sinn-Angebote. Das Wissen um diesen >>marketing turn<< ist, aufbereitet von=
=20
Marketingideologen und Leuten wie Norbert Bolz oder Jeremy Rifkin, einer=20
breiten =D6ffentlichkeit zug=E4nglich gemacht worden. Ein Unternehmen wie=
Nike=20
betrachtet sich, wie es der amerikanische Branding-Guru Tom Peters 1997=20
einmal formulierte, als ein >>pure >player< in brainware<<, als=20
Sinn-Makler, als Atmosph=E4ren-Dienstleister. Weshalb es auch weniger darauf=
=20
anzukommen scheint, wie >>virtuell<< oder >>digital<< die von Nike=20
angebotenen Sport-Tools wirklich sind, als darauf, wie effektiv die Ideen=20
und Bilder von Virtualit=E4t und Digitalit=E4t als >>brainware<< verbreitet=
und=20
mit - neuronal abgefeuerten? - Kaufimpulsen verkn=FCpft werden. Der von Dir=
=20
so genannte >>Cyber Sport-Komplex<< scheint mir dabei eine Facette in den=20
symbolischen Strategiepaketen von Nike und anderen zu sein, deren=20
Potenziale man derzeit testet: Zwischen Info-War-Gefechtssimulationen, dem=
=20
Modern Primitives-Posthumanismus kalifornischer Cyber-Subkulturen,=20
PlayStation-Sportrealistik (>>It=92s not a game<<), e-commerce-Vision=E4rstu=
m=20
oder der Mikrofaser-Technologie neuester Wettkampfkleidung werden=20
symbolische Kontinuit=E4ten konstruiert. Das Reservoir von technokulturellen=
=20
Zeichen-Kombinationen erneuert sich dabei permanent; fortw=E4hrend wird das=
=20
Bild vom Cyborg-Sportler und Techno-K=F6rper moduliert, den jeweiligen=20
freizeitindustriellen Konjunkturen angepasst, soweit diese Konjunkturen=20
nicht von einem Unternehmen wie Nike selbst produziert werden. Zu diesen=20
k=F6rperpolitischen Operationen am Zukunftsdesign liefern die Erfolge von=20
Life Science- bzw. Biotechnologie-Aktien die Begleitmusik, ebenso die=20
Debatten um die ethische Vertr=E4glichkeit von Doping, Cloning oder=20
Genpatentierung. Solange Nike an der Produktion techno-kultureller,=20
techno-wissenschaftlicher Metaphern beteiligt ist, geht auch dieses=20
Branding-Konzept auf.
KW: Zwar sind wir noch weit weg vom Downloaden sportlicher=20
Spitzenerlebnisse, aber doch nicht ganz so weit entfernt von vernetzten=20
SportlerInnen, die ihre Trainingsdaten vergleichen und mittels=20
entsprechender Programme an deren Optimierungen arbeiten. Sport, wie wir=20
ihn kennen, wird sich (auch) dadurch ver=E4ndern.
TH: Dass >>der Sport<< durch den Einsatz digitaler Technik und=20
Internet-Marketing-Ideen wie den >>personalisierten<< Schuh ver=E4ndert=
wird,=20
mag sein. Aber Nike beteiligt sich an der technischen Hochr=FCstung im=20
Leistungssport nicht nur wegen der erwarteten sportlichen=20
Leistungssteigerungen, sondern wegen der symbolischen und (daraus=20
folgenden) =F6konomischen Profite, die eine Verkn=FCpfung von=20
Hi-Tech-Accessoires mit den Fernsehbildern der Erfolge von Marion Jones=20
oder Tiger Woods mit sich bringt. Nat=FCrlich investiert ein Konzern wie=
Nike=20
in die Entwicklung von Gadgets und Gizmos, von Datenspielzeug im=20
Blob-Design, aber auch von weiterreichenden Techno-Visionen, die zu=20
Szenarien von Info-Sport und Netz-Athletik f=FChren k=F6nnten. Aber=20
diese >>Forschung<< d=FCrfte immer wieder r=FCckbezogen werden auf die Idee=
=20
einer Markenidentit=E4t, die sich viral ausbreitet und wie Dawkins=92=
>>Meme<<=20
in den KonsumentInnen verankert werden soll. =DCber =E4ltere Vorstellungen=
=20
davon, wie ein >>Image<< konstruiert wird, geht das weit hinaus. Branding=20
ist selbst eine >>Technologie<<, eine Sozialtechnologie, auch=20
eine >>Technologie des Selbst<<, von der sich die Technologie, die Du=20
ansprichst, nicht abl=F6sen l=E4sst.
KW: Wie werden diese >>Technologien des Selbst<< von Nike ausgewertet?
TH: Naomi Klein [2] und andere haben detailliert beschrieben, wie die Marke=
=20
zu einem Baustein von Identit=E4ten gerade dadurch werden konnte, dass sich=
=20
die Unternehmen die (=DCber-)Lebensstile der Unterprivilegierten aneigneten.=
=20
Die Fetischisierung von afro-amerikanischen Sportlerk=F6rpern und die=20
vor=FCbergehende =DCbernahme ganzer Sportarten wie Basketball verschaffte=
Nike=20
Zugang etwa zur HipHop-Kultur. Auf der Grundlage von Trend-Recherchen in=20
den =E4rmeren Gegenden der US-amerikanischen Gro=DFst=E4dte wurden=
Konsumg=FCter=20
entwickelt, die man nicht zuletzt wieder an die Informanten aus=20
den >>projects<< verkauft - zu so hohen Preisen, dass die Ghetto-Kids auf=20
der Jagd nach der Gang-War-Uniform von Nike ihre Eltern bestehlen oder sich=
=20
gegenseitig umbringen. Diese Radikalisierung der Branding-Technologien ist=
=20
eine ma=DFgebliche Zielscheibe der Anti-Nike-Kampagnen. Denn der Kampf=20
gegen >>the sweat behind the swoosh<< wird auch deshalb so verbissen=20
gef=FChrt, weil die psycho-sozialen Effekte von Branding - sowohl im=20
Shopping-Mall-Suburbia als auch in den Ghettos der Industrienationen -=20
nicht nur verheerend sein k=F6nnen, sondern in Beziehung gesetzt werden=20
m=FCssen zum Lohndumping und zur Ausbeutung in den Nike-Fabriken in Vietnam,=
=20
Indonesien, China und anderswo.
Die Versuche von Nike, sich im Internet zu bewegen und Produktlinien zu=20
entwickeln, die sich in - vermeintlich >>unsportliche<< -=20
Bildschirmexistenzen einschreiben lassen, zielen nun auch darauf,=20
Lifestyle-Konzepte zu entwickeln, die nicht mehr angewiesen sind auf=20
konkretes Trendslumming und >>bro-ing<<. Mit der Hinwendung zum=20
WWW-Customer spitzt sich der Prozess der Ent-Materialisierung des Sozialen=
=20
zu. Vielleicht erwartet man sogar, die trendsetzenden Subkulturen k=FCnftig=
=20
ganz im Netz erfinden zu k=F6nnen. Dann w=E4re Nike auf die riskanten=20
Spurensicherungen an den >>gef=E4hrlichen Orten<< alter Hipster-Kultur nicht=
=20
mehr angewiesen (und auch vom diesbez=FCglichen Teil der Kritik seiner=
Gegner=20
verschont).
KW: Wenn Sport zur Weiterentwicklung von Technologien mobilisiert wird,=20
gilt das spielerische Element des Sports als Motor der Entwicklung. So=20
sollen Fussballspielende Roboter 2047 den amtierenden Fussballweltmeister=20
schlagen, wie =93Deep Blue=94 nach f=FCnfzigj=E4hriger Reifungszeit Kasparov=
=20
bezwingen konnte. Was mich daran besonders am=FCsiert, ist wie die=20
Intelligenz dieser Systeme beschrieben wird und auf was f=FCr Grenzen, bzw.=
=20
H=FCrden sie st=F6=DFt. So arbeitet der Schachcomputer nicht mit=
Unbekannten,=20
w=E4hrend Fussballroboter nur so im Dunkeln tappen ihrer k=FCnstlichen=20
Intelligenz wird eine kreative Komponente abgefordert.
TH: Damit sprichst Du das zentrale Thema der KI-Forschung an und den=20
Fragenkomplex, mit dem sich z.B. das >>Things That Think<<-Konsortium am=20
MIT Media Lab besch=E4ftigt (das auch Nike zu seinen Kunden z=E4hlt): die=20
Diskussion um die vermeintliche Inkommensurabilit=E4t=20
von >>Maschinenintelligenz<< auf der einen und Intentionalit=E4t oder=20
moralische Empfindungen auf der anderen Seite. =DCber die Wechselwirkung=20
zwischen (metaphorischen) Vermenschlichungen der Technik und (ebenso=20
metaphorischen) Technisierungen des Menschen kann viel spekuliert werden,=20
und diese Spekulationen werden auch gef=F6rdert. Mir ist beispielsweise ein=
=20
signifikanter Anstieg von Bildern des Gehirns in der Werbung und allgemein=
=20
in Medienkontexten aufgefallen. Sie schlie=DFen an die Ikonografie des=20
Maschinen-Menschen an und entwerfen das menschliche Gehirn als Bestandteil=
=20
technischer Konfigurationen; auch Appelle an netzwerkf=F6rmige=20
Wissensverwaltung sowohl von Individuen als auch von Kollektiven sind in=20
wachsendem Ma=DFe zu verzeichnen. Die Grenzen des Turing-Tests, der ja die=
=20
Unterscheidung zwischen menschlicher und maschinischer Komputation=20
erm=F6glichen sollte, werden so in der Symbolik der Wissensgesellschaft=20
verlassen. Ein Leitmotiv der gegenw=E4rtigen visuellen Kultur ist die=20
potentielle K=FCnstlichkeit der >>menschlichen<< Intelligenz. Diese Fiktion=
=20
einer posthumanen >>K=FCnstlichkeit<< operiert im Subtext der aktuellen=20
Diskurse =FCber Kompetenz. Im Zusammenhang der Debatte um Arbeitsmigration=
=20
und gesteuerte Einwanderung wird deutlich, wie sich die Gehirne und die=20
Intelligenz der gew=FCnschten Nicht-EU->>Fachkr=E4fte<< gewisserma=DFen=
separiert=20
betrachten lassen. Der an den zerebralen F=E4higkeiten h=E4ngende=
-biologische,=20
soziale, etc.- K=F6rper wird zum =F6konomisch l=E4stigen Appendix, den man=
=20
ethnifiziert (>>Computer-Inder<<), um ihn so der rassistischen Verarbeitung=
=20
in der >>Gesellschaft<< zuzuf=FChren.
KW: Gemeinhin wird angenommen, dass im post-industriellen Zeitalter das=20
Hirn einen Gro=DFteil der Arbeit =FCbernimmt, w=E4hrend der K=F6rper=
deaktiviert=20
wird. Lassen sich f=FCr Dich Spuren dieser >>Hirnwerdung<< des Menschen auch=
=20
im Sport beobachten?
TH: =DCber die Intelligenz von Sportlern wird immer wieder spekuliert. Ein=
=20
Begriff wie >>Spielintelligenz<< regte Christoph Daum dazu an, seine=20
Leverkusener Profis mit Denksportaufgaben zu konfrontieren. Konzentration=20
und geistige Beweglichkeit sollen durch immer >>neue Situationen<<=20
gef=F6rdert werden, indem die Spieler >>L=F6sungsvorschl=E4ge<< erarbeiten.=
=20
Bekanntlich wird das Spiel >>im Kopf<< entschieden. Die >>mentale St=E4rke<<=
=20
hierf=FCr brauchen alle, von Boris Becker bis Oliver Kahn. Selbst beim Boxen=
=20
trifft man auf den Kult des intelligenten K=E4mpfers. Norman Mailer feierte=
=20
die Intelligenz der Profiboxer, heute wird Wladimir Klitschko >>unb=E4ndige=
=20
Kraft, Entschlossenheit, Begabung und Intelligenz<< (FAZ) zugeschrieben.=20
Die >>mentale St=E4rke<< verweist allerdings auf andere Qualit=E4ten als=20
die >>Intelligenz<<-Vorstellungen, die der Phantasie vom bio- und=20
informationstechnologisch optimierten Cyborg-Sportler zugrundeliegen. Die=20
Idee der >>mentalen St=E4rke<< erhebt charakterliche Vorteile zum=20
wettkampfentscheidenden Faktor, die im >>Kopf<< geb=FCndelt vorliegen=
sollen.=20
Im Bild des >>virtualisierten<< Wettkamps (und des >>virtualisierten<<=20
Krieges - die SportlerInnen/SoldatInnen-Analogie ist ja einschl=E4gig) sind=
=20
die Intelligenzen hingegen auf Wanderschaft gegangen. Das=20
Gehirn >>verteilt<< sich =FCber den K=F6rper (und weg vom K=F6rper auf die=
Dinge,=20
Apparaturen, Waffen). So w=FCrden es Marshall McLuhan, Manuel de Landa,=
Kodwo=20
Eshun und andere behaupten. Ein solcher Intelligenz-Futurismus setzt=20
allerdings weniger auf De-Aktivierung als auf >>Befreiung<< des K=F6rpers.=
So=20
wollte es schon Marinetti sehen, im Jahr 1911: >>Es gibt keine=20
erniedrigenden Notlagen mehr. Die Intelligenz herrscht =FCberall. Die=20
k=F6rperliche Arbeit h=F6rt endlich auf, Sklavendienst zu sein, weil sie nur=
=20
noch drei Ziele hat: Hygiene, Vergn=FCgen und Kampf.<< Der K=F6rper wird=20
freigesetzt, um neuen alten Aufgaben nachzugehen: der mal hedonistischen,=20
mal kriegerischen Pflege seiner performativen und repr=E4sentativen=20
M=F6glichkeiten.
KW: Kannst Du daf=FCr ein Beispiel geben?
TH: Es existiert ein erstaunliches Foto vom brennenden Belgrad, w=E4hrend=20
der >>revolution=E4ren<< Tage Anfang Oktober 2000: Im Hintergrund wird=
gerade=20
ein Geb=E4ude abgefackelt, im Vordergrund sieht man die Demonstranten, die=
=20
zum Teil das Spektakel verfolgen, zum Teil Triumphgesten Richtung Kamera=20
machen. Das hervorstechende Bildelement jedoch ist ein Riesenplakat von=20
Nike, auf dem der deutsche Handballstar Stefan Kretzschmar seinen nackten,=
=20
t=E4towierten Oberk=F6rper vorf=FChrt und die Arme in die Luft reckt, mit=20
geschlossenen Augen. W=E4hrend unterhalb des Plakats die revoltierenden=20
K=F6rper marodieren, stellt der globalisierte (ost-)deutsche=20
Sportler-Popstar, der auf MTV eine eigene Sendung hat, seinen K=F6rperschmuc=
k=20
und seine Konzentrationsk=FCnste zur Schau: >>Hygiene, Vergn=FCgen und=
Kampf<<=20
- vom =FCberzeichneten Sportlerk=F6rper inkorporiert und als vielschichtiger=
=20
Zeichen-Appell an die Menge weitergeleitet.
KW: Die Nike Park-Kampagne gab Stichworte vor, die f=FCr gew=F6hnlich im=20
Diskurs um digitale Subjekte eine Rolle spielen, zerebral auslegbar sind.=20
Insbesondere ein Motiv zelebriert Zerebralismus: Oliver Bierhoff ist=20
mittels einer Doppelbelichtung ein unproportional kleinerer Ball als=20
Hirnversinnbildlichung bzw. Hirnsurrogat implantiert worden. Das Sujet ist=
=20
mehrdeutig und f=FCr ein Werbemotiv auf den zweiten Blick extrem=20
erkl=E4rungsbed=FCrftig und fragw=FCrdig.
TH: Das Plakat mit dem Bierhoff-Motiv ist nicht zuletzt eine =DCbung in=20
Propagandadesign. Die Pastiche aus Drei=DFiger/Vierziger-Jahre-Typografie=
und=20
-Illustrationsstilen spielt auf sowjetisches Grafikdesign, die =C4sthetik=
der=20
Pariser Weltausstellung, aber auch die Gestaltung von Aufrufen an die=20
Zivilbev=F6lkerung w=E4hrend des Zweiten Weltkriegs an, etwa in England -=20
insofern signalisiert das Plakat auch: Ausnahmezustand! Zu den Waffen!=20
Lasst euch rekrutieren! Inwieweit hier allerdings ein >>Zerebralismus<<=20
propagandistisch >>zelebriert<< wird -und nicht viel mehr parodiert-,=20
dar=FCber lie=DFe sich streiten. Die Ironie der Begriffe >>Elite<<=20
und >>=DCbersicht<< wirkt in diesem Zusammenhang allzu direkt. Das=20
milit=E4risch-faschistische Moment (Bierhoff geh=F6rte in einem Nike-Spot,=
der=20
w=E4hrend der Fussball-EM 2000 viel gesendet wurde, zu einer soldatischen=20
Elitesportlertruppe, die sich in einem ikonischen Beispiel italienischer=20
Architektur des Faschismus eine Schlacht mit Cyber-Samurais lieferte) wird=
=20
ged=E4mpft durch eine pr=E4gnante Gaga-Komponente. Macht der Nike-Fu=DFball=
im=20
Kopf den Spieler Bierhoff wirklich zur prothesenbewehrten Kampfmaschine?=20
Das deutet zwar ein breitbeinig dastehendes Cyborg-M=E4nnchen an - aber auch=
=20
diese Botschaft ist kaum eindeutig zu nennen. Den >>Ball im Kopf<< k=F6nnte=
=20
man verstehen als Weiterf=FChrung der Rede vom Spiel, das >>im Kopf<<=20
entschieden wird - aber auch die Assoziation >>Tumor<< liegt ja nicht fern.=
=20
Die von Nike engagierte Werbeagentur spielt mit der Idee, einfach=20
die >>hidden persuaders<< der bisherigen Nike-Branding-Strategie zur Schau=
=20
zu stellen: Der auf das Ball-Gehirn t=E4towierte Swoosh, die autorit=E4ren=
=20
Appelle zur Uniformit=E4t und Elitenbildung laden unverbl=FCmt dazu ein, das=
=20
Nike-Marketing als Brainwashing zu interpretieren.
1. Ray Riley, ehemals bei Apple, jetzt Leiter des [techlabs, in einem=20
j=FCngst erschienen Interview zu seiner Vision. Wired June 2000, S. 333
2. No Logo. Taking Aim at the Brand Bullies, Picador, 1999
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